Nur ein Scherflein

Eine sehr reiche Frau wurde bei einer Sammlung zur Renovierung der Kirche um eine Spende gebeten. „Gerne beteilige ich mich an der Aktion“, sagte sie, „aber leider kann ich nur das berühmte Scherflein der Witwe beitragen!“ Der Pfarrer antwortete: „Gute Frau, das wäre zu viel, das können wir nicht erwarten.“ – „Sie haben mich missverstanden“, lachte die Frau, „ich meinte mit dem Scherflein nur eine kleine Gabe!“
„Ja“, sagte der Pfarrer, „das wäre dann doch zu viel, denn die Witwe hat mit ihrem Scherflein damals alles, was sie ihr Eigen nannte, in den Gotteskasten gelegt.“ Die Frau errötete und gab eine beachtliche Summe.

Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein. Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das macht zusammen einen Pfennig. Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn sie haben alle etwas von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.
Markus 12,41-44

Schätze

Es ist das Wesen der Schätze, dass sie zunächst verborgen sind. Die wirklichen Reichtümer und Werte des Lebens liegen nie auf der Straße oder sind in den Schaufenstern offen ausgestellt. Sie sind verborgen und erschließen sich langsam und ganz anders als erwartet. Wir brauchen eine Sehnsucht, eine Vision, einen Traum und eine Erwartung. Wir machen uns auf die Suche, öffnen unsere Sinne, gehen los, erfahren das Leben, erleben den Weg und fassen ein Ziel ins Auge. Widrigkeiten können uns nicht abhalten, Gefahren nicht erschrecken, Umwege nicht irritieren, Fehlschläge nicht enttäuschen, Schwächen nicht mutlos machen und Zweifel nicht lähmen.
Wir folgen den Weisungen dessen, der das Leben ist, und hören auf den Ruf des Einen, in dem alle Schätze verborgen sind.
Und es bleibt nicht beim Sehnen und Suchen, Träumen und Hoffen. Es gibt ein Finden und Empfangen, ein Erfüllt- und Vollendet-werden.

Denn in ihm wohnt die Fülle der Gottheit leibhaftig, und an dieser Fülle habt ihr teil in ihm, der das Haupt aller Mächte und Gewalten ist.
Kolosser 2,9f

Arm oder reich

Arm oder reich

Wir haben als Kinder ein Spiel gespielt: „Ich sehe was, was du nicht siehst, und das sieht blau aus!“ Vielleicht könnten wir einmal in unseren Gemeinden ein Spiel spielen. Das würde dann so gehen: „Ich sehe was, was du nicht siehst, und das sieht reich aus!“ Unsere Gemeinden sind oft so klein, kümmerlich und begrenzt, dass wir resignieren. Wir träumen von großen Gaben, vielen Menschen, unbegrenzten Möglichkeiten, tiefen Erkenntnissen. Aber die Wirklichkeit sieht ja anders aus. Eine kleine Schar, eine kleine Kraft, eine winzige Hoffnung und viel Uneinigkeit und Hemmung. Besinnen wir uns einmal ganz neu auf die Reichtümer, die wir in der Gemeinde haben. Wir haben einen Herrn, der alle Macht und Gewalt im Himmel und auf Erden hat, zu unserem Freund. Wir haben in Jesus einen Mitwisser um unser kleines Leben, aber auch einen Mitkämpfer in allen Nöten und Leiden. Wir haben einen Sieger über alles Begrenzte in unserer Mitte. Wir haben sein herrliches Wort mit den unzähligen Verheißungen und grenzenlosen Aussichten. Wenn wir uns auf diesen Herrn ganz neu besinnen, werden wir auch die Kämpfe und Leiden, die Schwächen und Grenzen noch als einen Reichtum erkennen, der uns immer mehr auf den Herrn wirft und uns immer unabhängiger von allen anderen Verhältnissen macht. Unser Kämpfen und Ringen im Glauben und in der Liebe sind eigentlich der Reichtum seiner Gemeinde. Die kleine Gemeinde ist ein Schatz Jesu Christi. „Ich sehe was, was du auch siehst, und das sieht reich aus!“

„Ich weiß deine Trübsal und deine Armut, du bist aber reich!“

(Offenbarung 2,9)


Aus Axel Kühner: Überlebensgeschichten für jeden Tag,
14. Auflage, © Aussaat-Verlag, D-Neukirchen-Vluyn.
ISBN: 3-7615-1612-6