Einer wartet auf uns

Ein Dorfschullehrer feiert Jubiläum. Vierzig Jahre ist er im Dienst. Der Schulrat und der Rektor, der Bürgermeister und der Pfarrer, die Kollegen und Freunde werden eingeladen. Es gibt ein wunderbares kaltes Buffet. Lange Lobreden schließen sich an. Zum Schluß ergreift der Lehrer selbst das Wort, bedankt sich herzlich und erzählt ein wenig aus den vierzig Jahren. Launiges aus dem Schulalltag, Humoriges von manchen Kollegen und dann Nachdenkliches, das niemand wieder vergessen wird. In den vierzig Jahren sind zehn lange Jahre Kriegsgefangenschaft in Sibirien enthalten. Schwere Arbeit unter Tage, kaum Nahrung, keine Verbindung mit der Frau zu Hause. Hoffen und Bangen und dann tiefe Verzweiflung und innere Zermürbung. Selbstmordgedanken kommen auf. Die letzten Kräfte sind aufgebraucht. Keine Hoffnung mehr; kein Lebenswille übrig. Da kommt eines Tages ein junger Mann aus dem Heimatdorf des Lehrers in das Lager. Als Siebzehnjähriger war er in den letzten Kriegstagen noch in die Schlacht geschickt worden und in russische Gefangenschaft geraten. Nun trifft er den Lehrer. Die beiden Männer umarmen sich und mischen ihre Tränen. Der Jüngere erzählt von zu Hause. „Niemand denkt, dass du noch lebst. Aber eine wartet auf dich, eine glaubt an dich und deine Wiederkehr: deine Frau wartet mit der ganzen Sehnsucht einer starken Liebe auf dich!“

Mit einem Blick zu seiner Frau hinüber sagt der Lehrer dann: „Diese Gewissheit, dass eine auf mich wartet, an mich glaubt, meine Rückkehr fest erwartet, in Liebe an mich denkt, das gab mir dann die Kraft, durchzuhalten und immer wieder gegen alle Verzweiflung zu hoffen, bis sich die Hoffnung erfüllte und wir uns nach zehn Jahren endlich wiedersahen.

Auch wir werden Situationen erleben, wo wir nichts mehr zu erwarten haben. Dann müssen wir daran denken, dass wir in Liebe erwartet werden. Jesus am Thron Gottes wartet auf uns, er glaubt an uns, rechnet mit uns, freut sich auf uns. Er wartet mit der Sehnsucht einer vollkommenen Liebe auf uns. Das ist unsere Hoffnung gegen alle Resignation und Schwäche.

„Wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wieder kommen und euch zu mir nehmen, damit ihr seid, wo ich bin!“
(Johannes 14,3)

Axel Kühner – Überlebensgeschichten für jeden Tag – Aussaat-Verlag – ISBN 3-7615-1612-6

Einsamkeit als Chance

Gott und Mensch sind voneinander und zueinander hin gemacht. Mann und Frau sind voneinander genommen und aufeinander bezogen. Mutter und Kind sind auseinander und füreinander geworden. Diese Trennungen und zugleich Beziehungen machen die Einsamkeit und die Sehnsucht nach Einswerden. In der Einsamkeit liegt die Chance zum wieder Eins- und Ganzwerden verborgen.
Die Geburt ist die erste Erfahrung der Einsamkeit. Aber nur durch diese Erfahrung kann ein Mensch zum Leben, zu sich selber und zu seiner Bestimmung kommen. Als ein Same wird er ausgestreut, und zur Einmaligkeit jedes Geborenen gehört auch seine Einsamkeit. Jeder kann sie schöpferisch nutzen als Antrieb zur Liebe, Begegnung und Beziehung.

Einsamkeit bedeutet darum ursprünglich etwas ganz Kostbares: zum Einen neigen – Einen lieben – Einem gehören.

So kann die Einsamkeit Chance sein und zur Eindeutigkeit des Glaubens führen. Nur einen Herrn haben, nur einer Stimme folgen, nur eine Liebe pflegen, nur ein Ziel haben, sind die Chancen der Einsamkeit.

„Wer mich liebt, der hält meine Worte, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen“
(Johannes 14,23)

Aus Axel Kühner: „Eine gute Minute“
Aussaat-Verlag, Neukirchen-Vluyn
ISBN-3-7615-1571-5

Gott wird dich tragen

Gott wird dich tragen, drum sei nicht verzagt,
treu ist der Hüter, der über dich wacht.
Stark ist der Arm, der dein Leben gelenkt,
Gott ist ein Gott, der der Seinen gedenkt.

Gott wird dich tragen mit Händen so lind.
Er hat dich lieb wie ein Vater sein Kind.
Das steht dem Glauben wie Felsen so fest:
Gott ist ein Gott, der uns nimmer verlässt.

Gott wird dich tragen, wenn einsam du gehst;
Gott wird dich hören, wenn weinend du flehst.
Glaub´ es, wie bang dir der Morgen auch graut:
Gott ist ein Gott, dem man kühnlich vertraut.

Gott wird dich tragen durch Tage der Not;
Gott wird dir beisteh´n in Alter und Tod.
Fest steht das Wort, ob auch alles zerstäubt:
Gott ist ein Gott, der in Ewigkeit bleibt.

Text: Walter Rauschenbusch

Leben ist Einsamsein

Ein einzigartiges Leben ist immer auch ein einsames Leben. Zu der Einmaligkeit des Menschen gehört auch seine Einsamkeit. Weil wir einzig sind, sind wir auch einzeln.
Ein Same wird ausgebracht, und durch die Schmerzen der „Einsamkeit“ wird vielfältige Frucht eingebracht. Das ist die Fülle und die Freude des Lebens. Die fruchtbare Einsamkeit ist also die, ein ganzer Mensch zu sein, der ausgesät wird und Frucht des Lebens bringt.
Die furchtbare Einsamkeit ist die, als Same erhalten zu bleiben und am Ende ganz allein zu sein.
Einsamkeit hat immer zwei Gesichter, ein freundliches und ein schreckliches. Das freundliche Gesicht der Einsamkeit blickt uns liebevoll an und ermutigt uns, in der Einsamkeit zu uns selber, zum Wesentlichen, zum Schöpferischen zu finden. Das düstere Gesicht der Einsamkeit erschreckt uns mit der Aussicht, ohne einen Lebenszusammenhang allein und verlassen zu bleiben..

„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, so bleibt es allein (furchtbare Einsamkeit!). Wenn es aber erstirbt, so bringt es viel Frucht (fruchtbare Einsamkeit)
(Johannes 12,2-4)

Aus Axel Kühner: „Eine gute Minute“
Aussaat-Verlag; Neukirchen-Vluyn
ISBN 3-7615-1571-5

Versteht mich niemand?

Ein Mädchen kommt weinend zu mir und sagt: „Niemand versteht mich!“ Ich sage: „Du hast Eltern, die sich Mühe geben mir dir.“ „Ja, aber richtig verstehen können sie mich nicht!“ Ich frage: „Hast du Freundinnen und Freunde, mit denen du reden und deine Gedanken teilen kannst?“ „Ja, die sind alle nett zu mir, aber mein Innerstes, was mich letztlich bewegt, verstehen sie auch nicht.“ Dann sage ich zu ihr: „Verstehst du dich denn selbst?“ Da hören die Tränen plötzlich auf, und nachdenklich sagt das Mädchen: „Ich verstehe mich ja selber nicht ganz!“

Ja, wir können uns selbst und einander nicht ganz verstehen. Das gehört mit zu uns Menschen jenseits von Eden. Wir sind einander wie ein Versprechen, das nicht gehalten werden kann. Wir können uns im Letzten nicht verstehen. In den Höhen des Glücks, in den Tiefen des Leides, in den letzten Fragen nach Wahrheit, in der Ein-samkeit des Todes, in der Verantwortung vor Gott können wir uns das Leben letztlich nicht teilen. Es bleibt ein Rest Einsamkeit. Das gehört zu uns Menschen nach Adam und Abel, nach Kain und Babel. Das gehört mit zur Last des entfremdeten Menschen.

Die Einmaligkeit des Menschen ist immer auch seine Einsamkeit. Aber Gott in seiner Liebe teilt unser Leben in einem ganz tiefen und restlosen Verstehen. Sein Mitwissen mit uns wird ein Mitleben, Mitfreuen, Mitleiden, Mitsterben und Für-uns-Auferstehen. Einer versteht mich!

„Wie er die Seinen geliebt hatte, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende!“
(Johannes 13,1)

Aus Axel Kühner: „Überlebensgeschichten für jeden Tag“
Aussaat-Verlag, Neukirchen-Vluyn
ISBN 3-7615-1612-6

Verzweifelte Lage – und doch nicht allein ..

„Es wird mir alles zuviel. Ich halte es nicht mehr aus. Die Dinge wachsen mir über den Kopf. Ich kann nicht mehr. Nach außen schweige ich – eisern und verzweifelt, ausgezehrt von der täglichen Anstrengung des Verschweigens. Ich bin am Ende meiner Kräfte, mit meinem Denken und meinen Gebeten. Was bleibt? Warum gebe ich nicht auf? Ist es die Angst vor dem Tod? Ist es die Liebe zum Leben? Ist es die Abwehr des Sinnlosen? Ist es noch Hoffnung? Es schreit in mir – hilfloses Flehen. Es klagt in mir – endloses Weinen. Es seufzt in mir – mühevolles Atemholen. Wenn ich am Ende bin – Gottes Geist lässt es nicht das Ende sein. Meine hilflosen Gebete sind wie Laub, das zerfällt. Der Geist aber hält mich am Leben mit unaussprechlichem Seufzen. Wenn ich meine Schwachheit eingestehe, bin ich nicht mit mir allein. Der Geist hilft mir in meiner Schwachheit, sei es in der Gestalt eines zufälligen Wortes, eines Gesprächs, eines stillen Begleiters oder einer wichtigen Einsicht. Gottes Geist vertritt mich, wenn ich meine Schwachheit spüre und meine Stärke bezweifle“ (N.N)

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Der Geist hilft unserer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich´s gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen. Römer 8, 26

Axel Kühner
Aus gutem Grund
Aussaat-Verlag
ISBN 3-7615-5269-6