Glaubensstand unverändert!

In Aigues Mortes am Rande der Camargue steht die Tour de Constance, ein mächtiger Rundbau mit sechs Meter dicken Mauern. Hier sperrten die französischen Könige ihre politischen Gefangenen ein. Unter ihnen waren auch die seit 1685 hart verfolgten Hugenotten. Um ihres christlichen Glaubens willen mussten sie viele Leiden ertragen. Die Männer kamen zumeist als Sträflinge auf die Galeeren, die Frauen in die Tour de Constance, den Turm der Standhaftigkeit.

Hier wurde Marie Durand im Juli 1730 fünfzehnjährig eingeliefert. Hier sollte sie 38 Jahre ihres Lebens verbringen. 28 Frauen und zwei im Gefängnis geborene Säuglinge lebten im Turm, als Marie Durand dazukam. Die Leiden und Martern dieser Gefangenen kann man sich nicht vorstellen. Ab und an erkaufte sich eine die Freiheit mit dem Gelöbnis, an keiner christlichen Versammlung mehr teilzunehmen. Andere, wie Maries Freundin Isabeau Menet, verloren den Verstand.

Hinter dem Namen Marie Durand stand Jahr für Jahr auf der Gefangenenliste des Turmkommandanten der Vermerk: "Sa croyance toujours la meine" – "Glaubensstand unverändert!" Marie Durand ist 1768, als endlich die Verfolgung nachließ, als eine der letzten entlassen worden. Sie lebte noch acht Jahre mit einer Turmgefährtin zusammen, bis im Juli 1776 der "größte Befreier", wie sie den Tod in ihren Gefängnisbriefen genannt hatte, zu ihr kam.

"So viel mehr Leiden mich bedrängt, so viel mehr Gott an mich denkt!"

(Etienne Durand am 19.9.1730 an seine Tochter Marie Durand)

Gebet aus der Tiefe

"Angeschlagen an das Kreuz meines Glaubens, liege ich vor Dir, Herr.

Meiner Bitten erste: Gib mir die Kraft, auszuharren in jeder Versuchung, wenn sie wiederkommen und mich abschwören heißen.

Bedrückt von der Schwäche und Unvollkommenheit, in der ich die achtzehn Jahre meines jungen Lebens hinbrachte, danke ich Dir für dieses Gefängnis, in dem ich nun noch Deiner Gnade anheim gegeben bin. Tröste Nlatthieu, dem ich in diesem Leben angehöre, steh meinem gefangenen Vater bei; zertritt die Schlange meiner unruhigen Lebenshoffnungen. Es will mir scheinen, dass das Licht der Sonne noch lange nicht für mich leuchten wird.

Begnadetes Verlies, in dem ich knie, um Dir mein Leben darzubringen – Herr, schone meiner nicht, der ich nichts mehr als Dich will…"

(Marie Durand)

Das Neue und das Alte

Der Kopf will das Neue. Unsere Augen brauchen immer neue Reize und Bilder. Der Verstand will immer Neues erkennen und weiter forschen. Menschen wollen immer Neues erfahren, anderes erleben, immer das Fremde erforschen und Ungewohntes erproben. Es ist in uns eine tiefe Sehnsucht nach Aufbruch und Abenteuer. Das Fremde und Ferne, das Neue und Unbekannte lockt. Fernweh lässt die Menschen reisen und rasen, aufbrechen und unterwegs sein. Der Kopf will das Neue.

Das Herz will das Alte. Ganz tief in uns wohnt neben der Neugier auch die Sehnsucht nach dem Gewohnten, Vertrauten und Bekannten. Kinder wollen immer dieselben Geschichten, Riten, Bräuche und Abläufe. Menschen haben Lust am Geprägten und Verlässlichen. Wiederkehr schafft Frieden. Neben dem unwiderstehlichen Drang, die Welt zu erobern, liegt das Verlangen, immer dasselbe aus uralten Formen zu bewahren. Neben dem Fernweh wohnt das Heimweh. Wir wollen raus in die Ferne und zugleich rein in das Gewohnte, Liebgewordene und Vertraute. Wir brauchen für unser Herz den Ruheort und das Gehäuse aus festen Formen und immer gleichen Abläufen. Wir sehnen uns nach gewohnten Gaben, nach vertrauten Zeichen, nach bekannten Liedern, nach verlässlichen Grenzen, nach geprägten Worten, nach festen Zeiten. Der Kopf will das Neue. Das Herz will das Alte.

So wird unser Leben eine wunderbare Spannung aus Aufbruch und Heimkehr, aus Fernweh und Heimweh, aus Bewegung und Ruhe sein. Und auch unser Glaube wird eine gesunde Mischung aus Wagnis und Verlässlichem, aus Loslassen und Festhalten, aus Losgehen und Bleiben, aus Veränderung und Bewahrung sein.

"Du aber bleibe in dem, was du gelernt hast und dir vertraut ist!"

(2. Timotheus 3,14)

"Lasset uns wachsen in allen Stücken … Erneuert euch aber im Geist eures Gemüts und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist!"

(Epheser 4,15.23f)

Affe, Katze und Glucke

In Indien gehen zwei Hindus und ein Christ spazieren. Im Baum sehen sie eine Affenfamilie. Ein kleines Affenbaby umklammert seine Mutter, und mit ihrem Kind springt die Mutter von Ast zu Ast. Der Hindu aus der Vandakalai-Sekte erklärt daran seine Religion: "Gott ist wie die Affenmutter, der Mensch wie das Affenkind. Es klammert sich an der Mutter fest, und so wird es von Ast zu Ast getragen. Die Seele des Menschen kann nicht von selbst in den Himmel gelangen; sie muss sich an Gott festklammern. Und wenn sie den Himmel nicht erreicht, trägt sie selber die Schuld."

Neben einer Hütte sehen die drei Männer dann eine weiße Katze, die ihr Junges im Maul davon trägt. Der Hindu aus der Tenkalai-Sekte erklärt daran seine Religion: "Gott ist wie die Katzenmutter, der Mensch wie das junge Kätzchen. Die Seele des Menschen kann nicht von selbst in den Himmel kommen. Gott muss sie in den Himmel tragen. Und Gott trägt die, die er will."

Auf ihrem weiteren Weg sehen die Männer auf einem Bauernhof eine Henne mit ihren kleinen Küken. Plötzlich ruft die Henne ihre Küken dringlich zusammen. Sie folgen dem Ruf der Mutter und verstecken sich unter ihren Flügeln. Denn über dem Hof kreist bedrohlich der Habicht. Der Christ erklärt daran seinen Glauben: "Jesus ist wie die Henne, und die Menschen sind wie die kleinen Küken. Wir Menschen können uns nicht mit unserer Kraft an Gott festklammern wie das Affenjunge. Und Jesus gebraucht auch keine Gewalt und nimmt uns einfach in den Griff wie die Katze. Jesus ruft und lockt die Menschen wie die Henne ihre Küken. Wer seinen Ruf nicht hört und seine bergende Liebe nicht will, wird von anderen Mächten angetastet und verloren gehen. Wer aber auf den Ruf Jesu hört und ihm folgt, findet Schutz bei ihm wie die Küken unter den Flügeln der Henne."

Jesus sagt: "Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken versammelt unter ihre Flügel; und ihr habt nicht gewollt!"

(Matthäus 23,37)

Die zehn Gebote lackiert

In einer kleinen schwedischen Landkirche entdeckte man in einem alten Kirchenbuch kunstvoll verzierte Eintragungen aus dem Jahr 1795. Die säuberlich notierten Aufzeichnungen zeugen von dem gesunden Humor des Künstlers und des Küsters, der sie mit dem gewichtigen Amtssiegel versah und ordnungsgemäß wie folgt registrierte:

1. Das zweite Gebot verändert sowie die zehn Gebote lackiert, 3 Kronen.

2. Pontius Pilatus verputzt, neues Pelzwerk auf seinen Kragen aufge setzt sowie ihn von allen Seiten poliert, 3 Kronen.

3. Den Himmel erweitert und verschiedene Sterne eingesetzt, das ewige Höllenfeuer verbessert und dem Teufel ein vernünftiges Gesicht aufgesetzt, 15 Kronen.

4. Die heilige Magdalena, die völlig verdorben war, erneuert, 12 Kronen.

5. Die klugen Jungfrauen gereinigt sowie sie da und dort angestrichen, 10 Kronen.

6. Den Weg zum Himmel deutlicher markiert, 1 Krone.

7. Die Frau des Potiphar lackiert sowie ihr den Hals vom Schmutz gereinigt, 5 Kronen.

8. Das Rote Meer vom Fliegenschmutz gesäubert, 2 Kronen.

9. Das Ende der Welt weiter zurückgestellt, da es viel zu nahe war, 20 Kronen.

Wenn man herzhaft gelacht hat über die originelle Art des Malers, beginnt man noch einmal ernsthaft über die Eintragungen nachzudenken. Dabei fallen die billigste und die teuerste Arbeit ins Auge. "Den Weg zum Himmel deutlicher markiert", wäre das nicht für Christen das wichtigste? Für andere Menschen den Weg zu Gott, zum ewigen Leben deutlicher auf zeigen, vorleben und lieb machen, das wäre die erste und schönste Aufgabe eines christlichen "Lebenskünstlers". Das andere würde uns wirklich teuer zu stehen kommen, wenn wir eigenmächtig "das Ende der Welt zurückstellen, da es viel zu nahe war"! Gott hat sich den Zeitpunkt der Vollendung seiner Geschichte vorbehalten. Und wenn uns oft das Lebensende oder Weltende viel zu nahe erscheint, so sind das unsere eigenen törichten Gedanken über das Leben und die Welt. Wie gut, dass Gott sich hier nicht von Menschenkünstlern ins Bild pfuschen lässt. Er bleibt der Herr der Zeit und Welt. Und uns bleibt das Wachen und Beten, das Handeln und Leben, das Warten und Eilen.

"Darum wachet; denn ihr wisst nicht, welchen Tag euer Herr kommen wird! Seid bereit! Denn des Menschen Sohn kommt zu einer Stunde, da ihr’s nicht meinet!"

(Matthäus 24,42.44)

Landstreicher und Held zugleich

Ein Landstreicher in England hörte unterwegs die Schreie von Jungen. Er lief herzu und traf auf Jungen, die auf einem Bahngeleise gelaufen waren. Eines der Kinder hatte sich mit dem Fuß so unglücklich zwischen einer Schwelle und einer Stahlstange eines Signals verfangen, dass er den Fuß nicht mehr befreien konnte. Die Kameraden hatten alles versucht, ihn zu befreien, aber ohne Erfolg. Nun versuchte es der Landstreicher, drehte und zog den Fuß, band die Schuhriemen auf. Weder mit Kraft noch Geschick konnte er den Jungen befreien. Sein Schuh mit dem Fuß darin hatte sich so fest eingeklemmt, dass alle Bemühungen scheiterten. Die Unglücksstelle befand sich direkt vor dem Tunnel von Hattersley nahe der Ortschaft Mottram. Die anderen Jungen liefen in den Ort, um Hilfe zu holen. Da hörte man den Zug mit einem lauten Pfiff in den Tunnel einfahren. Jeden Moment konnte er aus dem Tunnel hervorrasen und den Jungen überfahren. Schnell drehte der Landstreicher den Fuß des Jungen unter der Stange etwas um und befahl dem Jungen, sich ganz flach auf den Gleiskörper zu legen. Um dem Kind Mut zu machen, legte sich der Mann direkt neben ihn und hielt ihn fest. Der Zug donnerte über sie hinweg, und beide konnten sich unverletzt wieder erheben. Nun kam die Hilfe aus dem Dorf, und der Fuß wurde mit viel Mühe aus seiner Gefangenschaft befreit. Der Landstreicher wurde als Held gefeiert. Aber mitten im Getümmel einer improvisierten Feier entkam er unerkannt.

Wie oft sind wir gefangen in Ängsten und Sorgen, Leiden und Zwängen. Schuld und Schicksalsmächte klemmen uns ein. Gott möchte uns daraus befreien. Und in Jesus legt sich Gott gleichsam neben uns. Jesus ist nicht in der Angst gefangen, ist nicht von der Sünde gebunden, aber er legt sich, als wäre er auch Sünder, neben uns, damit er uns losmachen kann. Jesus ist von der Macht des Todes nicht festgehalten, aber er legt sich neben uns, damit wir durch seine Liebe den Tod überwinden können. Gott ist nicht begrenzt durch Raum und Zeit. Aber er kommt in Jesus in unsere Begrenzung hinein, lebt mit uns, leidet mit uns, stirbt für uns und macht uns schließlich los von allen Gebundenheiten. Er ist der eigentliche Held des Lebens.

"Gott schaut von seiner heiligen Höhe, dass er das Seufzen der Gefangenen höre und losmache die Kinder des Todes!"

(Psalm 102,20f)

Der große Unbekannte

Sigmund Freud hat von drei Demütigungen gesprochen, die den Menschen erniedrigt hätten. Die erste Demütigung war die Entdeckung des Kopernikus. Nicht die Erde und der Mensch sind Mittelpunkt der Welt, sondern die Erde und ihr Leben drehen sich um die Sonne, die wiederum nur eine von vielen Himmelskörpern ist. Der Mensch geriet vom Mittelpunkt an den Rand, wurde vom Thron der Wichtigkeit in die Niederung der Winzigkeit hinabgestoßen.

Die zweite Demütigung war die Erkenntnis Darwins. Der Mensch ist nicht die herausgehobene Krone der Schöpfung, sondern das hochentwickelte Säugetier, der nackte Affe mit aufrechtem Gang. Der Mensch verlor seine geheimnisvolle Würde und wurde zur Verlängerung eines Tieres herabgewürdigt.

Die dritte Demütigung habe Freud selber dem Menschen zugefügt, indem er ihm den freien Willen absprach und ihn in allem Denken und Tun zum Sklaven seiner Sexualtriebe erklärte. – Wer sind wir Menschen? Winzige Zufallslaunen der Natur, eingefangen von Trieben und Ängsten? Ist unser Leben zwischen Zufall und Zerfall von Trieb und Lust eingesperrt? Zum Glück sieht die Bibel den Menschen ganz anders. Er ist Gottes Ebenbild, ein besonderes Geschöpf Gottes, eingebunden in einen wunderbaren Plan, der von der Schöpfung bis zur Vollendung des Lebens reicht. – Die einzige Demütigung fügte sich der Mensch selber zu, indem er sich von Gott abwandte und das Bild Gottes eigenwillig verzerrte. Aber Gott antwortete auch auf diese Demütigung mit einem wunderbaren Plan der Wiederherstellung. Jesus litt die Folgen dieser Demütigung bis in den Tod, die Hölle und das Gericht. Er ist das vollkommene Ebenbild Gottes und stellt in seiner erlösenden Liebe das Bild wieder her, das wir durch unsere Schuld verdorben und zerbrochen haben. Die gestörte Beziehung zwischen Gott und Mensch wird versöhnt und wieder möglich. Tief gedemütigte Menschenkinder können wieder geadelte Gotteskinder, arme Schlucker wieder freie Menschen werden.

Wir Menschen bleiben bei Gott nicht die großen Unbekannten oder die kleinen Nichtigkeiten. Durch Gottes Liebe sind wir zu Königskindern berufen. Der Demütigung der Sünde darf die Demütigung der Umkehr entsprechen. So wird uns Gott wieder einsetzen in den Adelsstand seines Reiches.

"Demütigt euch vor dem Herrn, so wird er euch erhöhen!"

(Jakobus 4,10)

Nie wieder…

Ein Pfarrer hat einen Mann zu beerdigen, der über 60 Jahre keine Kirche mehr betreten hatte. Von den Angehörigen erfährt er eine traurige Geschichte. Der Mann war eins von vielen Kindern einer armen Familie. Nur mit Mühe und Not konnten die Eltern die zahlreichen Kinder durchbringen. Als Zehnjähriger wurde der Junge zum Kindergottesdienst eingeladen. Zum ersten Mal in seinem Leben hörte er biblische Geschichten und fröhliche Glaubenslieder. Er sang begeistert mit und hörte gebannt auf die Erzählungen von Jesus. Nach dem Gottesdienst nahm ihn die Leiterin beiseite: "Junge, komm bitte mit diesen zerrissenen Alltagskleidern nicht wieder. Wir sind doch hier im Hause Gottes!" Der Junge blickte verschämt an seinen geflickten Sachen herunter auf seine nackten, dreckigen Füße und antwortete leise: "Nie wieder will ich es tun, nie wieder … !" Und das hat der Mann durchgehalten, bis er nun aufgebahrt in der Kirche lag.

Letztlich ist dieses Erlebnis keine Entschuldigung für seine Abwendung vom Glauben. Aber wie anders wäre wohl sein Leben verlaufen, wenn die Kindergottesdienstleiterin den Jungen damals in die Arme genommen und zu ihm gesagt hätte: "Junge, ich freue mich, dass du gekommen bist. Jesus hat dich ganz lieb. Komm doch bitte wieder, du bist hier immer willkommen!"

Ob uns bewusst ist, welche Verantwortung wir mit unserem Verhalten und Reden für andere Menschen und ihren Lebens- und Glaubensweg haben? Wir können nur hoffen und ringen, dass wir keinem Menschen im Wege stehen, zum Glauben an Jesus zu finden.

"Haltet den Glauben an Jesus Christus frei von aller Ansehung der Person. Denn so in eure Versammlung käme ein Armer in einem unsauberen Kleide, ist’s recht, dass ihr solchen Unterschied bei euch selbst macht und richtet nach argen Gedanken? Hat nicht Gott erwählt die Armen auf dieser Welt, dass sie am Glauben reich seien? Ihr aber habt dem Armen Unehre getan! Wenn ihr aber die Person ansehet, tut ihr Sünde!"

(aus Jakobus 2,1-9)

Der verhinderte Banküberfall

In Florenz plante Furbelone, der Leiter der Roten Brigade, einen Banküberfall. Zwei als Polizisten verkleidete Verbrecher standen am Eingang der Bank, zwei andere sollten in die Bank eindringen und den Kassierer mit Waffen zur Herausgabe des Geldes zwingen. Ein Fluchtauto mit gefälschtem Nummernschild wartete abfahrbereit. Furbelone selber saß als Bettler verkleidet auf den Stufen der gegenüberliegenden Kirche, um von dort das Einsatzzeichen für die gesamte Aktion zu geben. Gerade, als der Überfall beginnen sollte, kam eine Mutter mit ihrem kleinen Mädchen an der Hand die Treppe zur Kirche herauf, um mit dem Kind in der Kirche zu beten. Das Mädchen sah den Bettler und gab ihm ihr Pausenbrot mit einem liebevollen Blick. Verärgert wollte Furbelone das Mädchen übersehen, aber ihr kindlicher Blick und die barmherzige Geste überwanden den harten Verbrecher. Ganz tief empfand er, dass hier ein Mensch ist, der ihn mit den Augen der Liebe sieht. Anstatt das Signal zum Raubüberfall zu geben, nahm der Terrorist das Brot von dem kleinen lächelnden Kind und ging mit ihr in die Kirche. Sein Verbrecherleben war zu Ende.

"Lebt als Kinder des Lichts, die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit!"

(Epheser 5,8f)

Die echte Liebe

Ein Bauer kämpft sich durch meterhohen Schnee zu seinem hoch am Berg liegenden Hof nach Hause. Die müden Füße wollen ihn kaum mehr tragen. Immer tiefer sinkt der erschöpfte Mann in den Schnee ein. Und der Hof ist noch weit. Auf einmal ist eine alte Frau neben ihm. Ihr Gesicht ist von Sorge und Leid zerfurcht. Aber ihre Augen leuchten. Als der Bauer kaum mehr gehen kann, reicht ihm die alte Frau ihre von harter Arbeit gezeichnete Hand. Und sonderbar, die alte, zarte Frau zieht ihn besser als der stärkste Mann vorwärts. Der Bauer hält die Hand fest. Ganz warm strömt es aus der Frau zu ihm herüber. "Wer bist du?" fragt der Bauer verwundert, "und wo kommst du her?" "Ich wohne überall", sagt die Alte. "So bist du also kein Mensch?" entsetzt sich der Bauer. "Nein", sagt die Alte, "ich lebe nur unter den Menschen." "Dann bist du die Sorge, der Kummer, die Not, die jeden Menschen begleitet?" "Nein", lächelt die Frau "ich bin die Liebe, die echte Liebe!" Da bleibt der Bauer verwundert stehen und schaut auf das zerfurchte Gesicht, die rauhen Hände, das weiße Haar und den gebeugten Rücken der Alten. "Die Liebe stell ich mir anders vor. Die prangt in Schönheit, hat blühende Farben, einen roten Mund zum Küssen und einen prallen Leib zum Umarmen!"

"Ach, du meinst die Lust, die sich manchmal für die Liebe ausgibt. Nein, die Liebe ist ganz anders. Denk mal nach, wann du der Liebe in Wahrheit begegnet bist. Wie bist du auf die Welt gekommen, wer hat dich zärtlich aufgezogen, nachts gewacht und tags gesorgt, wer hat Ungerechtigkeit erduldet und mit Güte beantwortet, wer hat die Mühen und Leiden des Alltags getragen, wer hat die harten, egoistischen Herzen verwandelt? Das war immer die Liebe, die echte Liebe!"

"Du hast recht", sagt der Bauer. "Die echte Liebe hat – und darum bin ich so zerfurcht und gebeugt – das Schwerste zu tun. Sie muss überall da sein, wo Menschen in Lust und Leidenschaft Leben zerstören und Gutes versäumen. Wenn Menschen richtig leben wollen, muss ich ihnen helfen, das Leid zu tragen, ohne das es keine echte Liebe gibt. Ich muss sie stark machen zum Opfer. Die glänzenden Bilder, die verführen und bezaubern, sind nur Trug und Schein. Die echte Liebe geht von Arbeit gebeugt, von Leid gezeichnet und doch voll Kraft und Ausdauer ihren Weg!" "Warum verlässt du mich dann schon?", fragt der Bauer, als die alte Frau sich zum Gehen wendet. "Ich bin jetzt in dir, Bauer", sagt die Frau. Und sie hatte recht. Der Bauer fühlte es zwar selber nicht, aber alle anderen Menschen in seiner Umgebung fühlten es fortan.

(Nach einem japanischen Märchen)

"Durch die Liebe diene einer dem andern!"

(Galater 5,13)

Das Lied der Harfe

Als David an den Königshof Sauls kam, soll er gebeten haben, auf einer wunderschönen Harfe spielen zu dürfen, die unbenutzt im Thronraum stand. Der König antwortete, die besten Harfenspieler hätten sich daran versucht, doch die Harfe habe nur furchtbare Missklänge von sich gegeben. Aber David ließ nicht locker. Da der König Saul ihn sehr schätzte, gab er ihm schließlich doch die Erlaubnis, auf der Harfe zu spielen. Als David sein Spiel beendet hatte, weinten alle Leute des Hofes vor Rührung und Bewegung, weil die Musik so wunderbar und hinreißend klang. Der König fragte David nach seinem Geheimnis. Und David erklärte ihm: "Alle anderen Spieler versuchten, der Harfe ihre eigenen Lieder aufzuzwingen. Doch da weigerte sie sich. Ich spielte auf der Harfe ihr eigenes Lied. Habt ihr gehört, wie sie lachte, als ich sie an die Zeit als junger Baum erinnerte, ihr von den hellen Sonnenstrahlen erzählte, die durch ihre Zweige glitzerten, von den singenden Vögeln in ihren Ästen und den Liebespaaren in ihrem Schatten? Hörtet ihr sie weinen, als ich sie an jenen Tag erinnerte, als sie gefällt wurde und ihr Leben als Baum endete? Aber habt ihr auch gehört, wie sie jubelte, als ich mit ihr sang von der Auferstehung zu einer wunderbaren Harfe, von der hohen Berufung, zu Gottes Ehren und der Menschen Freude zu erklingen?"

Unser Leben gleicht einer solchen Harfe. Wie oft versuchen uns die Spieler ihre Lieder aufzuzwingen. Andere wollen uns benutzen für ihre Lieder von Geld und Macht, Ruhm und Eitelkeit, Leistung und Fortschritt, aber auch von Sinnlosigkeit und Resignation, von Tod und Vergänglichkeit. Dann geben wir nur Misstöne von uns, und unser Leben klingt so schaurig und verstimmt.

Gott möchte mit uns unser Lied spielen, das Lied von einer großen Sehnsucht nach Liebe und einer tiefen Erfüllung in Jesus.

"Gott hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben. Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?"

(Römer 8,32)