Versteht mich niemand?

Ein Mädchen kommt weinend zu mir und sagt: „Niemand versteht mich!“ Ich sage: „Du hast Eltern, die sich Mühe geben mir dir.“ „Ja, aber richtig verstehen können sie mich nicht!“ Ich frage: „Hast du Freundinnen und Freunde, mit denen du reden und deine Gedanken teilen kannst?“ „Ja, die sind alle nett zu mir, aber mein Innerstes, was mich letztlich bewegt, verstehen sie auch nicht.“ Dann sage ich zu ihr: „Verstehst du dich denn selbst?“ Da hören die Tränen plötzlich auf, und nachdenklich sagt das Mädchen: „Ich verstehe mich ja selber nicht ganz!“

Ja, wir können uns selbst und einander nicht ganz verstehen. Das gehört mit zu uns Menschen jenseits von Eden. Wir sind einander wie ein Versprechen, das nicht gehalten werden kann. Wir können uns im Letzten nicht verstehen. In den Höhen des Glücks, in den Tiefen des Leides, in den letzten Fragen nach Wahrheit, in der Ein-samkeit des Todes, in der Verantwortung vor Gott können wir uns das Leben letztlich nicht teilen. Es bleibt ein Rest Einsamkeit. Das gehört zu uns Menschen nach Adam und Abel, nach Kain und Babel. Das gehört mit zur Last des entfremdeten Menschen.

Die Einmaligkeit des Menschen ist immer auch seine Einsamkeit. Aber Gott in seiner Liebe teilt unser Leben in einem ganz tiefen und restlosen Verstehen. Sein Mitwissen mit uns wird ein Mitleben, Mitfreuen, Mitleiden, Mitsterben und Für-uns-Auferstehen. Einer versteht mich!

„Wie er die Seinen geliebt hatte, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende!“
(Johannes 13,1)

Aus Axel Kühner: „Überlebensgeschichten für jeden Tag“
Aussaat-Verlag, Neukirchen-Vluyn
ISBN 3-7615-1612-6

Versandete Tage

Herr mein Gott – es gibt Tage,
an denen alles versandet ist:
die Freude, die Hoffnung,
der Glaube, der Mut.

Es gibt Tage, an denen
ich meine Lasten
nicht mehr zu tragen vermag:
meine Krankheit, meine Einsamkeit,
meine ungelösten Fragen, mein Versagen.

Herr, mein Gott,
lass mich an solchen Tagen erfahren,
dass ich nicht allein bin,
dass ich nicht durchhalten muss
aus eigener Kraft,
dass du mitten in der Wüste
einen Brunnen schenkst
und meinen übergroßen Durst stillst.

Lass mich erfahren,
dass du alles hast und bist,
dass ich in dir wiederfinde,
was ich verloren habe.
Lass mich glauben,
dass du meine Wüste
in fruchtbares Land
verwandeln kannst.

(nach Sabine Naegeli)

„Die Wüste und Einöde wird frohlocken, und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie die Lilien. Sie wird blühen und jubeln in aller Lust und Freude. Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Saget den verzagten Herzen: seid getrost und fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott!“
(Jesaja 35, 1-4)

Aus Axel Kühner: „Zuversicht für jeden Tag“
Aussaat-Verlag, Neukirchen-Vluyn
ISBN 3-7615-5083-9

Trost erfahren

In einem kleinen Dorf wohnte ein großes Glück. Ein Mann und eine Frau bekamen ein Mädchen, das der Sonnenschein aller wurde. Eines Tages wurde das Kind vor den Augen der Eltern auf der Straße überfahren. Das ganze Dorf nahm Anteil an der Trauer der Eltern. Auch nach über einem Jahr war die Mutter über den Verlust ihres Kindes untröstlich. Sie konnte keine Kinder mehr spielen sehen ohne bittere Gedanken. Langsam wuchsen in ihr Hass und Zorn, Neid und Eifersucht auf alles Lebendige und Gesunde. In ihren Gedanken lebten alle Menschen glücklich und zufrieden. Nur sie war geschlagen und voller Leid.

In ihrer Not ging sie zum Pfarrer. Der bat sie, durch das Dorf zu gehen und sich aus jedem Haus, in dem kein Leid wohnt, eine Blume zu erbitten. Mit dem Strauß sollte sie dann nach einer Woche wieder kommen. Die Frau ging durch ihr Dorf von einem Haus zum anderen. Als sie nach einer Woche zum Pfarrer kommt, hat sie nicht eine einzige Blume, aber einen Strauß von Erfahrungen. Sie musste erleben, dass in jedem der Häuser ein Leid wohnt, eine Not ist und Trost nötig war. So konnte sie manchen Leuten aus ihrer eigenen Schmerzerfahrung raten und beistehen. Das war der Anfang einer inneren Heilung.

Aus Axel Kühner: „Voller Hoffnung“
Aussaat-Verlag; Neukirchen-Vluyn
ISBN 3-7615-5327-7

Trauer und kein Trost

In seinem berühmten Roman „Die Brüder Karamasow“ erzählt Dostojewski von einer Mutter, die über den Verlust ihres kleinen Jungen so untröstlich und verzweifelt ist, dass sie den bekannten Starzen Sosima um Rat und Trost bittet. „Es ist“, sagte der Starze, „es ist wie in uralten Zeiten: „Rahel beweinte ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, denn es war aus mit ihnen.“ So ist nun mal das Los, das euch Müttern auf Erden beschieden ist. Tröste dich also nicht, du brauchst dich nicht zu trösten, tröste dich nicht und weine, nur rufe dir jedes Mal, wenn du weinst, fest ins Gedächtnis, dass dein Söhnchen einer von den Engeln Gottes ist, von dort auf dich hernieder schaut und dich sieht, sich über deine Tränen freut und Gott den Herrn auf sie hinweist. Und lange noch wird dir dieses heilige mütterliche Weinen auferlegt sein, doch schließlich wird es sich wandeln in eine stille Freude, und deine bitteren Tränen wer-den dann Tränen einer stillen Rührung sein und einer Läuterung des Herzens, die von Sünden bewahrt. Deines Kindleins aber will ich in meinem Gebet gedenken, auf dass Gott seiner Seele Ruhe schenke.“

„So spricht der Herr: Man hört Klagegeschrei und bitteres Weinen in Rama. Rahel weint über ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen über ihre Kinder, denn es ist aus mit ihnen. Aber so spricht der Herr: Lass dein Schreien und die Tränen deiner Augen, denn deine Mühe wird noch belohnt werden, spricht der Herr: Sie sollen wiederkommen aus dem Landes des Feindes!“
(Jeremia 31,15f)

Aus Axel Kühner: „Zuversicht für jeden Tag“
Aussaat-Verlag, Neukirchen-Vluyn
ISBN 3-7615-5083-9

Stark gemacht

Eine Legende aus der Sahara erzählt, dass ein missgünstiger Mann in einer Oase eine besonders schöne, junge Palme heranwachsen sah. Da er von Neid auf alles Junge, Hoffnungsvolle erfüllt war, wollte er die schöne Palme verderben. Er nahm einen schweren Stein und legte ihn mitten auf die junge Krone. Der junge Baum schüttelte sich, aber es gelang ihm nicht, den Stein abzuwerfen. Da entschloss er sich, mit der Last zu leben. Er grub seine Wurzeln tiefer in die Erde, sodass die Äste kräftig genug wurden, den schweren Stein zu tragen.

Nach Jahren kam der Mann zurück, um sich an dem verkrüppelten Baum zu erfreuen. Aber er suchte ihn vergebens. Die Palme, inzwischen zur größten und stärksten der ganzen Oase herangewachsen, sagte zu dem Mann: „Ich muss dir danken, deine Last hat mich stark gemacht!“

Aus Axel Kühner: „Voller Hoffnung“
Aussaat-Verlag, Neukirchen-Vluyn
ISBN 3-7615-5327-7

Segensgebet

Der Herr sei vor dir, um dir den rechten Weg zu zeigen.
Der Herr sei neben dir, um dich in die Arme zu schließen, um dich zu schützen gegen Gefahren.
Der Herr sei hinter dir, um dich zu bewahren vor der Heimtücke des Bösen.
Der Herr sei unter dir, um dich aufzufangen, wenn du fällst.
Der Herr sei in dir, um dich zu trösten, wenn du traurig bist.
Der Herr sei um dich herum, um dich zu verteidigen, wenn andere über dich herfallen.
Der Herr sei über dir, um dich zu segnen.
So segne dich der gütige Gott heute und morgen und immer. Amen

Patrik, Apostel von Irland

Leben ist Einsamsein

Ein einzigartiges Leben ist immer auch ein einsames Leben. Zu der Einmaligkeit des Menschen gehört auch seine Einsamkeit. Weil wir einzig sind, sind wir auch einzeln.
Ein Same wird ausgebracht, und durch die Schmerzen der „Einsamkeit“ wird vielfältige Frucht eingebracht. Das ist die Fülle und die Freude des Lebens. Die fruchtbare Einsamkeit ist also die, ein ganzer Mensch zu sein, der ausgesät wird und Frucht des Lebens bringt.
Die furchtbare Einsamkeit ist die, als Same erhalten zu bleiben und am Ende ganz allein zu sein.
Einsamkeit hat immer zwei Gesichter, ein freundliches und ein schreckliches. Das freundliche Gesicht der Einsamkeit blickt uns liebevoll an und ermutigt uns, in der Einsamkeit zu uns selber, zum Wesentlichen, zum Schöpferischen zu finden. Das düstere Gesicht der Einsamkeit erschreckt uns mit der Aussicht, ohne einen Lebenszusammenhang allein und verlassen zu bleiben..

„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, so bleibt es allein (furchtbare Einsamkeit!). Wenn es aber erstirbt, so bringt es viel Frucht (fruchtbare Einsamkeit)
(Johannes 12,2-4)

Aus Axel Kühner: „Eine gute Minute“
Aussaat-Verlag; Neukirchen-Vluyn
ISBN 3-7615-1571-5

Keine Hände

Einem afrikanischen Christen wurde seine siebzehnjährige Tochter durch den Tod genommen. Trauer erfüllt die ganze Familie. Aber sie waren auch getröstet durch die Hoffnung auf ein ewiges Leben. Auf das Grab der Tochter setzte der Vater ein schlichtes Holzkreuz und schrieb die Worte darauf: „Der Tod hat keine Hände!“ – Als der Missionar ihn fragte, was die Inschrift bedeuten solle, gab der Vater zur Antwort: „Ich weiß, dass mir der Tod mein Kind nicht wegnehmen und auf ewig festhalten kann, sondern ich werde es bei Jesus wiedersehen. Der Tod hat ja seit Ostern keine Hände mehr!“

Nein, der Tod hat keine Hände. Aber Gott hat starke Hände, die uns bis in Ewigkeit festhalten. Jesus sagt von Menschen, die ihm im Glauben gehören: „Der Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus meines Vaters Hand reißen!“ (Johannes 10,29)

Aus Axel Kühner: „Voller Hoffnung“
Aussaat-Verlag; Neukirchen-Vluyn
ISBN 3-7615-5327-7

Gott wird dich tragen

Gott wird dich tragen, drum sei nicht verzagt,
treu ist der Hüter, der über dich wacht.
Stark ist der Arm, der dein Leben gelenkt,
Gott ist ein Gott, der der Seinen gedenkt.

Gott wird dich tragen mit Händen so lind.
Er hat dich lieb wie ein Vater sein Kind.
Das steht dem Glauben wie Felsen so fest:
Gott ist ein Gott, der uns nimmer verlässt.

Gott wird dich tragen, wenn einsam du gehst;
Gott wird dich hören, wenn weinend du flehst.
Glaub´ es, wie bang dir der Morgen auch graut:
Gott ist ein Gott, dem man kühnlich vertraut.

Gott wird dich tragen durch Tage der Not;
Gott wird dir beisteh´n in Alter und Tod.
Fest steht das Wort, ob auch alles zerstäubt:
Gott ist ein Gott, der in Ewigkeit bleibt.

Text: Walter Rauschenbusch

Glück oder Unglück

Eine Parabel aus China erzählt von einem armen Bauern, der einen kleinen Acker mit einem alten, müden Pferd bestellte und mehr schlecht als recht mit seinem einzigen Sohn davon lebte. Eines Tages lief ihm sein Pferd davon. Alle Nachbarn kamen und bedauerten ihn wegen seines Unglücks. Der Bauer blieb ruhig und sagte: „Woher wisst ihr, dass es Unglück ist?“ In der nächsten Woche kam das Pferd zurück und brachte zehn Wildpferde mit. Die Nachbarn kamen und gratulierten ihm zu seinem großen Glück. Der Bauer antwortete bedächtig: „Woher wisst ihr, dass es Glück ist?“ Der Sohn fing die Pferde ein, nahm sich das wildeste und ritt darauf los. Aber das wilde Pferd warf ihn ab, und der Sohn brach sich ein Bein. Alle Nachbarn kamen und jammerten über das Unglück. Der Bauer blieb wieder ruhig und sagte: „Woher wisst ihr, dass es ein Unglück ist?“ Bald darauf brach ein Krieg aus, und alle jungen Männer mussten zur Armee. Nur der Sohn mit seinem gebrochenen Bein durfte zu Hause bleiben.

Aus Axel Kühner: „Voller Hoffnung“
Aussaat-Verlag, Neukirchen-Vluyn
ISBN 3-7615-5327-7