Wo Gott wohnt

Zwei Brüder wohnten einst auf dem Berg Morija. Der jüngere war verheiratet und hatte Kinder. Der ältere war unverheiratet und allein. Die beiden Brüder arbeiteten zusammen. Sie pflügten ihre Felder zusammen und streuten gemeinsam das Saatgut auf das Land. Zur Zeit der Ernte brachten sie das Getreide ein und teilten die Garben in zwei gleich große Stöße, für jeden einen Stoß Garben.

Als es Nacht geworden war, legte sich jeder der beiden Brüder bei seinen Garben zum Schlafen nieder. Der Ältere aber konnte keine Ruhe finden und dachte bei sich:" Mein Bruder hat Familie, ich dagegen bin allein und ohne Kinder, und doch habe ich gleich viele Garben genommen wie er. Das ist nicht recht!"

Er stand auf und nahm von seinen Garben und schichtete sie heimlich und leise zu den Garben seines Bruders. Dann legte er sich wieder hin und schlief ein.

In der gleichen Nacht, geraume Zeit später, erwachte der Jüngere. Auch er musste an seinen Bruder denken und sprach in seinem Herzen: "Mein Bruder ist allein und hat keine Kinder. Wer wird in seinen alten Tagen für ihn sorgen?"

Und er stand auf, nahm von seinen Garben und trug sie heimlich und leise hinüber zu dem Stoß des Älteren.

Als es Tag wurde, erhoben sich die beiden Brüder. Und jeder war erstaunt, dass die Garbenstöße die gleichen waren wie am Abend zuvor. Aber keiner sagte darüber zum anderen ein Wort. In der zweiten Nacht wartete jeder ein Weilchen, bis er den anderen schlafen wähnte. Dann erhoben sich beide und jeder nahm von seinen Garben, um sie zum Stoß des anderen zu tragen. Auf halbem Weg trafen sie aufeinander, und jeder erkannte, wie gut es der andere mit ihm meinte. Da ließen sie ihre Garben fallen und umarmten einander in herzlicher und brüderlicher Liebe.

Gott im Himmel aber schaute auf sie herab und sprach: "Heilig ist mir dieser Ort. Hier will ich unter den Menschen wohnen!"

(Nach Nicolai Erdelyi)

"Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebet, gleichwie ich euch liebe!"

(Johannes 15,12)

Ton in Ton

Mit wie viel Liebe richten wir unsere Wohnungen ein. Wir verwenden große Sorgfalt auf die Ausgestaltung unserer Lebensräume. Mit Phantasie und Geschmack wählen wir die Dinge aus, die ein Heim schön und gemütlich machen. Vorhänge und Teppiche harmonieren, Möbel und Tapeten passen gut zueinander, Lampen und Bilder sind fein aufeinander abgestimmt. Wunderbare Farben, herrliche Formen, alles Ton in Ton, stilvoll, wertvoll, schön und angenehm.

Viele Familien lassen es sich etwas kosten, um in harmonischen Räumen zu leben. Aber wir denken zu wenig an die Harmonie untereinander. Leben Mann und Frau, Eltern und Kinder, Brüder und Schwestern auch Ton in Ton miteinander? Wie viel wichtiger ist die Übereinstimmung der Herzen und Seelen. Erst die Liebe und das Vertrauen zueinander machen eine Wohnung zu einem Heim. Nicht Teppiche und Möbel, wohl aber Verständnis und Geduld, Achtung und Wertschätzung der Menschen untereinander machen die Wärme und Geborgenheit eines Hauses aus. Wie viele Lebenskräfte wenden Menschen auf, um sich ein Haus zu bauen, einzurichten und zu erhalten! Und wie viele Lebenskräfte investieren wir in die größere Aufgabe der Harmonie untereinander?

Mit wie viel Hingabe polieren wir unsere Autos. Jeder Fleck wird mit Sorgfalt beseitigt. Ein Kratzer am "heiligen Blech" oder gar eine Beule bedeuten ein großes Unglück. Aber die Kratzer in den Seelen und die Verletzungen in den Herzen unserer Nächsten lassen wir unbehandelt. Die wirklich wichtigen Werte des Lebens, die Herzen und die Beziehungen, Liebe und Familie, Freundschaft und Nachbarschaft, lassen wir ungepflegt und verkommen und rasen mit blinkenden Autos ins Abseits des Lebens.

Bei Gott gehen Menschen vor Sachen und Herzen vor Material. Lieber ein zerkratztes Auto und eine heile Familie. Lieber einen Teppich weniger und eine gemeinsame Freude mehr. Ton in Ton unter den Menschen ist wichtiger als unter den Möbeln.

"Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen!"

(I. Korinther 13,13)

Der Traum vom Glück

"Es war einmal ein Prinz, weit drüben im Märchenlande. Weil der nur ein Träumer war, liebte er es sehr, auf einer Wiese nahe dem Schlosse zu liegen und träumend in den blauen Himmel zu starren. Denn auf dieser Wiese blühten die Blumen größer und schöner als sonst wo. Und der Prinz träumte von weißen Schlössern mit hohen Spiegelfenstern und leuchtenden Söllern.

Es geschah aber, dass der alte König starb. Nun wurde der Prinz sein Nachfolger. Und der neue König stand nun oft auf den Söllern seines weißen Schlosses mit den hohen Spiegelfenstern. Und er träumte von einer kleinen Wiese, wo die Blumen größer und schöner blühten als sonst wo!

Dies Märchen von Bertolt Brecht erinnert uns daran, dass wir das Glück immer dort vermuten, wo wir nicht sind. Immer das, was andere haben oder woanders ist, wäre das Glück. So sind wir mehr vom Fehlenden bestimmt als von dem Vorhandenen erfüllt. Die Macht des Fehlenden gewinnt über uns eine traurige Gewalt. Wir übersehen das Glück, das wir haben, indem wir von dem Glück träumen, das woanders wohnt. So betrügen wir uns selbst um ein fröhliches und dankbares Leben. Lassen wir uns von der Macht des Fehlenden erlösen und zu einem Blick für das Vorhandene befreien.

"Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen!"

(I. Thessalonicher 5,16-18)

Der wirkliche Reichtum

Es war einmal ein kleines Mädchen, dem waren Vater und Mutter gestorben, und es war so arm, dass es kein Zimmer mehr hatte, darin zu wohnen, und kein Bett mehr, darin zu schlafen, und endlich gar nichts mehr als die Kleider auf dem Leib und ein Stück Brot in der Hand, das ihm ein mitleidiger Mensch geschenkt hatte. Es war aber gut und fromm. Und weil es von aller Welt verlassen war, ging es im Vertrauen auf Gott hinaus. Da begegnete ihm ein armer Mann, der sprach: "Ach, gib mir etwas zu essen, ich bin so hungrig" Das Mädchen reichte ihm das ganze Stück Brot und sagte: "Gott segne dir’s", und ging weiter.

Da kam ein Kind, das jammerte und sprach: "Es friert mich so an meinem Kopfe, schenk mir etwas, womit ich ihn bedecken kann." Da nahm das Mädchen seine Mütze ab und gab sie ihm.

Und als das Mädchen noch eine Weile gegangen war, kam wieder ein Kind und hatte keinen Pullover an und fror: da gab es ihm seinen; und noch weiter, da bat ein Kind um einen Rock, den gab es auch von sich hin.

Endlich gelangte das Mädchen in einen Wald, und es war schon dunkel geworden. Da kam noch ein Kind und bat um ein Hemd, und das Mädchen dachte: ‚Es ist dunkle Nacht, da sieht dich niemand, du kannst wohl dein Hemd weggeben‘, und zog das Hemd ab und gab es auch noch hin. Und wie das Mädchen so stand und gar nichts mehr hatte, fielen auf einmal die Sterne vom Himmel und waren lauter silberne Taler. Und ob das Mädchen gleich sein Hemd weggegeben hatte, so hatte es ein neues an, und das war vom allerfeinsten Linnen. Da sammelte es die Taler hinein und war reich für sein Lebtag.

(Brüder Grimm)

"Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen!"

(Matthäus 5,7)

Himmel und Hölle gewinnen

Ein Rabbi bat Gott einmal darum, den Himmel und die Hölle sehen zu dürfen. Gott erlaubte es ihm und gab ihm den Propheten Elia als Führer mit. Elia führte den Rabbi zuerst in einen großen Raum, in dessen Mitte auf einem Feuer ein Topf mit einem köstlichen Gericht stand. Rundum saßen Leute mit langen Löffeln und schöpften alle aus dem Topf. Aber die Leute sahen blass, mager und elend aus. Denn die Stiele ihrer Löffel waren viel zu lang, so dass sie das herrliche Essen nicht in den Mund bringen konnten.

Als die Besucher wieder draußen waren, fragte der Rabbi den Propheten, welch ein seltsamer Ort das gewesen sei. Es war die Hölle.

Daraufhin führte Elia den Rabbi in einen zweiten Raum, der genau aussah wie der erste. In der Mitte des Raumes brannte ein Feuer, und dort kochte ein köstliches Essen. Leute saßen ringsum mit langen Löffeln in der Hand. Aber sie waren alle gut genährt, gesund und glücklich. Sie versuchten nicht, sich selbst zu füttern, sondern benutzten die langen Löffel, um sich gegenseitig zu essen zu geben. Dieser Raum war der Himmel!

"Siehe, wie fein und lieblich ist’s, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen! Dort verheißt der Herr den Segen und Leben bis in Ewigkeit!"

(Psalm 133,1.3)

Mit Augen des Glaubens

Ein Mann wird von seinen Arbeitskollegen wegen seiner hässlichen Frau verspottet Er bleibt ruhig und antwortet ihnen: "Wenn ihr meine Augen hättet, fändet ihr sie auch schön!"

So ist es mit dem Glauben und der Liebe. Mit Augen der Liebe gesehen, sind die Menschen schön. Oft genug ist unser Leben grausam entstellt durch Lüge und Neid, Streit und Eifersucht. Aber mit den Augen der Liebe gesehen, sieht alles ganz anders aus. Auch die oft so kümmerliche Gestalt der christlichen Gemeinde sehen wir mit Augen des Glaubens in einem ganz anderen Licht. Da ist die Gemeinde der Leib und das Eigentum Christi, das wächst und ausreift zur Vollendung. Oder die Gemeinde erscheint als die Braut Christi, die zur Hochzeit zubereitet wird.

Mit Augen der Liebe gesehen, bekommt alles einen anderen Glanz und eine Schönheit, die von innen nach außen strahlt. Ohne die Augen der Liebe wären wir alle hässlich und unansehnlich. Aber Gott sieht uns mit den Augen seiner unendlichen Liebe. Das ist unsere Chance. Gott sieht über unsere Fehler und Schwächen, Sünden und Entstellungen nicht hinweg, aber er sieht darüber die Möglichkeit, durch seine Liebe verwandelt zu werden in sein Bild. Gott sieht in seiner Liebe über uns das Bild seines Sohnes, Jesus Christus.

"Hat nicht Gott erwählt die Armen auf dieser Welt, dass sie am Glauben reich seien und Erben des Reichs, welches er verheißen hat denen, die ihn lieb haben?"

(Jakobus 2,5)

Durch den Horizont sehen

Mit Tränen in den Augen zimmert der Missionar den kleinen Sarg für seinen gestorbenen Jungen. Drei kleine Kinder ließen die Missionarsleute in ihrer Heimat. Zu ihrer Freude wurde ihnen vor einem Jahr das vierte Kind hier im Papuadorf in Neuguinea geboren. Wie hatten die Eingeborenen das kleine, weiße Menschenkind bestaunt. Wie hatten sie gelacht, wenn der kleine Junge seine Händchen nach ihnen ausstreckte. Nun lag der kleine Sonnenschein kalt und tot da, und der Vater zimmerte den Sarg. Von ferne standen die Dorfbewohner. Einige wagten sich in die Nähe des Missionars. Einer sagte: "Dein Sohn ist tot, werdet ihr nun fortgehen?" "Nein", erwiderte der Missionar, "wir bleiben hier." Nachdenklich schaute der Mann dem Missionar zu. Dann begann er wieder: "Aber ihr werdet auch einmal sterben, was machen dann eure Kinder?" "Da haben wir keine Sorge, die sind in Gottes Hand." "Missionar", sagte der Eingeborene, "was seid ihr Jesusleute doch für Menschen. Ihr fürchtet den Tod nicht, und ihr könnt durch den Horizont sehen!" "Ja", sagte der Missionar, "wir können durch den Horizont sehen!" Und wie er so spricht, fällt ihm ein, dass es in der Papuasprache kein Wort für Hoffnung gibt. Das war ein gutes Wort für Hoffnung. Hoffnung haben heißt durch den Horizont sehen. Dorthin sehen, wo Jesus ist – die Hoffnung für die ganze Welt.

"Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden, denn Gottes Liebe ist ausgegossen in unser Herz!"

(Römer 5,5)

Wo das Glück zu finden ist

Es waren zwei Mönche, die lasen einmal miteinander in einem alten Buch, in welchem die Weisheit und Wahrheit geschrieben stehen: Am Ende der Welt gäbe es einen Ort, an dem der Himmel und die Erde sich berühren, an dem also das große Glück zu finden ist. Sie beschlossen, diesen Ort zu suchen und nicht umzukehren, ehe sie ihn gefunden hätten.

So durchwanderten die beiden die Welt, bestanden unzählige Gefahren, erlitten alle Entbehrungen, die eine Wanderung durch die ganze Welt erfordert; und alle Versuchungen, die einen Menschen von seinem Ziel abbringen können, wehrten sie ab.

Eine Tür sei dort, so hatten sie gelesen. Man brauche nur anzuklopfen und befinde sich bei Gott.

Schließlich fanden sie, was sie suchten. Sie klopften an die Tür. Bebenden Herzens sahen sie, wie sich die Tür öffnete. Und als sie eintraten und die Augen erhoben, fand sich jeder in seiner Klosterzelle.

Da begriffen sie: Der Ort, wo das große Glück zu finden ist, ja wo Gott begegnet, befindet sich nicht am Ende der Welt, sondern hier auf dieser Erde, an der Stelle, die uns Gott zugewiesen hat.

Auf der Durchreise

Im 19. Jahrhundert lebte in Polen ein bekannter jüdischer Rabbi mit Namen Hofetz Chaim. Zu ihm kam eines Tages ein Besucher, um einen Rat von ihm zu erbitten. Als der Mann sah, dass die Wohnung des Rabbi aus einem winzigen Zimmer bestand, in dem sich nur eine Bank, ein Tisch mit Stuhl und viele Bücher befanden, fragte er den Rabbi verwundert: "Meister, wo haben Sie Ihre Möbel und den Hausrat?" "Wo haben Sie Ihre?" erwiderte der Rabbi. "Meine?" fragte der verblüffte Fremde, "ich bin doch nur zu Besuch hier. Ich bin doch nur auf der Durchreise!" "Ich auch!" sagte Hofetz Chaim.

Unser Leben ist eine wunderbare Reise. Beschweren wir uns nicht mit zuviel unnutzem Ballast. Wir haben ein großes Ziel und ein wunderbares Zuhause bei Gott. Bis dahin sind wir auf der Durchreise.

"Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir!"

(Hebräer 13,14)

"Allmächtiger!"

Drei Jungen auf einem Spielplatz unterhalten sich. Der eine will witziger und wichtiger sein als der andere. Einer beginnt: "Mein Onkel ist Pfarrer. Wenn der auf die Straße geht, grüßen die Leute und sagen, Hochwürden!… Der zweite Junge antwortet: "Ich habe einen Onkel, der ist Kardinal. Wenn der durch die Stadt geht, ziehen die Leute den Hut und sagen, Eminenz!… Der dritte Junge wirft ein: "Das ist doch gar nichts. Ich habe einen Onkel, der ist so dick, wenn der auf die Straße geht, drehen sich die Leute um und rufen Allmächtiger!…

Tausendmal gedankenlos und missbräuchlich als Ausruf des Staunens hingeworfen: "Allmächtiger!" Einmal wäre es als Staunen und Wundern, als Überraschung und Anbetung zugleich am Platz, wenn wir es betend zu Gott sagen: "Allmächtiger!" Gott ist der einzige, der diesen Anruf rechtfertigt. Gott hält alle Macht in seinen Händen. Er ist der Herr der Schöpfung, der Machthaber der Welt, der Gebieter der Geschichte, der König des Lebens, der Sieger über den Tod, der Herr über Zeit und Ewigkeit. Gott ist der Erste und der Letzte, der Einzige und Wahre, der Lebendige und Ewige. Seine Macht hat keine Grenzen, seine Herrschaft kein Ende, seine Größe kein Beispiel. Wir sehen Gottes Macht in der Schöpfung der Welt, in der Geschichte seines Volkes, in der Erlösung der Menschen, in der Überwindung des Todes in der Auferstehung Jesu. Mit Augen des Glaubens sehen wir Gottes Allmacht überall.

Aber das eigentlich Überraschende und Staunenswerte an der Größe Gottes ist, dass er seine Allmacht an die vollkommene Liebe gebunden hat. Der Machthaber der Welt ist zugleich der Liebhaber des Lebens. Niemand wird unser Leben so liebhaben, versorgen und bedenken können wie der lebendige Gott. Der Weltenherrscher ist der beste Freund unseres Lebens. Gottes Macht ist darin so herrlich, dass sie eine Macht der Liebe ist. Und Gottes Liebe ist darin so stark, dass sie eine alles überwindende Liebe ist. Weil Gott in Jesus Christus der Machthaber der Welt und der Liebhaber des Lebens ist, dürfen wir getrost zu ihm Zuflucht nehmen.

"Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe!"

(Psalm 91,1f)