Heute noch

Herr, Jahre verrinnen,
Jahre beginnen,
immer wieder 365 Tage und 365 mal
deine Frage:
"Beginnst du heute?"

Herr, du hast mich gefragt,
du hast mir gesagt:
"Ungeteilt will ich dich ganz
für mich. Heute noch!"
Jedesmal an 365 Tagen wusste ich
nur eines zu sagen:
"Heute habe ich andere Sorgen.
Komm morgen!"

Und am nächsten Tag? Da gab es
zu arbeiten, zu lesen,
Geld zu verdienen und Spesen.
"Heute", so sagte ich, fehlt mir
die Zeit, die Stimmung, der Mut,
die Gelegenheit.
Heute kann ich den Anfang nicht
wagen, dir ganz zu leben,
dein Kreuz zu tragen.
Morgen vielleicht! Morgen!"

Herr, wie soll ich es nennen,
wie bekennen, was ich getan?!
Ich bot dir an:
Gebet, Almosen, Kirchgang,
frommen Verein,
um mich zu befrein
von deinem Verlangen:
dir ganz anzuhangen, dir ganz
zu leben auf allen Wegen.

Herr, ich wollte dir dienen,
aber nur stundenweis;
ich wollte dir folgen,
aber nicht immer;
ich wollte dein Kreuz tragen,
aber kein schweres;
ich wollte Opfer bringen,
aber nicht mich;
ich wollte lieben,
aber nicht zu sehr;
ich wollte anfangen,
aber erst morgen.

Herr, noch ist dein Drängen
nicht verstummt,
noch fragt dein Mund:
"Beginnst du heute?"
Verzeih, Herr, was ich getan,
jetzt biet‘ ich dir an:
Mein Leben, mich selbst;
dir ganz zu dienen,
zu folgen auf allen Wegen;
dein Kreuz zu tragen;
zu lieben aus ganzem Herzen,
aus ganzer Seele.
Heute noch will ich beginnen.
Heute – nicht morgen!

(P. Roth)