Die gleiche Sonne
"Die gleiche Sonne, die das Wachs weich macht, macht den Lehm steinhart!" heißt ein Sprichwort aus Asien. Die gleiche Sonne des Glücks Gesundheit und Reichtum, Kraft und Vermögen, Wohlbefinden und Freude – macht die einen dankbar und zufrieden, offen und barmherzig, andere dagegen hart und geizig, egoistisch und gierig, verschlossen und düster. Die Sonne des Glücks lässt die einen aufblühen und reifen, die anderen verkümmern und scheitern. Es ist gar nicht so einfach, auf der Sonnenseite des Lebens menschlich und warm, dankbar und weich zu bleiben. Viel öfter werden die Menschen hart und lieblos.
Aber auch die Hitze des Leids – Unglück und Krankheit, Trauer und Enttäuschung, Sorgen und Einsamkeiten – kann beides bewirken. Einmal werden leidgeprüfte Menschen weich und offen, empfänglich und dankbar, dann wieder bitter und trotzig, hart und verschlossen. Die gleiche Glut der Leiden lässt die einen in letzte Weiten ausreifen und andere in Klage und Anklage, bitteren Vorwürfen und quälenden Fragen zerbrechen.
Auf beiden Seiten des Lebens, im Glück und im Leid, können Menschen reifen und scheitern, wachsen und verkümmern, weich oder hart werden. Es liegt wohl nicht an der Seite, sondern am Menschen, in welche Richtung er durch die Sonne geformt und verändert wird.
Die beiden Schächer am Kreuz auf dem Hügel Golgatha sind dafür ein eindrückliches Beispiel. Sie sind in genau derselben Situation: ein verpfuschtes Leben hinter sich, den Tod am Kreuz vor sich, die glühende Sonne über sich, den spottenden Pöbel unter sich, die rasenden Schmerzen in sich und den Heiland der Weit neben sich. Der eine flucht und spottet, schimpft und lästert und fährt zur Hölle. Der andere erkennt seine Schuld und bittet Jesus um Vergebung. Er bekommt von Jesus die wunderbare Zusage: "Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein!" Unter dem Druck der Not verschließt sich der eine, der andere reift noch im letzten Augenblick seines Lebens aus zum ewigen Leben.