Die drei Söhne

Drei Frauen standen am Brunnen, um Wasser zu holen. Nicht weit davon entfernt saß ein Greis und hörte, wie sie ihre Söhne lobten.

"Mein Sohn", sagte die erste, "ist ein geschickter und wendiger Junge. Er übertrifft an Behändigkeit alle Knaben im Dorf!" "Mein Sohn", meinte die zweite, "hat die Stimme einer Nachtigall. Wenn er singt, schweigen alle Leute und bewundern ihn. Er wird einmal ein großer Sänger werden." Die dritte Frau schwieg. "Warum sagst du denn gar nichts?" fragten die beiden anderen. "Ich wüsste nicht, womit ich ihn loben könnte", entgegnete diese. "Mein Sohn ist ein gewöhnlicher Junge und hat nichts Besonderes an sich. Aber ich hoffe, er wird einmal im Leben seinen Mann stehen."

Die Frauen füllten ihre Eimer und machten sich auf den Heimweg.
Der Greis ging langsam hinter ihnen her. Er sah, wie hart es sie ankam, die schweren Gefäße zu tragen, und er wunderte sich nicht darüber, dass sie nach einer Weile ihre Last absetzten, um ein wenig zu verschnaufen. Da kamen ihnen drei Knaben entgegen. Der erste stellte sich auf die Hände und schlug Rad um Rad. "Welch ein geschickter Junge!" riefen die Frauen. Der zweite stimmte ein Lied an, und die Frauen lauschten ihm mit Tränen in den Augen. Der dritte Junge lief zu seiner Mutter, ergriff wortlos die beiden Eimer und trug sie heim.

Die Frauen wandten sich an den Greis und fragten: "Was sagst du zu unseren Söhnen?" "Eure Söhne?" entgegnete der Greis verwundert, "Ich habe nur einen einzigen Sohn gesehen!"

(Leo N. Tolstoi)

"Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, so ihr Liebe untereinander habt!"

(Johannes 13,35)

Eine wichtige Lektion

"Es war einmal ein alter Mann, dem waren die Augen trüb geworden, die Ohren taub, und die Knie zitterten ihm. Wenn er nun bei Tisch saß und den Löffel kaum halten konnte, schüttete er Suppe auf das Tischtuch, und es floss ihm auch etwas wieder aus dem Mund. Sein Sohn und dessen Frau ekelten sich davor. Und deshalb musste sich der alte Großvater hinter den Ofen in die Ecke setzen. Und sie gaben ihm sein Essen in ein irdenes Schüsselchen, und dazu noch nicht einmal satt.

Da sah er betrübt nach dem Tisch, und die Augen wurden ihm nass.

Einmal konnten seine zittrigen Hände das Schüsselchen nicht festhalten, es fiel zur Erde und zerbrach. Die junge Frau schalt ihn und kaufte ihm ein hölzernes Schüsselchen für ein paar Groschen. Daraus musste er nun essen.

Wie sie nun dasaßen, so trug der kleine Enkel von vier Jahren kleine Bretter zusammen. ‚Was machst du da?‘ fragte der Vater. ‚Ich mache einen Trog,’ antwortete das Kind, ‚daraus sollen Vater und Mutter essen, wenn ich groß bin!‘ Da sahen sich Mann und Frau eine Weile an, fingen endlich an zu weinen, holten sofort den alten Großvater an den Tisch und ließen ihn von nun an immer mitessen, sagten auch nichts, wenn er ein wenig verschüttete!‘

(Brüder Grimm)

Gott sagt: "Ich will euch tragen, bis ihr grau werdet!"

(Jesaja 46,4)

Wir beten: "Auch im Alter Gott, verlass mich nicht!"

(Psalm 71,18)

Im Vertrauen geborgen

In China gibt es einen gefährlichen Strom. An einer bestimmten Stelle kamen die Schiffe immer wieder zum Kentern und verloren ihre wertvolle Ladung. Fachleute haben die Strömung erforscht und an einer genau berechneten Stelle im Strom einen Felsen aufgestellt. Darauf haben sie die Worte: "Auf mich zu!" geschrieben. Zunächst sieht es so aus, als ob der Fels nur im Wege steht. Aber jeder Bootsfahrer, der sein Schiff auf den Felsen zulenkt, kommt heil durch die Strömung und Untiefen hindurch.

So steht Jesus im Gewoge unserer Welt, zwischen sozialen Nöten und gesellschaftlichen Problemen, Umweltsorgen und Lebensfragen. Jesus steht als der Fels Gottes mitten in Strömungen und Untiefen des Lebens, mitten in den Strudeln des Bösen und in der Gefahr des Scheiterns. Jesus steht mitten drin, und viele meinen, er passe da nicht hin mit seiner Liebe und seiner Barmherzigkeit. Aber wer sein Lebensschiff auf Jesus zusteuert, der kommt heil hindurch. Wenn uns die Strömungen der Zeit und die Gefälle des Bösen abtreiben wollen, halten wir unser Leben einfach auf Jesus zu. Er bringt uns durch und gut ans Ziel.

Gott lässt uns sagen: "Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen!"

(Jesaja 43,2)

Verbindlich leben

Wenn wir Menschen uns mit lauter Fäden vergleichen, dann ist unsere Gesellschaft ein wildes Knäuel von Meinungen und Ideen, Gruppen und Interessen, Zielen und Motiven. Alles geht durcheinander, liegt unverbunden nebeneinander oder widersprüchlich gegeneinander.

In der Kirche sieht es schon anders aus. Da sind die einzelnen Fäden schön in eine Richtung geordnet. Sie liegen nebeneinander, unverbunden, aber von einem besonderen Faden in Kirchenfarbe zusammengehalten. Der besondere Faden hält alle anderen sorgsam beieinander. Er hält Gottesdienst, Bibelstunde, hält Konfirmandenunterricht und Frauenkreis. Einer hält alles und alle zusammen bei der Sache. Jeder einzelne Faden kann sich leicht herausziehen, wenn es ihm nicht mehr gefällt oder zu eng wird. Für einen neuen Faden ist es schwierig, manchmal ganz unmöglich, dort hineinzukommen.

Eigentlich sollte die Gemeinde Jesu jedoch ganz anders aussehen. Aus den vielen einzelnen Fäden sollte ein Netz gewoben sein. Jeder Faden hat darin einen wichtigen Platz. Jeder Faden kann bei einem anderen anknüpfen. Immer neue Fäden können hinzukommen. Das Herauslösen ist allerdings nur unter Verletzung des ganzen Netzes möglich. Alle sind miteinander fest verbunden. Zusammen bildet das Netz aus vielen Fäden ein haltbares, großes Ganzes. Und vor allem ist solch ein Netz brauchbar. Gott kann es durch das Meer der Zeit und Welt ziehen und damit Menschen einsammeln, die sonst verloren- und untergehen.

Jeder Faden ist wichtig, wertvoll und wird gebraucht. Darum sucht Jesus Leute, die verbindlich als seine Gemeinde leben wollen. Kein loser Haufen, kein wirres Knäuel, sondern ein Verbundnetz der Liebe und Hingabe.

"Das Himmelreich ist gleich einem Netze!"

(Matthäus 13,47)

Hilfe!

Vier Jungen spielten an einem See. Mitten in ihrem übermütigen Spiel fällt einer von ihnen ins Wasser. Er droht zu ertrinken. Aber der größte Junge von den Vieren kann seinen Freund schließlich aus dem Wasser ziehen und retten. Als sie später alle gefragt werden, was sie getan haben, sagt der erste: "Ich bin unglücklich ins Wasser gefallen!" Der zweite antwortet: "Ich habe ihn wieder herausgezogen!" Der dritte Junge sagt: "Ich habe den großen Jungen festgehalten, damit er bei der Rettung nicht auch noch ins Wasser rutschte!" Und der Kleinste schließlich sagt: "Ich habe laut geschrieen!"

Alle vier Personen kommen in einer Gemeinde vor. Einer fällt in eine Not, Schwierigkeit oder Schuld. Es ist müßig, sich darüber zu unterhalten, wie das geschehen konnte. Er muss herausgezogen werden. Da ist der Starke, der seine Kräfte einsetzt, zupackt und hilft. Da ist der andere, der im Hintergrund steht und durch seine Gebete und Ermutigung dem Tätigen beisteht. Und schließlich ist noch einer da, der einfach schreit, wenn irgendwo Not oder Elend geschieht, damit andere darauf aufmerksam werden. In der Gemeinde sind sie alle zusammen.

Darum sagt Petrus: "Dienet einander, ein jeglicher mit der Gabe, die er empfangen hat!" (l. Petrus 4,10).

Der Weg zum Himmel

Zu den Wunderdingen, die man einem Rabbi nachsagte, gehörte auch, dass er jeden Morgen vor dem Gebet zum Himmel aufsteige. Ein Spötter wollte das nicht glauben und legte sich auf die Lauer, um den Rabbi am Morgen zu beobachten. Er sah, wie der Rabbi in der Kleidung eines Holzknechts in den Wald ging, dort Holz fällte und in Stücke hackte, es sich auf den Rücken lud und es in das Haus einer alten, kränklichen Frau schleppte. Der Spötter sah durch das Fenster, wie der Rabbi auf dem Boden kniete und Feuer machte. – Später fragten ihn die Leute, ob das wahr sei mit der Auffahrt zum Himmel. Er sagte: "Zum Himmel? Er steigt höher als bis zum Himmel!"

An die Höhe Gottes reichen wir nie heran. Aber wir können uns beugen zu seinen Menschenkindern in Not. Dort werden wir Gott begegnen.

So spricht der Herr: "Ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer!"

(Hosea 6,6)

Sein Werk und unsere Werke

Junge Leute mieten sich ein Ruderboot. Aber sie kommen mit den beiden schweren Rudern nicht zurecht. Sie drehen sich im Kreis, einmal so herum, dann wieder anders herum. Erst als sie lernen, beide Ruder gleichmäßig miteinander zu bewegen, fahren sie geradeaus den Fluss entlang und haben Freude an ihrer Fahrt. So ist es auch mit dem Schiff unseres Glaubenslebens und mit dem Schiff, das sich Gemeinde nennt. Es hat zwei Ruder, Glaube und Werke, die Gewissheit im Herzen und das Tun im Leben. Die einen mühen sich mit dem Ruder des Glaubens: "Glauben wir, glauben wir richtig, glauben wir genug und fest?" Sie drehen sich immer im Kreis um sich selbst und ihren Glauben. Die anderen sagen: "Glaube ist doch nicht so wichtig. Taten sind gefragt, soziales Engagement, Gesellschaftsdiakonie, Brot für die Welt, Entwicklungshilfe, Umweltschutz!" Sie sind am Rotieren und drehen sich im Kreis ihrer Taten und Absichten. Erst, wenn wir die beiden Ruder zusammennehmen, gewinnt unser Leben Fahrt, und die Gemeinden kommen in Bewegung. Wir dürfen die Spannung von Glaube und Werken nicht auflösen, sondern aus dieser Spannung immer neue Kräfte beziehen. Ein Glaube ohne Werke ist tot. Handeln ohne die lebendige Quelle der göttlichen Liebe ist wirkungslos.

Unser Glaube und Handeln, das Vertrauen im Herzen und das Wirken mit den Händen sind beides Gottes Werke an uns.

"Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Jesus Christus zu guten Werken, welche Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen!"

(Epheser 2, 10)

"Schade um den schönen Durst"

In einem kleinen Dorf wohnte ein Mann, der wegen seines Weinkellers bekannt war. Dort lagerten die besten, erlesensten Weinsorten. Und wenn Besuch kam, so wurde als Zeichen der Gastfreundschaft ein guter Tropfen angeboten. Nun wurde der Kenner bester Weine nierenkrank und kam ins Krankenhaus. Dort brachte ihm die Krankenschwester eine große Kanne Nierentee. Er nahm den ersten Schluck und seufzte dann der Schwester zu: "Schade um den schönen Durst!"

Aber auch Gott, der das ungestillte Verlangen des Menschen schmerzlich kennt, der den Mangel des Menschen leidend mit ansieht, der mit der Krankheit des Lebens mitfühlt, könnte denken: "Schade um
den schönen Durst!" Und doch dient unser "Krankenhausaufenthalt" unserer Gesundheit. Die schmerzlichen Erfahrungen von Leid und Not, Angst und Einsamkeit können uns helfen, Gott zu finden. Gott wählte gerade den Wein und den Kelch zum Zeichen des bitteren Leidens und gab uns Menschen das teure, kostbare Blut seiner Passion in einem Kelch und als Wein zu trinken. Damit wir im Leiden Christ! Vergebung, im Sterben Gottes das Leben, im ausgegossenen Opfer seiner Liebe die Heilung und Freude finden können. – So haben unzählige Leidende sich tröstend Bonhoeffers Worte geliehen: "Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern, des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus Deiner guten und geliebten Hand" Und haben dabei an Christi Passion und seinen Auferstehungssieg gedacht.

"Zur selben Zeit werden die Berge von süßem Wein triefen und die Hügel von Milch fließen, und alle Bäche in Juda werden voll Wasser sein. Und es wird eine Quelle ausgehen vom Hause des Herrn!"

(Joel 4,18)

Buntes Leben

Die Vielgestaltigkeit des Wassers ist ein wunderbares Bild für die verschiedenen Formen des Lebens.

Wasser ist sprudelnde Quelle und murmelnder Bach, drängender Strom und brausendes Meer. Wasser ist immer in Bewegung und sucht nach neuen Wegen und Formen. Regentropfen perlen auf die Sommerblumen, Tau glitzert in der Morgensonne, Nebelschwaden legen sich auf das Land. Hagel prasselt hernieder, Schneeflocken tanzen durch die Winternacht, Eis knistert unter unseren Füßen.

Ein klarer Bergsee ist wie ein Spiegel und der Wasserfall wie ein Toben und Donnern. Ein Gebirgsbach ist klar und rein, ein Moortümpel trübe und braun. Kinder spielen in einer kleinen Wasserlache, und das tobende Meer wirft riesige Schiffe wie Spielzeug umher.

Wasser ist Schönheit und Grauen, Segnung und Gericht, Belebung und Zerstörung, lebensnotwendig und lebensbedrohend. Wasser ist wie das Leben, immer wieder neu, anders, überraschend, vielgestaltig, unberechenbar. Wasser ist Lebens- und Chaosmacht zugleich.

Wasser ist Quelle und Mündung, aufsteigend und herniederfallend, salzig und süß, wie ein weiches Bad und wie eine harte Brandung. Wasser ist der Tropfen auf dem heißen Stein und die Weltenmeere. Wasser ist der Schluck aus dem Becher und die Sturmflut, die ganze Länder verwüstet. Wasser ist warmer Sommerregen und Schneesturm im Winter. Wasser ist der Brunnen in der Wüste und die Lawine, die als Unglück zu Tale donnert. Wasser ist ein Abbild für die Dynamik und Phantasie göttlicher Möglichkeiten, ein Symbol für die Schönheit und Majestät der Schöpfung. Wasser kann unter Gottes Hand Heil und Gericht, Wonne und Bedrohung sein.

"Deine Fluten rauschen daher und eine Tiefe ruft die andere; alle deine Wasserwogen und Wellen gehen über mich!"

(Psalm 42,8)

"Sie werden satt von den reichen Gütern deines Hauses, und du tränkst sie mit Wonne, wie mit einem Strom!"

(Psalm 36,9)

Genug zu tun

Besucher fragen einen Einsiedler in der Wüste, ob es ihm nicht langweilig sei. Der aber versichert, er habe genug zu tun den ganzen Tag: "Ich habe zwei Falken zu zähmen, zwei Sperber abzurichten, zwei Hasen aufzuhalten, eine Schlange zu behüten, einen Esel zu beladen und einen Löwen zu bändigen!" -"Aber wo sind denn deine Tiere?" fragen die Besucher neugierig. Da erzählt der Weise von seinen Tieren:

"Die zwei Falken sind die Augen, die sich auf alles stürzen, was sich bewegt. Sie sind schwierig zu zähmen. Die Sperber, die Greifvögel sind unsere Hände, die alles fassen und nichts wieder loslassen wollen. Die zwei Hasen, die ich aufzuhalten habe, sind die Füße, die mit uns auf und davon rennen, Haken schlagen und uns unstet sein lassen. Am schwersten ist es, die Schlange, also die Zunge zu zähmen. Selbst das Gehege von 32 Zähnen ist machtlos gegen eine Zunge. Und dann ist der Esel zu beladen, unser Körper. Wie oft gleicht er einem Lasttier. Überlädt man ihn, wird er störrisch und schlägt aus, macht nicht mehr mit. Und schließlich gilt es, einen Löwen, den König der Tiere, das Herzstück des Menschen zu bändigen. Das Herz ist ein trotzig und verzagt Ding. In ihm schlummern Riesenkräfte, die zum Guten gebändigt sein wollen. – So habe ich den ganzen Tag genug zu tun."

"Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, und der Liebe und der Besonnenheit!"

(2. Timotheus 1,7)

Herr, lass mich fröhlich sein wie ein Vogel,
der dir sein Lob in den Tag singt.
Herr, lass mich geduldig sein wie ein Esel,
der vieles tragen und ertragen kann.

Herr, lass mich abhängig sein von dir wie ein Schaf,
das ohne seinen Hirten nicht leben kann.
Herr, lass mich fleißig sein wie eine Ameise,
damit ich im Leben vorankomme.

Herr, lass mich flink sein wie ein Reh,
das über Gräben springt und Gefahren entflieht.
Herr, lass mich sorglos sein wie ein Sperling,
der weiß, dass er von dir versorgt wird.

Herr, lass mich treu sein wie ein Hund,
der seinem Herrn aufs Wort gehorcht.
Herr, lass mich der Zukunft entgegengehen wie ein Adler,
der seine Kreise zieht, die Erde weit unter sich.

Herr, lass mich von Tieren lernen. Amen.

(Kurt Rommel)