Ich weiß!

Zwei Worte, die so sicher klingen, die aber tief verletzen können. Einmal werden die Worte "Ich weiß!" drohend und bloßstellend gebraucht. "Ich weiß Bescheid!" "Ich kenne dich!" "Ich weiß alles!" Wie Stiche dringen diese nackten Wahrheiten in die Seelen anderer ein und bleiben darin mit ihren spitzen Widerhaken sitzen. Die Freude am Wissen um die Schwächen eines anderen Menschen vergiftet nicht nur die Beziehung, sondern auch das eigene Gemüt. Wissen ohne Liebe macht krank. – Auch Jesus weiß um unsere Schwächen und Sünden, aber sein Wissen ist an die Liebe gebunden. Darum stellt er uns nicht bloß, sondern bietet uns seinen Schutz an. "Ich weiß deine Werke.." klingt bei Jesus nicht drohend, sondern einladend, wenn nötig, auch zur Umkehr (Offenbarung 2 und 3).

Zum anderen sagen wir zu Leidenden und Trauernden "Ich weiß!" Die Worte sind gut gemeint und geben Vertrautheit mit dem Leid des anderen vor. Aber gerade darin sind sie so verletzend. Einer offenbart seine innerste Not, und der Tröstende antwortet "Ich weiß!" Wenn er dann noch seine Leiderfahrungen schildert, bleibt der andere einsam und verletzt zurück. Gerade die angebliche Einfühlung in die Not des anderen offenbart das fehlende Einfühlungsvermögen. Niemand kann wirklich in den Schuhen eines anderen laufen, mit seinem Herzen fühlen und seinen Augen sehen. Jedes Herz erfährt seine eigene Bitterkeit. Keine zwei Leiden sind vergleichbar. Wer sie als Leidender vergleicht, verletzt sich selber. Wer sie als Tröstender vergleicht, verletzt den anderen. In der Vorgabe des Vertrautseins mit dem Schicksal des anderen wird das Vertrauen des Betroffenen zerstört. Das viel tiefere Verständnis liegt in dem Eingeständnis der Unfähigkeit, alles vom anderen begreifen zu können. "Ich weiß!" zu einem Leidenden klingt viel zu überheblich und anmaßend, als könnten wir den anderen ganz verstehen, seine Nöte als eigene nachempfinden. Darin überschätzen wir uns als Tröstende und setzen den Leidenden herab. Die Achtung vor dem Leid des anderen, also die scheinbare Distanz, wäre in diesem Fall die größere Nähe. Man kann mit dem anderen eher eins werden, wenn man ihn in seinem eigenen Schicksal respektiert. Wenn Jesus sagt: "Ich weiß deine Trübsal und deine Armut!" (Offenbarung 2,9), ist es nicht zuviel gesagt. Er ist der einzige, der wirklich mit uns leidet und unsere Nöte als seine eigenen erfährt. Seine wirkliche Vertrautheit mit uns macht unser Vertrauen zu ihm nur fester und inniger.

"Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!"

(Matthäus 28,20)