Getröstet mit Nähe

Es war ein warmer Sommertag im Jahr 1945. Die Pracht der Sonne wollte gar nicht passen zu all dem Elend, das über Deutschland gekommen war. Mein Bruder und ich ahnten als kleine Kinder nichts von der schweren Last unserer Mutter, der mühevollen Sorge um das tägliche Brot und der bangen Gewissheit über das Schicksal unseres Vaters in russischer Gefangenschaft. Wir verloren uns an die kleinen Freuden eines sommerlichen Sandkastens. Wir Kinder hatten die Mutter, uns lachte die Sonne, wir fühlten den Sand. Wir entbehrten nichts.

Es war noch warm und hell, als uns Mutter abends zu Bett brachte. Wenn wir eingeschlafen waren, brach Mutter mit dem Fahrrad auf, um von einem kleinen Acker weit draußen vor der Stadt ein wenig Gemüse zu holen. Nach einem ersten festen Schlaf wachten wir noch einmal auf. Wir riefen nach der Mutter. Keine Antwort. Wir liefen durch die Wohnung, suchten in allen Räumen. Eine Wahnsinnsangst packte uns und trieb uns hinaus in den Garten. Wir riefen und weinten. Niemand hörte uns. Tiefe Verlassenheit, Angst und Hilflosigkeit erfüllte uns.

Barfuß, weinend und im Nachthemd lief ich auf die Straße. An der Ecke begegnete mir ein englischer Soldat. Ich lief auf ihn zu und redete auf ihn ein. Dann sagte er zu mir etwas. Aber wir verstanden uns nicht. So standen wir uns gegenüber. Ein kleiner Junge und ein großer Soldat. Barfuß ich, in Stiefeln er. Kinderhände, die Tränen abwischend, Männerfäuste, die ein Gewehr hielten. Ein verwirrter Kinderkopf, ein blinkender Stahlhelm. Wir konnten uns nicht verstehen. und er konnte mir nicht helfen. – Sooft mir das Bild wieder in den Sinn kommt, wird es

mir zum Bild für das Leben. Auf der Suche nach Geborgenheit, getrieben von Verlustangst und Sorge, erfüllt von Verlassenheit laufen wir ständig auf die Straßen der Welt. Eine voll ausgerüstete, technisch perfekte Welt begegnet uns. Aber es gibt keine Verständigung und Hilfe. So standen wir uns gegenüber. Wir konnten uns nicht verstehen und helfen. Da kam meine Mutter auf ihrem Rad um die Ecke. Sie nahm mich bei der Hand. Wir gingen nach Hause. Mein Bruder kam erleichtert hinter dem Gartenzaun hervor. Mutter beruhigte uns und brachte uns wieder zu Bett. Es war alles gut. Die Verlustangst war durch die Nähe der Mutter überwunden. – Gott ist wie eine Mutter. Er nimmt unsere Hand, beruhigt unser Herz und überwindet unsere Angst durch seine liebende Gegenwart.

"Wenn mein Geist in Ängsten ist, so nimmst du dich meiner an!"

(Psalm 142,4)