Erkenne mein Herz

In einer kleinen Stadt lebt eine Mutter zusammen mit ihrer Tochter. Sie teilen sich den mühsamen und bescheidenen Alltag und auch die Unruhe der Nacht. Denn beide schlafwandeln zu bestimmten Zeiten.
Eines Nachts, als die Leute der Stadt alle schliefen, trafen sich Mutter und Tochter schlafwandelnd in ihrem Garten hinter dem Haus. Die Mutter wandelte auf die Tochter zu und sprach: "Endlich habe ich dich, du Feindin meines Lebens. Du hast meine Jugend zerstört, und auf den Trümmern meines Lebens wirst du groß und blüht dein Leben auf. Ich könnte dich umbringen!" Und die Tochter wandelte auf die Mutter zu und rief: "Verhaßtes Weib, du selbstsüchtige Alte. Du stehst meiner Freiheit und Entfaltung im Weg. Immer soll ich nur ein Echo deines Lebens sein. Ich wünschte, du wärest tot!" In diesem Moment krähte der Hahn, und beide Frauen erwachten, fanden sich im Garten, rieben sich verwundert die Augen, und voller Sanftmut fragte die Mutter: "Bist du es, mein Herzchen?" Und die Tochter antwortete milde: "Ja, geliebte Mutter!"

"Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine. Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege."
(Psalm 139,23f)

Ganz bei Trost

"Heilen, leiten, trösten – das ist Gottes Tun. Gott sieht unsere Wege an; es ist Gnade, wenn er das tut; er kann uns auch unserer Wege gehen lassen, ohne sie anzusehen. Aber er hat sie angesehen – und er sah uns verwundet, verirrt, verängstigt.
Nun ist er dabei, uns zu heilen. Er berührt die Wunden, die uns die Vergangenheit geschlagen hat, und sie vernarben; sie tun nicht mehr weh; sie können unserer Seele nicht mehr schaden. Erinnerungen quälen uns nicht mehr; alle Schmerzen versinken ins Nichts, in Vergangenheit, wie in der Nähe eines geliebten Menschen. Gott ist uns näher als das Vergangene.
Gott will uns leiten. Nicht alle Wege der Menschen sind Gottes Führung; wir können oft lange auf eigenen Wegen gehen; auf ihnen sind wir ein Spielball des Zufalls, ob er uns Glück oder Unglück bringt. Die eigenen Wege führen im Kreise immer zu uns selbst zurück. Aber wenn Gott unsere Wege leitet, dann führen sie zu ihm. Gottes Wege führen zu Gott. Gott leitet uns durch Glück und Unglück – immer nur zu Gott. Daran erkennen wir Gottes Wege.
Gott will uns trösten. Gott tröstet nur, wenn Grund genug dafür vorhanden ist; wenn Menschen nicht aus noch ein wissen; wenn die Sinnlosigkeit des Lebens sie ängstigt. Die Welt, wie sie in Wirklichkeit ist, macht uns immer Angst. Aber wer getröstet wird, sieht und hat mehr als die Welt, er hat das Leben mit Gott. Nichts ist zerstört, verloren, sinnlos, wenn Gott tröstet.
,Ich heilte, ich leitete, ich tröstete – da ich ihre Wege ansah‘, – hat Gott es nicht unzählige Male in unserem Leben getan? Hat er nicht die Seinen oftmals durch große Not und Gefahr geführt? Wie heilt, wie leitet, wie tröstet Gott? Allein dadurch, daß er eine Stimme in uns gibt, die sagt, betet, ruft, schreit: lieber Vater!
(Dietrich Bonhoeffer)

"Ihre Wege habe ich gesehen, aber ich will sie heilen und sie leiten und ihnen wieder Trost geben; und denen, die da Leid tragen, will ich Frucht der Lippen schaffen. Friede, Friede denen in der Ferne und denen in der Nähe, spricht der Herr; ich will sie heilen!"
(Jesaja 57,18f)

Ich habe einen Traum

"Ich habe einen Traum, dass eines Tages auf den roten Hügeln von Georgia die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter miteinander am Tisch der Brüderlichkeit sitzen können.
Ich habe einen Traum, dass sich eines Tages ein Staat, der in der Hitze der Ungerechtigkeit und Unterdrückung verschmachtet, in eine Oase der Freiheit und Gerechtigkeit verwandelt.
Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der man sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilen wird.
Ich habe einen Traum, dass eines Tages in Alabama mit seinen bösartigen Rassisten sich kleine schwarze Jungen und Mädchen mit kleinen weißen Jungen und Mädchen als Brüder und Schwestern die Hände schütteln.
Ich habe einen Traum, dass eines Tages jedes Tal erhöht und jeder Hügel und Berg erniedrigt wird. Die rauen Orte werden geglättet und die unebenen Orte werden begradigt werden.
Und die Herrlichkeit des Herrn wird offenbar werden, und alle Menschen werden es sehen. Das ist unsere Hoffnung. Mit diesem Glauben kehre ich in den Süden zurück. Mit diesem Glauben werde ich fähig sein, aus dem Berg der Verzweiflung einen Stein der Hoffnung zu hauen. Mit diesem Glauben werden wir fähig sein, die schrillen Missklänge in unserer Nation in eine wunderbare Symphonie der Brüderlichkeit zu verwandeln. Mit diesem Glauben werden wir fähig sein, zusammen zu arbeiten, zusammen zu beten, zusammen zu kämpfen, zusammen ins Gefängnis zu gehen, zusammen für die Freiheit aufzustehen, in dem Wissen, dass wir eines Tages frei sein werden." (Martin Luther King)

Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein.
Psalm 125,1f

Jeder Krieg ist ein Krieg gegen Kinder

Seit 1945 haben 189 Kriege Millionen Opfer unter Kindern gefordert!
Die zehnjährige Assumpta wirkt apathisch. Sie ist scheu, spricht kaum, hält sich abseits der Gruppe. Ihr Gesichtsausdruck zeigt, dass Assumptas Augen Dinge gesehen haben, die ein Erwachsener sich kaum vorstellen kann. Assumpta hat den Bürgerkrieg in Ruanda überlebt. Sie musste mit ansehen, wie ihre ganze Familie brutal ermordet wurde. Assumpta wurde dabei ohnmächtig – und überlebte. Doch zu einem normalen, fröhlich unbeschwerten Leben eines Kindes wird sie wohl nie wieder zurückfinden.
"Krieg ist das traurigste Wort, das von meinen zitternden Lippen fliegt. Es ist ein böser Vogel, der nie Ruhe findet. Es ist ein tödlicher Vogel, der unsere Häuser zerstört und uns unsere Kindheit raubt. Krieg ist der teuflischste aller Vögel. Er malt die Straßen rot an mit Blut und verwandelt die Welt in ein Inferno!" (Maida, 12 Jahre, aus Skopje, ehem. Jugoslawien)
"Eines Morgens kamen die Pasdaran, die Revolutionswächter, in unser Dorf im Norden. Sie trieben alle Jungen auf Lastwagen und fuhren uns zur Schlacht in den Bergen. Der Hang, den wir stürmen mussten, war mit irakischen Minen gespickt. Wir wussten es aber nicht. 25 Jungen aus meinem Dorf wurden losgeschickt, als erste Linie gegen den Feind. 20 starben, und ich sah, wie ihre Arme und Beine herumflogen!" (Junge aus dem Iran, der als 12jähriger in den Krieg ziehen musste)

So spricht der Herr: Man hört Klagegeschrei und bittres Weinen: Rahel weint über ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen über ihre Kinder; denn es ist aus mit ihnen.
Jeremia 31,15

Noch nie da gewesen

Eine Lehrerin möchte ihrer Schulklasse den Erfindungsreichtum der modernen Gesellschaft nahe bringen. Sie spricht mit den Schulkindern über all das vermehrte Wissen und Können der letzten Jahrzehnte. Was haben Menschen alles erdacht und erfunden, erprobt und erschlossen! Schließlich fragt sie die Kinder: "Kann mir einer von euch eine wichtige Sache nennen, die es vor fünfzig Jahren noch nicht gab?" Ein Junge in der ersten Reihe meldet sich eifrig und sagt voller Stolz: "Mich!"

Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele. Es war dir mein Gebein nicht verborgen, als ich im Verborgenen gemacht wurde, als ich gebildet wurde unten in der Erde. Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war.
Psalm 139,14ff

Lebenskunst

Gelassen sein und nicht lässig werden.
Leicht leben und niemals leichtsinnig sein.
Mutig handeln und dabei nicht übermütig werden.
Beweglich bleiben und verbindlich leben.
In sich ruhen und nicht träge werden.
Vertrauen haben und nicht blind werden.
Versöhnt sein und dabei nicht fatalistisch denken.
Weise sein und nicht alles wissen.
Eine große Vision haben und ganz kleine Schritte tun.
Viele kleine Dinge mit großer Treue erledigen.
Gott von Herzen lieben und Menschen auf dem Herzen tragen.
Menschen lieben und sich selbst nicht vergessen.
Verantwortlich leben und doch erlöst sein.
Innen gefreit sein und äußerlich mit Bedingungen leben.
Jeden Tag richtig nutzen und damit das Sterben verarbeiten.
Den Lebensweg ganz ernst nehmen
und sich auf das Lebensziel unbändig freuen.

Wer ist weise und klug unter euch? Der zeige mit seinem guten Wandel seine Werke in Sanftmut und Weisheit!
Jakobus 3,13

Morgengebet

Glanz und Herrlichkeit des Vaters,
Licht vom wahren Licht
und Quelle allen Glanzes,
du Tag, der den Tag erleuchtet.

Du wahre Sonne, leuchte auf uns herab
in deinem ewigen Glanz
und offenbare unseren Sinnen
das Feuer des Heiligen Geistes.

Wir bitten dich von Herzen,
du Vater der ewigen Herrlichkeit,
du Vater der machtvollen Gnade,
bewahre uns vor den Nachstellungen des Bösen.

Erfülle uns mit deiner Kraft,
und behüte uns vor jenen, die uns hassen.
In Schwierigkeiten sei du unser Halt
und gib uns allen eine glückliche Hand.

Erleuchte und lenke den Verstand
in einem reinen Leib, der dir dient.
Unser Glaube werde stark
und überwinde jeden Irrtum.

Christus sei unsere Speise,
der Glaube unser Trank:
Mit Freude werden wir trinken
in der Klarheit des Geistes.

Dieser Tag sei mit Freude erfüllt:
Am frühen Morgen die Bescheidenheit,
am Mittag der Glaube,
so wird der Geist auch am Abend lebendig sein.

Die Sonne steige herauf
und vollende ihren Lauf,
und alles werde
zu einem neuen Anfang der Sonne:
Der Sohn im Vater,
der Vater im Wort.

(Ambrosius)

Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.
2.Korinther 4,6

Noah beim Weinbau

Noah war froh, dass er in der Arche mit seiner Familie die Sintflut überlebt hatte. Und er war dankbar, dass er nun wieder die geliebte Erde unter seinen Füßen spürte. Als Ackermann wollte er nun auch einen Weinberg anlegen. Aber er wusste nicht so recht, wie man an diese Arbeit herangeht.
Da kam der Teufel zu ihm und bot ihm seine Hilfe an. Er sagte: "Ich bin gern bereit, dich den Weinanbau zu lehren. Aber nur unter einer Bedingung: Sobald der Wein reif ist, gehört die eine Hälfte mir, und wehe, wenn du mir davon nimmst!"
Noah war einverstanden und baute mit Hilfe des Teufels den Weinberg. Er grub die Erde um, und der Satan brachte das Blut eines Lammes und goss es in die Furche. Dann brachte er das Blut eines Löwen und ließ es in die Erde fließen. Danach schlachtete er einen Affen, und dessen Blut ergoss sich in die Erde. Schließlich brachte er ein Schwein und goss das Blut in die Furche.
Nach einigen Jahren sprossen die Weinreben üppig, und Noah begann den Wein zu ernten und dann zu trinken. Er schmeckte wunderbar, und Noah trank ohne Maß. Er trank auch den Teil des Satans und wurde schließlich so betrunken, dass er vor aller Augen entblößt im Dreck lag.
Als er wieder nüchtern war, erschien ihm der Teufel und sagte zu ihm: "Wisse, Noah, wenn der Mensch ein Glas von dem edlen Wein trinkt, wird er sanft wie ein Lamm. Trinkt er das zweite, spielt er sich wie ein Löwe auf und prahlt mit seinen Heldentaten. Wenn er das dritte Glas getrunken hat, verliert er das Menschliche und wird zum Affen. Und nach dem vierten Glas wird er zum Schwein und wälzt sich im Dreck der Erde. Denn auch die schönsten Dinge des Lebens verkehren sich im Übermaß und Unmaß in ihr Gegenteil!" (Ein jüdisches Märchen)

Und sauft euch nicht voll Wein, woraus ein unordentliches Wesen folgt, sondern lasst euch vom Geist erfüllen!
Epheser 5,18

Tote Dinge oder lebendiges Licht

"Es gab eine Zeit, da hatte die Kerze noch keine Flamme, da gehörte sie noch zur Welt der toten Dinge. Dann aber fiel Feuer auf sie, von oben, und schuf das Leuchten, das sie nun als ihr Haupt trägt, um dessentwillen sie überhaupt da ist. Wie das Feuer von oben kam, so weist auch die Flamme wieder nach oben.
Sie bewegt sich wie eine himmlische Zunge. Unter der Gestalt solcher feurigen Zungen fiel einst der Heilige Geist auf die wartenden Jünger und entzündete sie zur flammenden Rede. Auch ich soll entzündet werden, damit ich zu brennen beginne.
Die Kerze brennt und leuchtet und wirft in die Finsternis der Welt einen hellen Schein. Wer sie erblickt, der liebt ihr Licht in seiner Reinheit und Wärme. Die Kerze brennt und leuchtet und dient; je mehr sie brennt und leuchtet und dient, um so mehr nimmt sie ab. Sie opfert sich im Dienst an der Welt. Und dazu ist sie da: sich aufzuzehren im lichtspendenden Dienst an der Welt – wie es im Englischen heißt: ‚to spend and to be spent’.
So wird mir die Kerze zum Vorbild christlichen Lebens: für andere dazusein, ihnen zu dienen und sich im Dienst aufzuopfern, aber in einem Dienst, der Licht verbreitet, weil er sein Licht von oben nimmt; in einem Dienst, der beständig nach oben weist. Mein Leben gleiche der leuchtenden Kerze." (Friso Melzer)

Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen … Ich bin gekommen, ein Feuer anzuzünden auf Erden; was wollte ich lieber, als dass es schon brennte.
Lukas 12,35.49

Die Lehre will das Leben nicht bedrücken

"Damals im Jahrhundert vor der Zerstörung des Tempels war das Studium teuer, und Stipendien gab es nicht. Hillel mußte, um das bewachte Lehrhaus betreten zu können, den Wächter bestechen, dem er jeden Tag die Hälfte von seinem Lohn als Holzhacker gab, und der war recht bescheiden.
Eines Tages, es war an einem Freitag mitten im Winter, hatte er keine Arbeit gefunden und besaß keinen Heller. Der Wächter weigerte sich, ihm Kredit einzuräumen, und Hillel versuchte vergeblich, ihn mit Schmeicheleien von seiner Vertrauenswürdigkeit zu überzeugen. In seiner Verzweiflung kletterte er heimlich aufs Dach, legte sich dicht neben die Dachluke und lauschte hingebungsvoll den Worten der Lehrer und Schüler unter ihm. Das scheint äußerst spannend gewesen zu sein, denn Hillel spürte die Kälte nicht. Er merkte auch nicht, daß es anfing zu schneien und der Schnee auf ihn herabrieselte und ihn zudeckte. Der Schwarzhörer auf dem Dach merkte überhaupt nichts, so intensiv lauschte er auf die Argumente und Gegenargumente unter ihm, damit ihm ja kein Wort entging.
Plötzlich wandte sich Schmaya an seinen Freund und Kollegen und bemerkte: Bruder Avtalion, warum ist es denn so dunkel hier im Zimmer? Als nun beide ihren Blick auf die Dachluke richteten, entdeckten sie dort den Kopf eines Menschen. Sofort wiesen sie ein paar Studenten an, aufs Dach zu steigen, und sie brachten Hillel hinein. Es war höchste Zeit, sonst wäre er erfroren. Seine Glieder waren steif und kalt wie Eis, aber sein Geist lebendig. Sie wuschen und massierten ihn und legten ihn neben den Ofen.
Da riefen die Meister: Wer einen solchen Wissensdurst besitzt, verdient, daß zu seiner Rettung die Heiligkeit des Sabbats verletzt wird! Denn jedes Lebewesen ist wichtiger als die Gesetze."
(Elie Wiesel) Die Lehre will das Leben nicht bedrücken, sondern befreien.

"Der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit!"
(2. Korinther 3,17)