Etwas fehlt

Dov Ber war ein ungewöhnlich strenger Gelehrter. In seiner Nähe zitterten die Menschen vor Ehrfurcht, und wegen seiner unbeugsamen und unerbittlichen Art zu lehren war er sehr angesehen. Er fastete und verzichtete auf alle Annehmlichkeiten des Lebens. Und er lachte nie. Schließlich wurde er durch seine ständigen Entbehrungen ernstlich krank. Die Ärzte konnten ihm nicht helfen. Und so riet man ihm, den berühmten Baal Schem um Hilfe zu bitten. Doch Baal Schem war für den erkrankten Dov Ber so etwas wie ein Ketzer. Während Dov Ber meinte, das Leben könne nur durch Kummer und Leid, Schmerzen und Entbehrungen sinnvoll werden, versuchte Baal Schem die Schmerzen zu lindern und verkündigte den Menschen, dass die Lebensfreude der Sinn des Daseins sei. Doch dann ging es Dov Ber so schlecht, dass er einwilligte, den Baal Schem um Hilfe zu bitten. Der kam in einem wunderbaren Wollmantel und mit einer kostbaren Pelzkappe, gab dem Kranken das Buch der Herrlichkeit und bat ihn, laut daraus vorzulesen. Schon nach kurzer Zeit unterbrach Baal Schem den Kranken und meinte: "Etwas fehlt euch!" – "Undwas ist das?", fragte der kranke Mann. "Die Seele", sagte Baal Schem, "eurem Glauben fehlt die Seele!" (Eine jüdische Legende)

Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen, und hätte die Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze!
1.Korinther 13,3

Gott fügt alles wunderbar

Ein König hatte einen Minister, der bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit sagte: "Gott fügt alles wunderbar." Nach einiger Zeit hatte der König diesen Satz so oft gehört, dass er ihn nicht mehr ertragen konnte. Die beiden sind auf der Jagd. Der König schießt einen Hirsch. Minister und König sind hungrig, machen Feuer, grillen den Hirsch, der König beginnt zu essen und schneidet sich in der Gier einen Finger ab. Der Minister: "Gott fügt alles wunderbar."
Jetzt reicht es dem König. Wütend entlässt er den Minister aus seinen Diensten und befiehlt ihm, sich fortzuscheren. Er wollte ihn nie wieder sehen. Der Minister geht. Der König, vom Hirschbraten gesättigt, schläft ein. Wilde Räuber, Anhänger der Göttin Kali, überfallen und fesseln ihn, wollen ihn ihrer Göttin opfern und – verspeisen. Im letzten Moment bemerkt einer der Kali Anhänger den fehlenden Finger. Die Räuber beratschlagen sich und befinden: "Dieser Mann ist unvollkommen. Ihm fehlt ein Körperteil. Unserer Göttin darf nur Vollkommenes geopfert werden." Sie lassen ihn laufen.
Der König erinnert sich an die Worte des Ministers: "Gott fügt alles wunderbar." und begreift: Genau so ist es. Auch in diesem Fall. Er fühlt sich schuldig, weil er den Minister verbannt hat, und lässt ihn suchen. Nach langer Zeit wird er gefunden. Der König entschuldigt sich und bittet ihn, wieder in seine Dienste zu treten.
Der Minister: "Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich bin dankbar, dass du mich fortgeschickt hast. Mich hätten die Räuber geopfert. Mir fehlt kein Finger. Gott fügt alles wunderbar."
(Ram Dass)

"Kommt her und sehet an die Werke Gottes, der so wunderbar ist in seinem Tun an den Menschenkindern!"
(Psalm 66,5)

Alltag oder All-Tag

Obwohl unser Leben voller Zauber und Geheimnis, voller Abenteuer und Abwechslung ist, angefüllt mit schöpferischer, bewegender Energie und immer aus auf Neues, Wunderbares und Großes, leben die meisten Menschen so dahin, als sei Leben etwas allseits Bekanntes und Alltägliches. Alltag ist für viele ein Tag wie alle Tage: grau in grau, gewöhnlich und gleichförmig, langweilig oder stressig, ohne Höhepunkt und Besonderheit, ohne Glanz und Erfüllung. Dabei könnte der Alltag auch ein Tag sein im Sinne von: das ganze All, alles im Leben an einem Tag.
Jeder Tag ist Gottes Tag für uns und mit uns, voller Leben und Wunder, voller Dynamik und Erfüllung. Unser All-Tag enthält wirklich alles, wenn wir jeden Tag als ein Wunderwerk aus Gottes Hand empfangen, mit ihm erleben, bei ihm bleiben und zu ihm hin gelangen. Ein Tag mit Gott ist ein Tag zum Wundern und Staunen, Freuen und Erwarten.
Welch ein Glück ist es, dazusein, sich auf Erden und unter dem Himmel einzufinden, sich zu bewegen, Sonne und Wolken zu sehen, auf andere Menschen zu hören, mit ihnen zu sprechen und tief in sich zu fühlen, zu denken, zu träumen, zu handeln, zu lachen und zu lieben!
Gott will uns an jedem Tag Alles geben: sich selbst und mit sich alles, was wir zum Leben brauchen.

Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?
Römer 8,31f

Dies ist der Tag …

Ein Pastor sollte den Gottesdienst in einer kleinen Dorfkirche halten und übernachtete in einem alten Haus gegenüber. Als er am Morgen aufgestanden war und die Rollläden hochzog, sah er, dass jemand in die Fensterscheibe die Worte geritzt hatte: "Dies ist der Tag!"
Beim Frühstück fragte er die Frau des Hauses, was die Worte im Fenster zu bedeuten hätten. Die Frau erzählte ihrem Gast, wie viel Leid sie in ihrem Leben erfahren habe und dass sie immer große Angst vor dem nächsten Morgen gehabt habe. "Eines Tages", sagte sie, "las ich in meiner Bibel das Psalmwort: Dies ist der Tag, den der Herr macht; lasset uns freuen und fröhlich darinnen sein! Bisher hatte ich immer gedacht, das gelte nur für besondere, festliche und glückliche Tage. Doch dann wurde mir klar, dass damit jeder Tag gemeint ist. Warum sollte ich mich vor den Tagen fürchten, die der Herr selber gemacht hat? So ritzte ich die Worte in die Fensterscheibe, damit ich jeden Morgen, wenn ich die Läden öffne, daran erinnert werde: Diesen Tag hat Gott für mich gemacht. Es ist sein Tag, und ich muss mich nicht davor fürchten!"
Die Christen nennen den Tag, an dem Jesus auferstand und alles Dunkel überwand, den Tag des Herrn. Und sie nennen den Tag, an dem Jesus wiederkommt und alles vollenden wird, den Tag des Herrn. Jeder Tag zwischen Auferstehung und Wiederkunft Jesu ist ein Tag des Herrn. Ein Tag von Gott, ein Tag mit Gott, ein Tag für Gott und ein Tag zu Gott hin. So bekommen die einzelnen Alltage ihren Wert und ihren Glanz und verlieren ihre Bedrohlichkeit und Sorge.

Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.
Matthäus 28,20

Der goldene Fisch

"In einem schönen, von Gott erschaffenen Garten lebten einmal ein Mann und eine Frau. Gott hatte ihnen die Pflege der Pflanzen und Bäume anvertraut, die Sorge um die Fische, die Vögel und die Landtiere. Dafür schenkte der Garten dem Mann und der Frau alles, was sie zum Leben brauchten, Nahrung und frisches Wasser, den Tag und die Nacht, den Lauf der Sonne, den Wechsel des Mondes, den Stand der Sterne, die Jahreszeiten: den Frühling, den Sommer, den Herbst und den Winter.
Eines Tages entdeckten der Mann und die Frau in einem Fluß einen Fisch. Er besaß goldene Schuppen. Aber als sie ihn fangen wollten, entwischte er ihren Händen und schwamm davon. Der goldene Fisch ließ dem Mann und der Frau keine Ruhe mehr. Sie fingen an, ihn zu suchen, und ihre Wege trennten sich. Der Mann ging am rechten, die Frau am linken Ufer entlang. Beide hofften, dem anderen mit dem Fang zuvorzukommen.
Der Wunsch, den goldenen Fisch zu besitzen, beherrschte alle ihre Gedanken. So kam es, daß sie den ihnen anvertrauten Garten mehr und mehr vergaßen, die Pflege der Pflanzen und Bäume, die Sorge um die Fische, die Vögel und die Landtiere.
Die großen Pflanzen zerstörten die kleinen, und die starken Tiere töteten die schwachen. Die vielerlei Arten der Pflanzen und Bäume, der Fische, der Vögel und der Landtiere wurden immer weniger.
Und eines Morgens, als der Mann und die Frau erwachten, war der Garten verödet und der Fluß ohne Wasser. Erschrocken machten sie sich auf, um nach seiner Quelle zu suchen. Dort trafen sie sich nach vielen Tagen und Nächten. Die Quelle war ausgetrocknet, und auf ihrem Grund lag der goldene Fisch. Er war tot.
Da schauten sich der Mann und die Frau in die Augen und weinten zum erstenmal. Sie wußten, daß sie den ihnen anvertrauten Garten für immer verloren hatten. Auch Gott trauerte um seinen Garten. Aber als er sah, wie der Mann und die Frau niederknieten, um mit ihren Händen nach einer neuen Quelle zu graben, hatte er Erbarmen. Und weil er wußte, daß sie es allein nie schaffen würden, einen neuen Garten zu bauen, schenkte er ihnen Kinder und den Kindern dieser Kinder die Verantwortung. Und diese Kinder sind wir."
(Max Bolliger)

"Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, daß er ihn bebaute und bewahrte. Und Gott der Herr gebot dem Menschen und sprach: Du darfst essen von allen Bäumen im Garten, aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen; denn an dem Tage, da du von ihm issest, mußt du des Todes sterben!"
(1. Mose 2,15ff)

Was Glaube ist

Als Jiri Izrael
einer der Stillen im Getümmel der Welt
vor Ostern im Jahre fünfzehnhunderteinundfünfzig
bei Torun über die gefrorene Weichsel ging
begann vor seinen Füßen
plötzlich das Eis zu brechen
Und Jiri Izrael sprang
von Scholle zu Scholle
und sang dabei den Psalm
Lobet im Himmel den Herrn
lobet ihn in der Höhe
Von Scholle zu Scholle
Lobet ihn alle seine Engel
lobet ihn all sein Heer
Von Scholle zu Scholle
Lobet ihn Sonne und Mond
lobet ihn alle leuchtenden Sterne
Von Scholle zu Scholle
Lobet ihn ihr Himmel aller Himmel
und ihr Wasser über dem Himmel
Von Scholle zu Scholle
Lobet den Namen des Herrn aller Dinge
denn er gebot da wurden sie geschaffen
Von Scholle zu Scholle
Lobet den Herrn auf Erden
ihr großen Fische und alle Tiefen des Meeres
Von Scholle zu Scholle
Lobet den Namen des Herrn
denn sein Name allein ist hoch
seine Herrlichkeit reicht
so weit Himmel und Erde ist
Und so gelangte Jiri Izrael
aus der Strömung des Flusses
glücklich ans Ufer.

"Der Herr ist meine Macht und mein Psalm und ist mein Heil!" (Psalm 118,14)

Wider die gnadenlose Hetze des Morgens

"Vor das tägliche Brot gehört das tägliche Wort. Nur so wird auch das Brot mit Danksagung empfangen. Vor die tägliche Arbeit gehört das morgendliche Gebet. Nur so wird die Arbeit in der Erfüllung des göttlichen Befehls getan. Für stille Gebetszeit und gemeinsame Andacht muß der Morgen eine Stunde hergeben. Das ist wahrhaftig keine vergeudete Zeit. Wie könnten wir anders gerüstet den Aufgaben, Nöten und Versuchungen des Tages entgegengehen? Und ob wir auch oft nicht in Stimmung` dafür sind, so ist es doch schuldiger Dienst an dem, der von uns angerufen, gelobt und gebeten sein will und der uns unseren Tag nicht anders als durch sein Wort und unser Gebet segnen will. Es ist nicht gut, von Gesetzlichkeit` zu reden, wo es um die Ordnung unseres christlichen Lebens, um die Treue in den gebotenen Dingen des Schriftlesens und Betens geht. Unordnung zersetzt und zerbricht den Glauben. Das muß der Theologe besonders lernen, der Zuchtlosigkeit mit evangelischer Freiheit verwechselt. Wer einmal ein ausfüllendes geistliches Amt versehen und nicht in Betriebsamkeit sich und seine Arbeit zugrunde richten will, der lerne beizeiten die geistliche Disziplin des Dieners Jesu Christi. Der junge Theologe wird es als eine große Hilfe erfahren, wenn er sich für sein stilles Gebet und für die Andacht feste Zeiten setzt, die er in großer Beharrlichkeit und Geduld einhält.
(Dietrich Bonhoeffer)

"Ich will von deiner Macht singen und des Morgens rühmen deine Güte; denn du bist mir Schutz und Zuflucht in meiner Not!"
(Psalm 59,17)

Gut geweckt ist halb gewonnen!

"Beim Erwachen vertreiben wir die finsteren Gestalten der Nacht und die wirren Träume, indem wir alsbald den Morgensegen sprechen und uns für diesen Tag dem dreieinigen Gotte befehlen. Böse Launen, unbeherrschte Stimmungen und Wünsche, die wir am Tag nicht mehr loswerden, sind oft genug Nachtgespenster, die nicht beizeiten verjagt worden sind und uns den Tag vergällen wollen. In die ersten Augenblicke des neuen Tages gehören nicht eigene Pläne und Sorgen, auch nicht der Übereifer der Arbeit, sondern Gottes befreiende Gnade, Gottes segnende Nähe. Wen die Sorge frühzeitig aufweckt, zu dem sagt die Schrift: Es ist umsonst, daß ihr früh aufstehet und hernach lange sitzet und esset euer Brot mit Tränen` (Ps 127,2). Nicht die Angst vor dem Tag, nicht die Last der Werke, die ich zu tun vorhabe, sondern der Herr weckt mich alle Morgen; er weckt mir das Ohr, daß ich höre wie ein Jünger‘, so heißt es vom Knecht Gottes (Jes 50,4). Bevor das Herz sich der Welt aufschließt, will Gott es sich erschließen; bevor das Ohr die unzähligen Stimmen des Tages vernimmt, soll es in der Frühe die Stimme des Schöpfers und Erlösers hören. Die Stille des ersten Morgens hat Gott für sich selbst bereitet. Ihm soll sie gehören."
(Dietrich Bonhoeffer)

"Alle Morgen weckt er mir das Ohr, daß ich höre, wie Jünger hören. Gott der Herr hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück!"
(Jesaja 50,4f)

Die Gnade des Morgens

"Jeder neue Morgen ist ein neuer Anfang unseres Lebens. Jeder Tag ist ein abgeschlossenes Ganzes. Der heutige Tag ist die Grenze unseres Sorgens und Mühens (Mt 6,34; Jak 4,14). Er ist lang genug, um Gott zu finden oder zu verlieren, um Glauben zu halten oder in Schande zu fallen. Darum schuf Gott Tag und Nacht, damit wir nicht im Grenzenlosen wandern, sondern am Morgen schon das Ziel des Abends vor uns sähen. Wie die alte Sonne doch täglich neu aufgeht, so ist auch die ewige Barmherzigkeit Gottes alle Morgen neu (Klgl 3,23). Die alte Treue Gottes allmorgendlich neu zu fassen, mitten in einem Leben mit Gott täglich ein neues Leben mit ihm beginnen zu dürfen, das ist das Geschenk, das Gott uns mit jedem Morgen macht. In der Heiligen Schrift ist der Morgen eine Zeit voller Wunder. Es ist die Stünde der Hilfe Gottes für seine Kirche (Ps 46,6), die Stunde der Freude nach einem Abend des Weinens (Ps 30,6), die Stunde der Verkündigung des göttlichen Wortes (Zeph 3,5), der täglichen Austeilung des heiligen Mannas (2 Mo 16,13f); vor Tagesanbruch geht Jesus beten (Mk 1,35), in der Frühe gehen die Frauen zum Grab und finden Jesus auferstanden am Ufer des Sees von Tiberias (Job 21,4). Es ist die Erwartung der Wunder Gottes, die die Männer des Glaubens früh aufstehen läßt (1 Mo 19,27; 2 Mo 24,4; Hiob 1,5 u. a.). Der Schlaf hält sie nicht mehr. Sie eilen der frühen Gnade Gottes entgegen."
(Dietrich Bonhoeffer)

"Laß mich am Morgen hören deine Gnade, denn ich hoffe auf dich!"
(Psalm 143,8)

Prüfung bestanden

An einem Montagmorgen besteigt ein Pastor den Bus, um in die Stadt zu fahren. Er reicht dem Busfahrer einen größeren Geldschein und wartet auf das Wechselgeld. Auf dem Sitzplatz angekommen, zählt er das Geld nach und stellt fest, dass ihm der Busfahrer zu viel herausgegeben hat. Er bleibt sitzen, und seine Gedanken machen sich an die Arbeit. Glücklicher Zufall, unwichtige Kleinigkeit oder ein Grund, ehrlich zu sein und dem Busfahrer das Geld zurückzugeben? Der Pastor findet manchen Grund, das Geld einfach zu behalten, aber schließlich siegt seine Gewissenhaftigkeit. Er steht auf, geht zum Busfahrer nach vorn und sagt: "Entschuldigen Sie, aber Sie haben mir zu viel Geld rausgegeben, als ich vorhin meine Fahrkarte bezahlt habe!" Der Fahrer erwidert locker: "Ich weiß, ich war gestern in Ihrer Kirche und hörte Sie über die Gebote Gottes sprechen. Da wollte ich nur mal ausprobieren, ob Sie selber auch tun, was Sie anderen predigen."

Ich hebe meine Hände auf zu deinen Geboten, die mir lieb sind. Ich neige mein Herz, zu tun deine Gebote immer und ewiglich.
Psalm 119,48.112