Verstanden und einverstanden

Du musst das Leben nicht verstehen,
dann wird es werden wie ein Fest.
Und lass dir jeden Tag geschehen,
so wie ein Kind im Weitergehen
von jedem Wehen
sich viele Blüten schenken lässt.
Sie aufzusammeln und zu sparen,
das kommt dem Kind nicht in den Sinn.
Es löst sie leise aus den Haaren,
drin sie so gern gefangen waren,
und hält den lieben jungen Jahren
nach neuen seine Hände hin.
(Rainer Maria Rilke)

Wir können nicht alles verstehen, was das Leben an Geheimnissen und Leiden, Schmerzen und Abgründen, Vergeblichem und Vergänglichem enthält, aber wir können einverstanden sein, indem wir uns in das Verstehen Gottes einhüllen. Im Verstehen und Lieben Gottes eingelebt, können wir versöhnt und geborgen sein. Wir sind mit dem Leben einverstanden, weil wir von Gottes Liebe ganz verstanden und umhüllt sind.

Wie schwer sind für mich, Gott, deine Gedanken! Wie ist ihre Summe so groß! Wollte ich sie zählen, so wären sie mehr als der Sand: Am Ende bin ich noch immer bei dir.
Psalm 139,17f

Wer liebt Gott wirklich?

Ein indisches Märchen erzählt von drei Männern, die im Urwald unterwegs sind. Plötzlich sehen sie einen Tiger auf sich zukommen. Der erste der drei Männer ruft: "Freunde, unser Schicksal ist besiegelt. Der Tiger wird uns fressen, und unser Tod ist unvermeidlich!" Ein Mensch, der so reagiert, ist ein Fatalist, der an die Unabänderlichkeit des Schicksals glaubt.
Der zweite Mann rät: "Meine Brüder, wir wollen gemeinsam zu Gott rufen. Er wird uns in seiner Barmherzigkeit helfen und uns vor dem Tiger bewahren!" Ein Mensch, der so rät, ist ein religiöser Mensch, der alles von Gott erwartet, ohne seine Möglichkeiten einzusetzen.
"Warum sollen wir Gott belasten, wenn wir uns selber mit seinen Gaben helfen können? Lasst uns schnell auf diesen Baum klettern und uns vor dem Tiger verbergen!" Ein Mensch, der so denkt, liebt Gott wirklich.
Das indische Märchen möchte den Fatalisten, der weder handelt noch betet, und den religiösen Menschen, der nur betet und nicht handelt, dem wirklich liebenden gegenüberstellen. Wer klug und folgerichtig handelt, also die Möglichkeiten Gottes in seinem Leben nutzt, liebt Gott wirklich.
Gott gab uns Augen, die Gefahr zu sehen. Er gab uns den Verstand, über Wege der Rettung aus der Gefahr nachzudenken. Er gab uns Gefährten, mit denen wir die Wege überlegen und gehen können. Er gab uns Hände zum Handeln und ließ Bäume wachsen, auf die wir uns retten können. Der Glaube soll die Tat nicht ersetzen, sondern zu den richtigen Taten hinführen.

Und der Herr sei uns freundlich und fördere das Werk unsrer Hände bei uns. Ja, das Werk unsrer Hände wollest du fördern!
Psalm 90,17

Rechthaben oder Liebhaben?

Wer immer nur Recht haben will, wird sich selber zerstören und auch die Netze des Lebens einreißen. Schon in der Fahrschule hat uns der Fahrlehrer im Blick auf unser Vorfahrtsrecht eingebleut: "Hier ruht Herr Knecht, denn er hatte Vorfahrtsrecht!" Wer nur auf sein Recht pocht, wird als erster unter die Räder kommen, nicht nur im Straßenverkehr, sondern auch im viel schwierigeren Miteinander von Menschen im Alltag, in der Familie, am Arbeitsplatz und in der Gemeinde. Gott wollte gegen uns nicht Recht haben und sein Recht geltend machen, er wollte uns lieb haben und uns seine Barmherzigkeit schenken. Gott gibt uns nicht, was wir verdienen, sondern was wir so nötig brauchen, seine Liebe und Barmherzigkeit. Für unser Miteinander wollen wir es von Gott lernen: Das Rechthaben führt in die sinnlose Zerstörung des Lebens, das Liebhaben eröffnet die beglückende Vermehrung des Lebens und seiner Qualität.
Gottes Gnade ist, dass er uns nicht gibt, was wir verdienen! Gottes Barmherzigkeit ist, dass er uns gibt, was wir nicht verdienen!

So hoch der Himmel über der Erde ist, lässt er seine Gnade walten über denen, die ihn fürchten. Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, die ihn fürchten.
Psalm 103,11.13

Die bessere Gerechtigkeit

Eine alte Legende erzählt von zwei Mönchen, die Streit miteinander haben. Sie können sich nicht einigen, denn jeder von beiden fühlt sich im Recht. Schließlich tragen sie dem Abt ihre Sache vor und bitten ihn, den Streit zu schlichten und für Gerechtigkeit zu sorgen. Der Abt möchte eine Nacht Bedenkzeit und gibt den Mönchen am nächsten Morgen seine Antwort:
"Gerechtigkeit gibt es nur in der Hölle, im Himmel regiert die Barmherzigkeit, und auf Erden gibt es das Kreuz!"
Lange reibt man sich an der Antwort, bis man einsieht, dass eine austeilende und konsequente Gerechtigkeit in die Hölle führt, dass Gottes Gerechtigkeit die Gestalt der Barmherzigkeit hat und dass der Weg zwischen dem Rechthaben und Barmherzigsein der Weg des Kreuzes ist.
Schauen wir auf den Hügel Golgatha. Der eine Verbrecher lästert Christus. Er bekommt die gerechte Strafe für sein Leben und findet die Gerechtigkeit der Hölle. Der andere Verbrecher bittet Jesus um Gnade und bekommt Gottes Barmherzigkeit. Jesus aber leidet das Kreuz auf Erden, damit es in der Hölle die Gerechtigkeit und im Himmel die Barmherzigkeit geben kann.

Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte. Er handelt nicht mit uns nach unsren Sünden und vergilt uns nicht nach unsrer Missetat.
Psalm 103,8.10

Segen und Fluch

General Stenbok war der Anführer des schwedischen Heeres, das im Jahr 1773 die Stadt Altona abbrannte. Um das Unglück von der Stadt abzuwenden, wurden Verantwortliche zum General gesandt, an ihrer Spitze Pastor Johannes Sasse. Dieser warf sich vor Stenbok nieder und flehte "um der Wunden Jesu willen" um Erbarmen für die Stadt. "Um der Wunden Jesu willen haben die Russen keinen einzigen Schweden geschont", antwortete Stenbok und stieß den Pastor zurück. Aber der ließ sich nicht abweisen und bat erneut um Milde. Doch alles Bitten und Flehen half nichts, denn Stenbok entschuldigte sich damit, dass er auf höheren Befehl handle. "Wenn das wahr ist", sagte Sasse, "wenn Sie auf höheren Befehl die Stadt in Flammen setzen müssen, so nehmen Sie den Segen des Herrn, der einst unser aller Richter sein wird." Und dann segnete er den General. Stenbok erzitterte bei diesem Segen, und dennoch führte er sein Vorhaben aus und brannte die Stadt ab. Aber von da an wich das Glück von ihm, und bei Thöningen musste der General die Waffen strecken und sich mit seiner ganzen Armee den Dänen gefangen geben. Stenbok selbst endete einige Zeit darauf im Gefängnis. Auf dem Sterbebett sagte er zu dem Pastor, der ihm noch das Abendmahl reichte: "Kein Fluch von allen denen, gegen die ich im Krieg gekämpft habe, liegt so schwer auf meiner Seele als dieser Segen von Pastor Sasse. Er wird mich im Tode noch foltern, denn grässlich war er für mich in seinen Folgen." (Nach Johann Arnold Kanne – 1836)

Siehe, ich lege euch heute vor den Segen und den Fluch; den Segen, wenn ihr gehorcht den Geboten des Herrn, eures Gottes; den Fluch aber, wenn ihr nicht gehorchen werdet den Geboten des Herrn.
5.Mose 11,26ff

Bin ich verrückt?

Ein Mann stürzte von einer Klippe in eine tiefe Schlucht. Beim Absturz konnte er sich gerade noch an einem Zweig festhalten. Dort hing er über der dreihundert Meter tiefen Schlucht. Voller Angst sah er den winzigen Zweig, den riesigen Abgrund und spürte, wie seine Kräfte nachließen. In seiner Todesangst schrie er zu Gott. "Gott, wenn es dich gibt, rette mich, und ich will an dich glauben!" Nach einer Weile hörte er eine mächtige Stimme durch die Schlucht dröhnen: "Das sagen alle Menschen, wenn sie in großer Not sind." – "Nein, Gott", rief der Mann, "ich bin nicht wie die anderen, ich will wirklich an dich glauben; hilf mir doch bitte!" – "Gut, ich werde dich retten", ertönte die Stimme, "lass den Zweig los, ich werde dich auffangen und bewahren!" – "Den Zweig loslassen? Bin ich verrückt?", schrie der verzweifelte Mann.

Weil es unmöglich ist, dass Gott lügt, haben wir einen starken Trost, die wir unsre Zuflucht dazu genommen haben, festzuhalten an der angebotenen Hoffnung.
Hebräer 6,18

Sich von allem lösen – sich in alles finden

Nun sich das Herz von allem löste,
was es an Glück und Gut umschließt,
komm Tröster, Heilger Geist, und tröste,
der du aus Gottes Händen fließt.
Nun sich das Herz in alles findet,
was ihm an Schwerem auferlegt,
komm, Heiland, der uns mild verbindet,
die Wunden heilt, uns trägt und pflegt.
Nun sich das Herz zu dir erhoben
und nur von dir gehalten weiß,
bleib bei uns, Vater. Und zum Loben
wird unser Klagen. Dir sei Preis!
(Jochen Klepper, EKG 532, EG 532)

Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.
Matthäus 11, 28f

Der Große Knall

"Wir führten eine nach Außen hin gut funktionierende Ehe, doch in unserem Inneren war es leer. Wir gingen zwar als Familie in die Kirche, füllten aber unsere seelische Leere mit Besitz, Geld, Hobbys und Unternehmungen. Mein ungestilltes Liebesbedürfnis stillte ein Freund, bis es mein Mann erfuhr. Wir trennten uns und gingen wegen der Kinder wieder zusammen. Doch unterschwellig kriselte es weiter, bis es in der Silvesternacht 1990 zum großen Knall kan. Als ich beim Streit aus dem Schlafzimmer laufen wollte, schoß mein Mann mit der Pistole auf mich. Die Kugel ging durch die Wirbelsäule. ich fiel zu Boden und konnte nicht mehr aufstehen.
Nun griff Gott ein. Er schenkte, dass ich meinem Mann sofort von Herzen verzeihen konnte. Mein Mann verständigte selbst die Polizei und wurde festgenommen. Ich kam in die Klinik zur Operation. In der Intensivstation dachte ich, mein Leben ginge zuende. Doch in genas und wurde zur Rehabilitation verlegt. Dann stand es fest: Ich würde querschnittsgelähmt bleiben.
Mein Mann bekam in der Untersuchungshaft eine Bibel in die Hand; und wir spürten eine nie gekannte Verbindung wie in einem Dreieck: zu Gott und zueinander. Er wurde nach 6 Wochen entlassen. Gott wirkte weiter wunderbar. Das Haus konnte in kurzer Zeit rollstuhlgerecht umgebaut werden. Die Strafe wurde auf Bewährung gesetzt. So konnten wir im Oktober 91 wieder als Familie beginnen.
Bald merkte ich: das neue Leben im Rollstuhl war mühsam und hatte viele Grenzen. Doch Gott schickte mir zu dieser Zeit einen Christen als Krankengymnast ins Haus. Er hörte mir zu, half mir verständnisvoll und lud mich in seine Gemeinde ein. Dort lernten wir viele Christen kennen, ihren liebevollen Umgang miteinander, ihr Leben und Reden mit Gott, ihren Glauben. Bald bekannten auch wir uns zu Jesus, gingen in den Hauskreis und spürten die Führung Gottes in unserem Leben. Meine Verzweiflung und mein Selbstmitleid wurden weniger. Ich kann nun täglich die Hilfe und Liebe Gottes erleben; ich weiß um meine Vergebung und Heilsgewißheit und bin dankbar meinem Herrn, dass es mir gut geht und ich meine Familie mit Haushalt selbst versorgen kann.
1993 ließen mein Mann, meine 14jährige Tochter und ich uns in der Baptistengemeinde taufen.
Ich weiß heute: Mein Leben im Rollstuhl hat einen Sinn, meine Lebensfreude kommt von Gott. Wir wollen ihm als Familie treu sein. Der Herr Jesus ist unsere Mitte und unsere Kraft. Durch seine Liebe können wir uns annehmen und lieben. Unsere Ehe lebt und gedeiht durch ihn."
(Clara Schauer)

"Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden!"
(2. Korinther 5,17)