Ein geheimnisvolles Haus

Wie ein geheimnisvolles Haus mit wunderbaren Räumen, herrlichen Aussichten, verlockenden Möglichkeiten, aber auch gefährlichen Stufen, bedrohlichen Ecken und dunklen Kellern liegt die Zeit vor uns. Das Haus ist verschlossen. Wir suchen den Schlüssel, um in das Haus zu gelangen und das Geheimnis zu erkennen. Wir möchten im Haus der Zeit geborgen leben, alle Räume durchschreiten und in Besitz nehmen, die Aussichten genießen und die Gefahren bestehen. Wer schließt uns das Geheimnis der Zeit auf? Wer hat den Schlüssel? Wer öffnet die Tür?
"Jesus kam und predigte die frohe Botschaft Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt, und Gott ist euch ganz nah gekommen. Kehrt um und glaubt an die frohe Botschaft!" (Markus 1,14f)
Der ewige Gott kommt in die Zeit. Ist das der Schlüssel? Der sterbliche Mensch begegnet dem lebendigen Gott. Ist das die Tür? Wenn Gott kommt, ist die Zeit erfüllt. Wenn Jesus spricht, ist die Zeit erfüllt. Erfüllte Zeit ist das Geheimnis eines erfüllten Lebens. Wenn Gottes Tage unsere Tage und unsere Tage seine Tage sind, wenn die Zeit zum Treffpunkt und Begegnungsort von Gott und Mensch wird, ist das Leben erfüllt. Das Haus öffnet sich. Jesus schließt uns die Tür zu Gott, zum Leben, zur Erfüllung auf.

Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste.
Galater 4,4f

Altwerden

Herr, wir wissen nicht, wie viel Zeit Du uns anvertraust.
Unsere Tage sind in Deiner Hand.
Aber eines merken wir genau, dass wir von Tag zu Tag,
von Jahr zu Jahr dem Ziel unseres Lebens näherkommen.
Herr, ich denke manchmal darüber nach, wie das sein wird,
wenn hier das Leben so weitergeht wie immer -,
aber ich bin nicht mehr da.
Die Straßenbahnen quietschen um die Ecken.
Die Kehrmaschine säubert die Rinnsteine.
Im Betrieb geht jeder wie immer seiner Arbeit nach,
frühstückt, macht einen Scherz.
Der Blaulichtwagen heult die Straße entlang.
Im Blumengeschäft gibt es Hortensien,
auch bunte Asternsträuße
und zum Ewigkeitssonntag Kränze.
Herr, hilf mir, das alles zu sehen
im Wissen um das Ziel meiner Wege.
Herr, hilf mir, das Altwerden als ein Reifen
zur Vollendung zu begreifen.
Herr, hilf mir zu sehen, dass die eigentliche Lebenskurve
ansteigt und nicht fällt.
Herr, hilf mir, auch zum Alter ja zu sagen,
denn es gibt keine Zeit, die nicht Deine Zeit ist
und die nicht von Dir Sinn,
Auftrag und Erfüllung empfängt.
Herr, hab Dank, dass ich auch im Altwerden
noch Dein Kind bleibe und Du mein Vater bist.
Lass meine Lippen Dich rühmen, wie Dir Kinder danken.
(Paul Toaspern)

Auch im Alter, Gott, verlass mich nicht, und wenn ich grau werde!
Psalm 71,18

Was ist der Mensch?

In seinen Roman "Krebsstation" hat Solschenyzin eine alte islamische Legende eingeflochten:
Warum wird der Mensch 100 Jahre alt? Allah verteilte das Leben und gab jedem Tier 50 Jahre. Der Mensch kam als letzter an die Reihe, und Allah hatte nur noch 25 Jahre zu vergeben. Der Mensch jammerte: "Das ist mir zu wenig!" – "Na", sagte Allah, "dann mach dich auf den Weg, vielleicht hat jemand von den Tieren ein paar Jahre übrig und gibt sie dir ab." Und der Mensch begegnete dem Pferd. "Na schön", sagte das Pferd, "du kannst 25 Jahre von mir haben." Der Mensch ging weiter und begegnete dem Hund. "Na schön, nimm dir 25", sagte der Hund. Der Mensch traf den Affen. Von dem bekam er auch 25 Jahre. Dann kehrte er zu Allah zurück. Der sagte: "Du hast es selbst gewollt. Die ersten 25 Jahre wirst du wie ein Mensch leben. Die zweiten 25 Jahre wirst du arbeiten wie ein Pferd. Die dritten 25 Jahre wirst du bellen wie ein Hund. Und die letzten 25 Jahre wird man über dich lachen wie über einen Affen!"
Warum tun sich die Menschen so schwer mit ihrer Stellung zwischen Gott und den anderen Kreaturen? Einmal wollen sie sich erheben und an die Stelle Gottes setzen, dann wieder sinken sie auf die Stufe der Tiere herab, werden zum Arbeitstier wie ein Pferd, zum Kläffer wie ein Hund oder zum Tor wie ein Affe.

Was ist der Mensch, dass du, Gott, seiner gedenkst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott. mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füße getan, Schafe und Rinder allzumal, dazu auch die wilden Tiere.
Psalm 8,5-8

Feindesliebe

Es gibt Widrigkeiten im Leben und Feinde des Menschen. Sehr nüchtern geht die Bibel davon aus, dass Feinde da sind. Aber Jesus gibt uns einen guten Rat, wie wir mit dieser Feindseligkeit umgehen können. Wer seine Feinde hasst, die Rache oder Vergeltung selbst in die Hand nimmt, macht sich nur selbst kaputt und gibt dem anderen große Macht. Wer einen Menschen Hasst und sich an ihm rächen will, gibt ihm weitreichende Macht über sein Leben. Der andere wird über den Schlaf, den Appetit, die Gesundheit und die Gemütsverfassung herrschen. Und das will Gott nicht. Und wir wollen es letztlich auch nicht. Darum ist es besser, gesünder, verträglicher für uns, den anderen, die Beziehung, für das Leben insgesamt, wenn wir die zerstörerischen Kräfte des Hasses in die aufbauenden der Liebe verwandeln. Es geht nicht um Sympathie, sondern um das bewusste Aus-der-Hand-Geben des Hasses und der Rache. Gott selbst wird die Dinge in die Hand nehmen. Und wir werden frei, lassen uns nicht durch Gefühle von Hass und Vergeltung aufreiben und den anderen nicht über uns bestimmen.

Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde, bittet für die, die euch verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel!
Matthäus 5,44f

Schlagfertig oder zum Verständnis bereit?

Von Johann Peter Hebel gibt es eine Geschichte von einem Bauern, der eines Tages den Lehrer im Feld trifft. "Ist es noch Euer Ernst, Schulmeister, was Ihr gestern den Kindern erklärt habt: So dich jemand schlägt auf deine rechte Backe, dem biete auch die andere dar?" Der Schulmeister sagt: "Es steht im Evangelium!" Also gab ihm der Bauer eine Ohrfeige und die andere auch, denn er hatte schon lange einen Verdruss auf ihn. Indem reitet in einer Entfernung der Edelmann vorbei und sein Jäger. "Schau doch mal nach, Joseph, was die zwei dort miteinander haben!" Als der Joseph kommt, gibt der Schulmeister, der ein starker Mann war, dem Bauern auch zwei Ohrfeigen und sagt: "Es steht geschrieben: Mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch wieder gemessen werden. Ein voll gerüttelt und überflüssig Maß wird man in euren Schoß geben!" Und zu dem letzten Spruch gab er ihm noch ein halbes Dutzend Ohrfeigen drein. Da kam Joseph zu seinem Herrn zurück und sagte: "Es hat nichts zu bedeuten, gnädiger Herr, sie legen einander nur die Heilige Schrift aus!"
Wie oft haben sich Menschen die Worte Gottes um die Ohren gehauen und Gottes heiliges Wort als Waffe gegen andere benutzt. Über das Wort der Liebe sind Menschen in Streit geraten, und über dem Mahl der Liebe haben sich Christen entzweit. Die Bibel sieht das Wort Gottes als ein Schwert, das uns trifft, das Böse trifft. Aber wir sollten Gottes Wort und unsere Auslegung nicht als Waffen gegen andere einsetzen.
Sind wir treffend oder verbindend? Sind wir schlagfertig, also zum Schlag bereit, oder zur Verständigung und Versöhnung fähig?

Und Jesus fing an bei Mose und den Propheten und legte seinen Jüngern in der Schrift aus, was darin von ihm gesagt war.
Lukas 24,27

Zufrieden

Der weise Philosoph Diogenes hatte im Flusswasser ausgiebig gebadet und ruhte nun auf einem Felsen in der Sonne. Ihre Wärme tat dem Mann gut, und er genoss die kostenlose Wohltat. Da ritt Alexander von Mazedonien mit einem großen Gefolge und herrlicher Pracht vorbei. Als er den armen Philosophen sah, dauerte der ihn, und er sagte: "Ach, du armseliger Mensch, bitte mich, und ich werde dir geben, was du auch möchtest!" Diogenes antwortete höflich: "Ich bitte dich herzlich: Geh mir aus der Sonne!"

Mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott. Denn Gott der Herr ist Sonne und Schild, der Herr gibt Gnade und Ehre.
Psalm 84,3.12

Typisch Pferd

Ein Pferd spricht: "Die Menschen lassen sich nicht von Taten, sondern von Worten leiten. Zu solchen Worten, die bei ihnen als sehr wichtig gelten, gehören die Worte: mein, meine, die sie in Verbindung mit verschiedenen Sachen, Geschöpfen und Gegenständen gebrauchen, sogar mit Erde, Menschen und Pferden. Über ein einzelnes Ding machen sie aus, dass nur einer ‚meins‘ zu sagen habe. Und derjenige, der von den meisten Dingen ‚meins‘ sagen kann, der gilt bei ihnen als der Glücklichste. Die Menschen streben im Leben nicht danach, das zu tun, was sie für Gut erachten, sondern danach, möglichst viele Sachen mit ‚mein‘ zu benennen. Ich bin davon überzeugt, dass darin der wesentliche Unterschied zwischen uns und den Menschen bseteht!" (Leo Tolstoj)

"Die Liebe sei ohne Falsch. Hasset das Arge, hänget dem Guten an!"
(Römer 12.9)

Bedingungslose Liebe

Ein kleiner Berliner Steppke fragt eines Tages eine feine Dame nach dem Kurfürstendamm. Die vornehme Frau schaut den kleinen Jungen durchdringend an und sagt: "Junge, wenn du mich was fragst, dann nimm erst mal die Hände aus der Tasche, zieh die Mütze vom Kopf, putz dir anständig die Nase, mach einen Diener und sag ‚Gnädige Frau’ zu mir!" Darauf antwortet der Junge: "Det ist mir vill zu ville, da verloof ick mir lieba!"
Gott stellt uns keine Bedingungen. Wir dürfen zu ihm kommen, wie wir sind, wer wir sind, woher wir sind. Jeder ist eingeladen. Alle nimmt Gott an, die sich aufmachen, ihn fragen, bitten und etwas von ihm erwarten. Seine Liebe ist bedingungslos und grenzenlos, vorbehaltlos und maßlos, restlos, aber nicht absichtslos und folgenlos. Gottes Liebe ist eine echte Vorliebe, aber sie möchte Folgen haben und zielt deswegen auf unsere Nachfolge.

Jesus sprach zu Zachäus: In deinem Haus muss ich heute einkehren! Die Leute murrten und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt!
Zachäus sprach zu Jesus: Die Hälfte meiner Güter gebe ich den Armen, und wenn ich jemand betrogen habe, das gebe ich ihm vierfältig wieder!
Lukas 19,5.7.8

Nun danket alle Gott

Martin Rinckart (1586-1649) war während des Dreißigjährigen Kriegs Pastor in Eilenburg in Sachsen-Anhalt. Man nannte ihn den "Ambrosius" der evangelischen Kirche. Sein Mut und seine Tapferkeit bewährten sich während der österreichischen und schwedischen Belagerung von Eilenburg. Wie überall wütete auch dort die Pest, und Rinckart musste insgesamt 4.480Menschen seiner Gemeinde beerdigen. Auf Belagerung und Pest folgte dann die Hungersnot, die noch weitere 0pfer forderte. Von der Liebe Christi bewogen, ging er von Haus zu Haus, um den Menschen in ihrer Not beizustehen. Sein Siegelring trug die Gravur: MVSICA, "Mein Vertrauen steht in Christus allein!"
Trotz unsagbarem Leid betete er jeden Tag mit seiner Familie das Dankgebet aus Sirach 50,24: "Nun danket alle Gott, der große Dinge tut an allen Enden. Der uns von Mutterleib an lebendig erhält und tut uns alles Gute!" Die Verse brachte er in Gedichtform und schenkte der Christenheit so eines der schönsten Lob- und Danklieder.
"Nun danket alle Gott, mit Herzen, Mund und Händen,
der große Dinge tut an uns und allen Enden,
der uns von Mutterleib und Kindesbeinen an
unzählig viel zugut und noch jetzund getan."

Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewig!
Psalm 106,1

Manchmal ein Vorteil

Die Familie war um den Tisch versammelt beim Abendessen. Der älteste Sohn kündigte an, er werde das Mädchen von gegenüber heiraten.
"Aber ihre Familie hat ihr nicht einen Pfennig hinterlassen", sagte der Vater voller Missbilligung.
"Und sie selbst hat sicher nichts gespart", ergänzte die Mutter.
"Sie versteht rein gar nichts von Fußball", sagte der Bruder.
"Ich habe noch nie ein Mädchen mit einer so blöden Frisur gesehen", warf die Schwester ein.
"Sie tut nichts als billige Romane lesen", meinte der Onkel.
"Und sie zieht sich sehr geschmacklos an", meckerte die Tante.
"Dafür spart sie nicht mit Puder und Schminke", sagte die Großmutter. "Alles richtig", sagte der Sohn, "aber sie hat, mit uns verglichen, einen großen Vorteil!" – "Und der wäre?" fragten alle gespannt. – "Sie hat keine Familie!"

Da merkte ich, dass es nichts Besseres gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. Der Mensch. der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinen Mühen, das ist eine Gabe Gottes!
Prediger 3,12f