Vom Winde verweht

Der kleine Prinz durchquerte die Wüste und begegnete nur einer Blume mit drei Blütenblättern, einer ganz armseligen Blume. "Guten Tag", sagte der kleine Prinz. "Guten Tag", sagte die Blume. "Wo sind die Menschen?" fragte höflich der kleine Prinz. Die Blume hatte eines Tages eine Karawane vorüberziehen sehen. "Die Menschen? Es gibt, glaube ich, sechs oder sieben. Ich habe sie vor Jahren gesehen. Aber man weiss nie, wo sie zu finden sind. Der Wind verweht sie. Es fehlen ihnen die Wurzeln, das ist sehr übel für sie." – "Adieu", sagte der kleine Prinz. "Adieu", sagte die Blume. (Antoine de Saint-Exupéry)

Das ist sehr übel für uns Menschen, wenn wir nicht in Gottes Liebe und Leben, seiner Geschichte und Gemeinde wurzeln. Der Wind der Zeit wird uns verwehen.

"Gesegnet aber ist der Mensch, der sich auf den Herrn verlässt und dessen Zuversicht der Herr ist. Der ist wie ein Baum, am Wasser gepflanzt, der seine Wurzeln zum Bach streckt. Denn obgleich die Hitze kommt, fürchtet er sich doch nicht, sondern seine Blätter bleiben grün; und er sorgt sich nicht, wenn ein dürres Jahr kommt, sondern er bringt ohne Aufhören Früchte."
(Jeremia 17,7f)

Geneigtes Leben

Reife Ähren erkennt man am gebeugten Halm. Beugen ist nicht Ausdruck der Schwäche, sondern sichtbares Zeichen der Reife.
Bäume neigen sich, wenn Früchte wachsen. Geneigtes Leben ist wertvoller, als hartnäckig und halsstarrig vor sich selbst zu stehen.
Beugen und Neigen greift nach dem höchsten Ziel, um im Staunen und Anbeten über sich hinauszuleben. Sich überheben und sich vermessen stürzt dagegen in die tiefsten Abgründe.
Der Höhe unserer Berufung, Gottes Kinder und Haushalter zu sein, entspricht die Tiefe der Beugung. Der Größe des Lebens entspricht die Tiefe der Neigung.
1. Neigen ist Anbetung und Verherrlichung Gottes. Wir beugen uns, um Gott zu erheben. Bevor andere Mächte uns schändlich beugen, beugen wir uns fröhlich vor dem Lebendigen.
2. Neigen ist Gehorsam und Nachfolge Jesu. Wir beugen uns vor Christus, um damit gegen vieles andere aufzustehen.
3. Neigen ist Ausdruck besonderer Gaben und Aufgaben. Hohe Berufungen machen uns nicht stolz, sondern demütig und mutig.
4. Neigen ist, Lasten und Leiden zu tragen. Manche Not wird unser Leben beugen. Und wir sehen darin das Reifwerden besonderer Lebensfrüchte.
5. Neigen ist Zuneigung und Liebe. Wirkliche Liebe wird es nur in der Gestalt tiefer Zuneigung geben. Wer einem anderen ganz zugeneigt ist, vergibt sich nichts, aber er schenkt viel und gewinnt dabei an Größe.

Ich neige mein Herz, zu tun deine Gebote.
Psalm 119,112

Sehnsucht

"Die Sehnsucht gibt dem Herzen Tiefe." (Augustin) Wer nicht mehr offen und aufbruchbereit ist, lebt flach und oberflächlich. Nur wo Menschen noch auf Größeres und Weiteres, Höheres und Tieferes aus sind, bleibt das Leben lebendig. Nur wenn wir noch auf Letztes und Vollkommenes warten, nur wenn wir als Menschen noch mit Gott rechnen, bleiben die Tage spannend und bleibt das Leben dynamisch. Die Sehnsucht, die im Menschen wohnt und ihn wach und in Bewegung hält, ist die Sehnsucht nach Gott und seiner grenzenlosen Liebe. Nur in Gott ist die Erfüllung so stark wie die Sehnsucht. Nur in ihm finden wir Ruhe und Geborgenheit, wonach unser Innerstes schreit.
Unsere Sehnsucht nach Gott aber ist nur die eine Seite eines großen Zusammenhangs. Auch Gott hat Sehnsucht nach uns. "Der Mensch ist die Sehnsucht Gottes." (Augustin) Alles in Gott drängt und verlangt nach uns. Gott äußert sich und tritt aus sich heraus in seiner Liebe. In Jesus ist Gott außer sich vor Liebe, kommt uns ganz nah und sucht uns auf, wo wir wohnen, im menschlichen, irdischen, versehrten Leben. Meine Sehnsucht nach Gott will ich nicht unterdrücken, sondern ausdrücken, und Gottes Sehnsucht nach mir will ich nicht ausschlagen, sondern in sie einschlagen. So wird das Leben ein Weg zur Erfüllung.

Gott, du bist mein Gott, den ich suche. Es dürstet meine Seele nach dir, mein ganzer Mensch verlangt nach dir.
Psalm 63,2

Zielorientiert leben

Charlie Brown übt mit Pfeil und Bogen. Er schießt auf eine Wand und, wo der Pfeil gerade hingetroffen hat, malt er den Kreis darum und die Zwölf auf das Einschußloch. So hat er immer das Ziel getroffen. Jemand, der zuschaut, sagt: "Charlie, das geht anders herum. Du musst erst die Zwölf und den Kreis malen, und dann mit dem Pfeil die Mitte treffen!" Machen wir es nicht auch oft so? Menschen leben, und wohin sie gerade gekommen sind, machen sie den Kreis und haben das Ziel getroffen. Die einen arbeiten und rackern, schaffen und werkeln und sagen am Ende: "Arbeit war mein Leben!" Andere setzen mehr auf Vergnügen und Genuss, sie machen den Kreis herum und haben das Ziel getroffen. Wieder andere suchen Bildung und Ausbildung, Kultur und Wissenschaft und haben am Ende ihr Ziel auf diese Weise erreicht. Noch andere wollen Leben erfahren im Reisen und Unterwegssein. Sie sind ständig auf Achse und suchen ferne Länder und verwegene Abenteuer. Am Ende nennen sie es als Lebensziel und haben es auch erreicht.
Irgendwann sagt uns dann mal jemand, dass es anders herum geht. Gott setzt unserem Leben ein Ziel, und wir müssen es zu erreichen versuchen. Gott hat dem Menschen als Lebensziel die Gemeinschaft mit ihm vorgegeben und auch die Möglichkeit eröffnet, es zu erreichen. Darum sollten wir nicht ich-orientiert, sondern ziel-orientiert leben. Gott zu treffen, ist der Sinn unseres Lebens, und ihn zu verfehlen, ist die Sünde des Lebens.

Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich nach dem, das da vorne ist, und jage dem vorgesteckten Ziel nach.
Philipper 3,13f

Wie ein Augapfel

Unser menschliches Auge ist ein Wunderwerk. Der Augapfel liegt geschützt in der von Knochenwänden gebildeten Augenhöhle mit den Augenmuskeln, Nerven und Gefäßen eingebettet in Fettgewebe. Der überaus empfindliche innere Teil des Auges wird von drei Häuten sorgsam geschützt. Die Lederhaut, die vorne in die Hornhaut übergeht, bildet die äußere Schutzschicht. Die mittlere Haut ist die Aderhaut, die die innerste Schicht, die Netzhaut, mit Blutgefäßen versorgt. Die Lider mit ihren Wimpern schließen die Augenhöhle nach vorne ab, und der Sehnerv leitet von der Netzhaut die Gesichtseindrücke nach hinten zum Sehzentrum des Gehirns weiter. Wir sehen Bilder und Bewegungen, Formen und Farben, Hell und Dunkel, weil alles wunderbar zusammenspielt und lebensmäßig verbunden ist.
Das gleiche Auge, das aus dem Leib herausgenommen wird und auf einem Teller liegt, ist ein trauriger, ja ekliger Anblick. Das gleiche Auge ist im Lebenszusammenhang ein Wunderwerk und daraus entnommen ein Jammerbild.
So ist der Mensch im Lebenszusammenhang mit Gott und im Verbund mit ihm ein Wunder und Geheimnis, ein kostbarer, wichtiger und wertvoller Teil des Lebens. Ohne Gott und den lebendigen Zusammenhang mit seiner Wirklichkeit gleichen Menschen traurigen und trostlosen Gestalten. Darum ist der Lebensbund und -zusammenhang mit Gott so wichtig und lebensnotwendig.

Behüte mich wie einen Augapfel im Auge!
Psalm 17,8

Gewinn und Verlust

Es gibt nur einen wirklichen und am Ende noch gültigen Gewinn für mich, wenn Gott mich ganz gewonnen hat. Es gibt nur ein wirkliches und am Ende nicht entschuldbares Versagen, wenn ich mich Gott versagt habe. Alles, was bei Menschen Versagen genannt wird, kann Gott in seiner Liebe vergeben. Aber wer sich Gott selber versagt, richtet eine Mauer der Trennung auf, die Gott nicht gewaltsam einrennt. Auf unser menschliches Versagen hin gibt Gott uns seine Zusage: "Ich will ihnen vergeben alle Missetaten, womit sie wider mich gesündigt haben!" (Jeremia 33,8)
Aber wer sich Gott versagt, versagt dann im tiefsten Sinn im Leben. Und alles, was wir gewinnen an Zeit und Kraft, Bildung und Wissen, Geld und Gut, Einsicht und Erfahrung ist kleiner als der Gewinn, der darin liegt, dass Gott mich ganz gewonnen hat.

Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden geachtet …, auf dass ich Christus gewinne und in ihm erfunden werde.
Aus Philipper 3,7-9

In die Geschichte eingehen

Unterwegs frage ich einen jungen Mann, was er so macht. "Ich suche noch meinen Platz!" – "Was würden Sie denn am liebsten tun?" – "Ich würde gern etwas schaffen, wovon man in 500 Jahren noch redet!" Das ist der Traum vieler Menschen: in die Geschichte eingehen, etwas Bleibendes wirken, über das Vergängliche und Vergebliche hinaus wirken. Gott gab uns das Leben nicht, damit wir es vertändeln. Wir haben den Kopf nicht nur zum Huttragen oder Essen. Unsere Hände wollen nicht nur in die Tasche gesteckt werden. Unser ganzes Leben ist auf Betätigung und Bestätigung aus.
Was können wir tun, damit wir nicht nur in die Geschichtsbücher eingehen und in 500 Jahren noch jemand von uns redet, sondern dass unser Leben bis in Ewigkeit gültig, aufgehoben und bedeutsam ist? Gott bietet uns eine wunderbare Möglichkeit an, als seine Kinder teilzuhaben an seinem Werk und Reich, das von Ewigkeit zu Ewigkeit dauert. Was wir im Namen Gottes leben und tun, lieben und leiden, darüber wird man in Ewigkeit noch sprechen. Als Gottes Kinder gehen wir in die längste und größte Geschichte ein.
Gott trägt unseren Namen in sein Lebensbuch ein und lässt uns bis in Ewigkeit teilhaben an seiner Herrschaft. Es muss nichts Großes sein, was wir tun, aber etwas bei Gott Gültiges, etwas am Ende noch Gültiges. Wenn alles im Sterben vergeht, bleibt nur das, was mit Gott, aus Gott und zu Gott gelebt ist, auch wenn es die alltäglichste Arbeit war.

Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben. Ja, der Geist spricht, dass sie ruhen von ihrer Arbeit; denn ihre Werke folgen ihnen nach.
Offenbarung 14,13

Mutterhände

Es war einmal eine arme Schneiderfamilie mit vielen Kindern. Hans, der Älteste, sollte in die Welt hinausziehen, um selbst seinen Unterhalt zu verdienen. Beim Abschied streichelte ihn die Mutter mit ihren abgearbeiteten Händen, die rau und rissig von all den Mühen waren. Hans schloss sich auf seiner Wanderung zwei Prinzen an und wurde ihr Diener. Sie kamen in eine Stadt, in der die Leute erzählten, der König des Landes wolle dem seine hübsche Tochter zur Frau geben, der eine Probe bestehe. Aber schon viele hatten vergeblich versucht, die Aufgabe zu erfüllen. Sofort meldeten sich die Prinzen beim König, und Hans ging auch mit ihnen. Sie kamen in einen herrlichen Saal des Schlosses. Aus einer Wand streckten sich ihnen drei Händepaare entgegen. Der König stellte sich daneben und fragte: "Welche dieser Hände dünken euch am verehrungswürdigsten?" Die Prinzen dachten nur an die schöne Prinzessin und fühlten die Hände. Der eine Prinz wählte die zartesten der Hände aus, der zweite die am reichsten geschmückten Hände. Der König forderte auch Hans auf. Er fühlte und sah die Hände und dachte bei dem dritten Paar, die abgearbeitet und rau waren, an seine Mutter. Er sagte: "König, diese Hände erinnern mich an meine gute Mutter, sie sind am verehrungswürdigsten!" Nun kamen die drei Frauen hinter der Wand hervor. Die Frau mit den rissigen Händen war die Mutter des Königs, und sie sagte zu Hans: "Du hast dich nicht von Schönheit und Reichtum verlocken lassen. Dein Herz ist gut, darum verdienst du meine Enkelin als Frau – und den Reichtum dazu." Da wurden auch die Eltern und Geschwister herbeigeholt, und alle freuten sich über das glückliche Paar.

Lass deinen Vater und deine Mutter sich freuen und fröhlich sein, die dich geboren hat!
Sprüche 23,25

Ein Haus

Ein Makler wollte einer jungen Frau ein Haus verkaufen. Ihre Antwort: "Wozu brauche ich ein Haus? Ich wurde im Krankenhaus geboren, im Kindergarten verwahrt, im College erzogen, in einem Auto bekam ich meinen Heiratsantrag, in der Kirche heiratete ich, wir essen in Restaurants, die Vormittage verbringe ich im Büro, die Nachmittage in Cafes, abends gehen wir ins Kino oder zum Tanzen. Und wenn ich sterbe, werde ich vom Bestattungsinstitut beerdigt. Alles, was ich brauche, ist eine Garage!"
Wir haben das Haus Gottes (oikos), seine Ökonomie in der Schöpfung, ihre Werte und Rhythmen, ihre tragenden und bergenden Räume verlassen und sind in einer bitteren Aufenthaltslosigkeit gelandet. Dann haben wir die Dinge selbst in die Hand genommen und scheitern nun mit unseren Wolkenkuckucksheimen und unseren Babeltürmen, mit unseren Luftschlössern und Elendshütten und finden kein Zuhause mehr.

Eines bitte ich vom Herrn, das hätte ich gerne: dass ich im Hause des Herrn bleiben könne mein Leben lang.
Psalm 27,4

Die Rose von Jericho

Die Legende erzählt von der Rose aus Jericho. Sie blüht in herrlicher Pracht und duftet mit wunderbarer Süße, solange sie genügend Wasser aus dem Boden beziehen kann. Wenn kein Regen mehr fällt und die Feuchtigkeit des Bodens nachlässt, rollt sie sich zusammen wie ein Ball. Bevor ihre Wurzeln austrocknen, rollt sie sich zusammen und lässt sich vom Wind forttreiben, um irgendwo, wo es Wasser gibt, wieder zu blühen und zu duften.
Wenn jeder von uns, wenn die Wasser des Lebens und der Fluss der Liebe eintrocknen, sich gleich zusammenrollen und verduften würde? Wenn jeder, der in einer Wüste der Not und im Mangel des Leides wohnt, sich gleich davonmachen und nach besseren Orten Ausschau halten würde, wo kämen wir da hin? Und wie heißt der Wind, der uns dann forttreiben und bewegen würde? Wäre das der Zeitgeist oder der Sturm der Entrüstung, wären das die lauen Winde der Bequemlichkeit oder die Böen der Angst?
Um Gottes Willen wollen wir in der Not bleiben, im Leid, in der Wüste der Einsamkeit, bis es wirklich Gottes Geist ist, der uns an einen anderen Ort treibt, wo wir für ihn blühen und wachsen können.

Der Gott aber aller Gnade, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen.
1.Petrus 5,10