Dreimal täglich

Abends, morgens und mittags
loben wir Dich,
Gebieter über das All,
wir preisen Dich, wir danken Dir
und bitten Dich,
menschenfreundlicher Herr,
lenke unser Gebet in Deine Gegenwart
und lass unsere Gedanken nicht abirren
zu schlechtem Reden und Sinnen,
sondern befreie uns von Allem,
was unseren Seelen schaden kann.
Zu Dir, Herr, erheben wir unseren Blick,
und auf Dich setzen wir unsere Hoffnung.
Denn Dir gebührt aller Ruhm,
alle Ehre und Anbetung,
dem Vater, dem Sohn und dem heiligen Geist,
jetzt und allezeit
und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!

(Gebet aus der russisch-orthodoxen Kirche)

"Daniel hatte in seinem Obergemach offene Fenster nach Jerusalem, und er fiel dreimal am Tag auf seine Knie, betete, lobte und dankte seinem Gott."
(Daniel 6,11)

Morgens

… empfangen wir den neuen Tag als ein Geschenk von Gott. Der Dank wird uns gegen alles Fehlende und Negative positiv machen.
… stellen wir den Tag unter Gottes Regie. Dann sind wir nicht von Angst oder Zorn oder Neid bestimmt.
… vertrauen wir unsere Familie und Freunde der Fürsorge Gottes an. So sind wir frei von ängstlichen Sorgen und können uns aneinander freuen.
… legen wir Gott auch die schwierigen Aufgaben und Menschen hin, damit wir mit ihnen richtig umgehen.
… geben wir unser ganzes Leben in Gottes Hand. So wird dieser einzelne Tag ein Tag mehr im Leben, ein Schritt weiter zum Ziel, ein Stück mehr zur Reifung. Dieser Tag bekommt seinen besonderen Glanz und sein besonderes Gewicht. Er ist kein grauer Alltag und kein Tag wie jeder andere. Er ist ein besonderer Tag vor Gott, mit Gott und zu Gott.
"Das Gebet in der Frühe entscheidet über den Tag. Vergeudete Zeit, derer wir uns schämen, Versuchungen, denen wir erliegen, Schwäche und Mutlosigkeit in der Arbeit, Unordnungen und Zuchtlosigkeit in unseren Gedanken und im Umgang mit anderen Menschen haben ihren Grund sehr häufig in der Vernachlässigung des morgendlichen Gebetes." (Dietrich Bonhoeffer)

"Herr, frühe wolltest du meine Stimme hören, frühe will ich mich zu dir wenden und aufmerken!"
(Psalm 5,4)

Mundwerk und Handwerk

Es hatte lange nicht geregnet. Die Ernte auf den Feldern drohte zu verdorren. Die Gemeinde wurde zu einem Bittgottesdienst um Regen eingeladen. Die Not trieb viele zum Beten, und die Kirche füllte sich mittags um zwei Uhr in der glühenden Hitze eines Sommersonntags.
Auch ein kleiner, fünfjähriger Junge kam und brachte seinen Regenschirm mit. "Was willst du mit dem Schirm?", fragte ihn streng der Küster an der Tür. "Es ist doch Bittgottesdienst für den Regen", sagte der Junge, "und wenn es dann auf dem Heimweg regnet, hab ich den Schirm." Beten, das sind nicht nur Worte, sondern ist ein Handeln im Glauben. Gebete sind nicht nur Mundwerk, sie sind Handwerk der Christen in dieser Welt. "Christen, die beten, sind lauter Helfer und Heilande der Welt, sie sind Beine, die die Welt tragen. Wie ein Schuster einen Schuh macht und ein Schneider einen Rock, also soll ein Christ beten. Eines Christen Handwerk ist das Beten." (Martin Luther)
Und das glaubensvolle Beten müssen wir von den Kindern wieder lernen.

Betet aber im Glauben und zweifelt nicht. Denn wer da zweifelt, der ist gleich wie die Meereswoge, die vom Winde getrieben und bewegt wird. Ein Zweifler ist unbeständig in allen seinen Wegen.
Jakobus 1,6.8

Wie beten wir richtig?

Während ein Techniker vom Störungsdienst das Telefon repariert, unterhalten sich im Arbeitszimmer des Pfarrers drei Geistliche über die richtige Gebetshaltung. Der eine meint, im Knien ließe es sich am besten beten, das wäre die einzige richtige Haltung vor Gott. Der andere erklärt, dass er am besten im Stehen betet und dazu die Hände flehend zu Gott erhebt. So würde die Sehnsucht und Bedürftigkeit am deutlichsten ausgedrückt. Der dritte ist anderer Meinung. Für ihn ist die richtige Gebetshaltung, auf dem Boden ausgestreckt vor Gott zu liegen, so wie es in der Bibel steht, dass Menschen im Gebet vor Gott liegen. Da mischt sich der Fernmeldetechniker ein und sagt: "Also ich habe am besten gebetet, als ich einmal mit dem Kopf nach unten an einem Telefonmast hing!"
Es gibt viele verschiedene Gebetshaltungen. Aber eine ist die beste, wenn wir mit ganzem Ernst, aus tiefstem Herzen, in reinster Absicht und höchster Not Gott anrufen.
"Wer läuft am schnellsten zu Gott? – Der Lahme! Wie eilt, wie springt, wie stürzt er in Gottes unendlich geöffnete Arme!" (Ernst Ginsberg)

Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen!
Psalm 50,15

Ist der Weg frei?

In Surinam haben sich die Christen, weil ihre Hütten nur aus einem Raum bestehen, einen Gebetsplatz im Wald gesucht, wohin sie täglich gingen, um dort in der Stille allein mit Gott zu reden. Die Gebetswege waren mit der Zeit wie ausgetretene kleine Pfade.
Eines Tages sagte ein Eingeborener zu seinem Nachbarn ganz liebevoll: "Du, auf deinem Gebetsweg wächst langsam das Gras!"
Der Weg zu Gott im Gebet ist immer frei. Gott wartet mit Sehnsucht darauf, dass wir Zeit haben und Ruhe finden, mit ihm zu reden und auf ihn zu hören. Ist auf unserem Gebetsweg auch Gras gewachsen, weil wir ihn so selten benutzen?
"Durch Gebet weicht der Staub von der Seele und die Last vom Gewissen und die Angst aus dem Herzen. Der Mensch wird frei, die Fesseln fallen zu seinen Füßen nieder. Gebet ist der Zusammenschluss mit dem Erlöser!" (Hermann Bezzel)

Sorget nichts, sondern in allen Dingen lasset eure Bitten im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden!
Philipper 4,6

Die Königin

Das Gebet ist die Königin aller guten Taten. Sie kann alle anderen Taten nicht ersetzen, aber sie ist die wichtigste Tat, die durch keine andere zu ersetzen ist. Aus dem Gebet fließt das Tun wie von selbst in die richtige Bahn. Und das beste Tun mündet wie von selbst in seine höchste Form, das Gebet, ein.
Dem Betenden geht die Arbeit leicht von der Hand. Und dem Arbeitenden fließt das Gebet leicht aus dem Herzen. So bilden Beten und Arbeiten ein Ganzes, bilden einen wunderbaren Lebenszusammenhang.
Unsere Zeit ist eine gebetsarme Zeit. In den Tagen der Hast und Hetze, der Eile und Erregung, der Unruhe und Unrast, der Automaten und Atome will das Beten nicht so recht gelingen. Die Königin des Lebens ist abgesetzt. Die Gier nach dem Mehr und die Angst vor dem Weniger treiben uns als grausame Tyrannen in die Besinnungslosigkeit. Wer setzt das Gebet, die Königin alles Tuns, wieder auf den Thron?

Betet allezeit mit Bitten und Flehen im Geist und wachet dazu mit allem Anhalten und Flehen für alle Heiligen!
Epheser 6,18

Gebet

Gebet ist die größte Möglichkeit der Menschen, aber es nimmt den kleinsten Raum in ihrem Tun ein. Gebet ist die schönste Pflicht der Glaubenden, aber sie wird am schlechtesten erfüllt. Gebet ist die einfachste Form der Liebe und Hingabe, aber es wird das schwierigste Problem daraus. Allen Menschen steht im Gebet die Tür zu Gott weit auf, aber nur die wenigsten gehen wirklich hindurch. Gebet ist die nächstliegende Form, über sich selbst hinauszuwachsen, aber die Menschen greifen lieber nach den allerfernsten Praktiken. Es ist viel leichter, in der Arbeit treu zu sein, als im Gebet. Wir glauben, dass das Gebet am meisten bewirkt, aber wir leben, als ob unser Wirken am meisten ergibt. Gebet ist die sicherste Möglichkeit, an all den Gaben Gottes teilzuhaben, aber nirgends sind wir so unsicher wie im Leben des Gebetes. Gott weiß, was wir brauchen, ehe wir ihn darum bitten, aber er möchte es uns geben, wenn wir darum bitten.

Herr, lehre uns beten!
Lukas 11,1

Es ist umgekehrt

In der deutschen Sprache konjugieren wir: ich, du, er, sie, es. In der hebräischen Sprache ist es umgekehrt. Dort konjugiert man: er, sie, es, du, ich. Für ein Kind beginnt der Weg zum Ich tatsächlich mit dem Wahrnehmen der Umgebung. Ein Kind tritt in die Welt des Er, Sie und Es ein und hört und sieht und nimmt wahr. Erst viel später kommt das Du, die direkte persönliche Anrede und Beziehung, und zum Schluss stehen auch das Ich und das Ichbewusstsein. Leben erschließt sich also nicht von mir her auf das Du und die Welt, sondern umgekehrt von der Weltwahrnehmung und dem Du her zur Entdeckung und Entfaltung des Ichs und der eigenen Persönlichkeit. Jede neue Orientierung beginnt mit dem Wahrnehmen der Umgebung, der Verbindung zu Menschen, und erst am Schluss entsteht die Verarbeitung und Veränderung in mir. So ist es auch in der Glaubensbeziehung. Gott macht sich bemerkbar in der Welt, der Geschichte, in Ereignissen und Dingen, dann spricht er mich persönlich an, und am Ende steht meine Antwort: Ich glaube.
Wenn heute diese Lebensbewegung umgekehrt verläuft, indem Menschen mit sich und ihren Meinungen beginnen, über das Du zum Leben und zur Welt kommen wollen, ist alles auf den Kopf gestellt. Steht meine Sicht und mein Ich am Anfang, ist die große Möglichkeit, wirklich zum Leben und zu mir zu finden, schon verspielt.
Wenn es also umgekehrt ist, dann müssen auch wir umkehren mit der Konjugation des Lebens. Er, Gott, steht am Anfang, sie, die Welt, ist vor uns da, es, das Leben, wartet auf uns. Du Herr, hast schon vor meiner Geburt in Liebe an mich gedacht, darum bin ich dein Kind und freue mich am Leben.

Einer kehrte um und pries Gott mit lauter Stimme und fiel auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm.
Lukas 17,15f

Aufwachen

Als David Livingstone in Afrika unterwegs war, kam es hin und wieder vor, dass ein Stamm von Eingeborenen ihn bat: "Gib uns unseren Schlaf wieder!" Sie baten um die ungestörte Ruhe vor nächtlichen Überfällen und Störungen. Das ist begreiflich und verständlich. Wenn aber diese Bitte in unseren Gemeinden so zum Ausdruck kommt, dass Menschen ihre Ruhe haben und nicht aufgeweckt werden wollen vom Evangelium, dann ist das eine tödliche Bitte. Die Predigten sollen uns beruhigen und versichern, dass alles in Ordnung ist. Die Gottesdienste sollen schön sein und uns in unserem Geschäft und Beruf, Gelderwerb und Lebensgenuss nicht stören. "Gib uns Schlaf" durch das Evangelium von der Liebe Gottes und der Herrlichkeit des ewigen Lebens. Doch das wirkliche Evangelium möchte auch aufwecken und das Signal geben zum Kampf gegen die Sünde und die Bequemlichkeit, gegen Genusssucht und Lustprinzip, gegen den Zeitgeist und gegen Modetorheit, gegen Unglaube und Aberglaube. Darum ist unsere Bitte: "Gib uns ein Erwachen und eine Erweckung!"

Wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten!
Epheser 5,14

Wir sind Empfänger

Kinder, die taub waren, blieben früher immer auch stumm, obwohl sie voll ausgebildete Sprachorgane hatten. Gehörlose waren immer sprachlose Menschen. Das erinnert uns daran, dass wir nur sagen können, was wir auch hören, nur wiedergeben können, was wir auch empfangen haben. Wir sind nur Empfänger und in allem, was wir von uns geben, angewiesen, es vorher bekommen zu haben. Lebensraum und Lebenszeit, Lebenskraft und Lebensgefährten, Lebenswege und Lebensziel haben wir nicht aus uns. Wir haben sie empfangen und müssen nun richtig mit ihnen umgehen.
Auch unsere äußere Bauart erinnert daran, dass wir mit zwei Ohren doppelt so viel hören, wie wir dann mit einem Mund sagen können. Menschliche Worte sind immer nur Antworten und setzen den Anspruch und Zuspruch voraus. Darum ist beim Erlernen der Mutter- oder Fremdsprache der passive Wortschatz, also, was wir hören und verstehen, immer größer als der aktive Wortschatz, also, was wir sagen und anderen zu verstehen geben können.
Auch das innerste geistliche Leben erinnert uns daran, dass wir Empfänger sind. Jedes Gebet zu Gott ist im Grunde ein Gebet von Gott. Denn Beten und Glauben sind letztlich nicht unsere menschlichen, sondern Gottes Möglichkeiten in uns Menschen. Was wir zu Gott sagen, haben wir zuvor von ihm empfangen. Das wird am deutlichsten am Vaterunser. Jesus hat uns das Gebet gegeben, damit wir es zu Gott beten.
Unser Denken ist Nachdenken, unser Leben Nachleben, unser Sprechen Nachsprechen, unser Beten Nachbeten. Wir sind immer erst Nachfahren, bevor wir dann auch Vorfahren für andere werden. Darum ist die wichtigste Frage, wem wir nachleben, nachdenken, nachfolgen, nachsprechen und nachbeten.

Und Jesus sah Levi am Zoll sitzen und sprach zu ihm: Folge mir nach! Und er stand auf und folgte ihm nach.
Markus 2,14