Blind und sehend?

Ein Ehepaar hatte eine sehr hässliche Tochter. Lange blieb sie bei den Eltern, da kein Mann sich fand, sie zu heiraten. Schließlich kam ein blinder Mann, der sie liebte und heiratete. Die beiden wurden glücklich. Da kam eines Tages ein Arzt in ihr Leben, der versprach, dem Mann das Augenlicht wiedergeben zu können. Nun mischte sich in die Hoffnung auf eine Heilung auch die Angst vor der Zerstörung des Glücks.
Sollte der Ehemann einer hässlichen Frau am Ende lieber blind bleiben? Muss man sehen können um jeden Preis? Kann es auch eine Gnade und Bewahrung sein, nicht alles sehen zu können? Sollte die wirkliche Liebe nicht auch die wirkliche Sicht tragen können? Viele Fragen, und jeder muss seine eigene Antwort finden.

Jesus sprach: Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen, auf dass, die da nicht sehen, sehend werden, und die da sehen, blind werden.
Johannes 9,39

Wo wohnt Gott?

Im Kindergarten unterhalten sich die Kinder mit der Erzieherin über Gott. "Gott wohnt im Himmel", meinen die einen. "Gott wohnt auf Erden unter den Menschen", sagen die anderen. Schließlich löst ein kleiner Junge, dessen Vater Arzt ist, die schwierige Frage auf eine ganz lockere Art: "Wohnen tut Gott im Himmel, aber seine Praxis hat er in der Kirche!" Wie schön wäre es, wenn Gott, der in einem Licht wohnt, wo niemand hinkommen kann, seine Praxis nicht nur in den Kirchen und Gemeinden, sondern auch bei uns zu Haus, in Beruf und Freizeit hätte. Gott wohnt im Himmel, aber seine Praxis hat er da, wo Menschen in seinem Namen leben, handeln, denken und entscheiden.

Der Herr ist erhaben, denn er wohnt in der Höhe!
Jesaja 33,5

Gott wurde Mensch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit!
Jesus sprach: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden kommen und Wohnung bei ihm machen.
Johannes 1,14; 14,23

Gott ist überall

Ein Ungläubiger fragte einmal einen Rabbi, warum Gott einen Dornbusch auswählte, um daraus mit Mose zu reden. Der Rabbi antwortete: "Hätte Gott einen Johannisbrotbaum oder einen Maulbeerbaum gewählt, so würdest du doch die gleiche Frage stellen. Doch ich will dir eine Antwort geben: Gott nahm den ärmlichen, stacheligen und kleinen Dornbusch, um uns zu zeigen, dass es keinen Ort auf Erden gibt, an dem Gott nicht gegenwärtig und mächtig ist. Noch nicht einmal einen Dornbusch!"
Gott ist überall, und überall kann er uns begegnen, im alltäglichsten Alltag, im dunkelsten Dunkel, in der wüstesten Wüste, im dornigsten Gestrüpp, im feurigsten Feuer.

Herr, unser Herrscher. wie herrlich ist dein Name in allen Landen!
Psalm 8,2

Die Fachleute haben immer recht!

Ein Mann starb. Der Priester war dabei, und der Arzt stellte den amtlichen Totenschein aus. Familie und Freunde des Mannes kamen zur Beerdigung, und die Nachbarn trugen ihn zu Grabe. Als sie den Sarg in das Grab hinablassen wollten, kam der Mann plötzlich wieder zu sich und schlug heftig gegen den Sargdeckel. Erschrocken öffneten sie den Sarg. Der Mann richtete sich auf. "Was tut ihr?" fragte er die staunende Menge. "Ich lebe, ich bin nicht tot!" Verwundert schwiegen die Leute. Schließlich holten sie den Totenschein hervor und sagten dem Mann: "Guter Freund, sowohl der Arzt als auch der Priester haben deinen Tod bescheinigt. Die Fachleute können sich doch nicht irren!"
So schraubten sie den Sargdeckel wieder zu, und der Mann wurde begraben, wie es sich gehörte und amtlich vorgeschrieben war.
Mit welchen amtlichen Scheinen haben wir welche Menschen lebendig begraben?

Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weltweisen? Hat nicht Gott die Weisheit dieser Welt zur Torheit gemacht?
1.Korinther 1,20

Gott nimmt uns nichts weg

Der römische Kaiser sagte einst spöttisch zu einem Rabbi: "Euer Gott ist doch ein Dieb, denn es heißt in Euren Schriften, dass Gott dem Adam eine seiner Rippen wegnahm!" Der Rabbi lachte und antwortete: "Diebe kamen gestern Nacht zu uns ins Haus. Sie haben uns einen silbernen Krug geraubt und uns statt dessen einen goldenen Krug gebracht!" – "Ach", sagte der Kaiser, "solche Diebe könnten doch jede Nacht kommen." – "Genau", sagte der Rabbi, "war es nicht Adams Gewinn, dass Gott ihm eine Rippe nahm und ihm eine Frau gab?"
Wenn Gott uns etwas wegnimmt, dann nur, um uns noch viel mehr zu schenken.

Wie köstlich ist deine Güte, Gott, dass Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben! Sie werden satt von den reichen Gütern deines Hauses.
Psalm 36,8f

Krank und gesund

Es gibt den Weg, die Bewegung, den Gang der sechs Tage. Sie sind Alltage und enthalten das Wirken. Und es gibt das Ziel, das Zuhause, die Ruhe, das Vollkommene, den siebten Tag. Er ist der heilige Tag und enthält den Segen Gottes.
Die sechs Tage und der siebte Tag finden ihre Entsprechung im Menschen. Die sechs Tage bedeuten die Wirklichkeit des Tuns und Handelns, des Sichtbaren und Gewöhnlichen, des Alltäglichen und Praktischen.
Der siebte Tag ist die Wirklichkeit des Verborgenen und Heiligen, des Stillen und Unsichtbaren, des Göttlichen und Vollkommenen.
Sind im Menschen diese beiden Wirklichkeiten versöhnt und bilden eine Einheit der Beziehung, so ist der Mensch gesund. Er ist unterwegs und zu Hause zugleich. Er ist alltäglich und heilig zugleich. Er ist Schaffender und Ruhender in einem.
Kranksein hingegen ist das Isolieren des einen vom anderen. Das Zerbrechen der Einheit von Weg und Ziel, unterwegs und zu Hause, menschlich und göttlich, alltäglich und heilig ist das Kranksein, nämlich ein Zerbrochensein im Innersten. Der Mensch braucht also die Heilung.
Er braucht die Versöhnung beider Wirklichkeiten. Der Kranke ist einsam und verlassen, weil er die andere Wirklichkeit des Ruhens, Geheiligt- und Gesegnetseins sucht und vermisst. Werden sie wieder verbunden, so entstehen Heil und Freude. Man wird geheilt, wenn man die andere Seite wiederfindet. Das wahre Heil ist das Zusammenbringen der beiden Wirklichkeiten. Das will uns Jesus schenken in seiner Liebe, indem er uns wieder anschließt an die Wirklichkeit Gottes, der Ruhe und des Zuhauses bei ihm.

"Dein ist das Licht des Tages, dein ist das Dunkel der Nacht. Leben und Tod sind in deiner Hand. Dein sind auch wir und beten dich an. Du, Herr, hast uns zu dir hin geschaffen, und unser Herz ist unruhig. bis es Ruhe findet in dir. Lass uns ruhen in deinem Frieden und
erwachen. dich zu rühmen." (Augustin)

Weg und Ziel

Die Schöpfung der Welt ist ein wunderbarer Weg. Am Anfang steht das Chaos, ein Tohuwabohu, ein von Finsternis beherrschter, bodenloser Abgrund. In dieses Chaos tritt Ordnung, in das "Wüst und Leer" die schöpferische Form und in die Finsternis das Licht aus Gott. In sechs Tagen geht Gott einen Weg der Schöpfung, und alles wird Gestalt nach seiner Liebe und seinem Plan.
Die Schöpfung der Welt hat aber auch ein wunderbares Ziel, die Vollendung und Heiligung, die Segnung und Ruhe am siebten Tag. Schöpfung ist also ein Weg zu einem Ziel. Die sechs Tage des Weges und der siebte als Ziel sind eine Schöpfung. Der Weg wird sinnvoll, weil er ein Ziel hat. Das Ziel wird sinnvoll, weil es einen Weg dahin gibt. Schöpfung ist der Weg und das Ziel, das Wirken und das Ruhen, die sechs Tage und der siebte.
So ist es auch in der Geschichte des Volkes Israel. Aus der finsteren Not der Unterdrückung in Ägypten erlebte Israel zwei wunderbare Durchbrüche. Der eine Durchbruch geschah als Durchzug durch das Meer beim Auszug. Es war der Durchbruch auf den Weg. Der andere war der Durchzug durch den Jordan beim Einzug. Es war der Durchbruch in das Ziel zur Ruhe im verheißenen Land. Gott führte sein Volk unter Wehen auf den Weg und unter Wundern an das Ziel.
So ist es auch im Leben Jesu. Sein Lebensweg aus Lieben und Leiden kam ans Ziel in der Auferstehung von den Toten. Von der Auferstehung her wird das Kreuz als Weg sinnvoll. Und vom Kreuz her wird das Ziel, die Ruhe und Erlösung, erreicht.
Und so ist es schließlich auch in unserem Leben. In einem ersten Durchbruch gelangen wir unter Schmerzen und Wehen der Geburt auf den Weg des Lebens. In einem zweiten Durchbruch gelangen wir unter Schmerzen und Wehen des Todes an das Ziel des Lebens, zur Auferstehung.
Bei Gott sind Weg und Ziel eine Schöpfung, eine Geschichte und ein Leben.

So lasset uns nun Fleiß tun, hineinzukommen zu dieser Ruhe!
Hebräer 4,11

Aus einem April

"Wieder duftet der Wald.
Es heben die schwebenden Lerchen
mit sich den Himmel empor,
der unseren Schultern schwer war;
zwar sah man noch durch die Äste den Tag,
wie er leer war, –
aber nach langen, regnenden Nachmittagen
kommen die goldübersonnten
neueren Stunden,
vor denen flüchtend an fernen Häuserfronten
all die wunden
Fenster furchtsam mit Flügeln schlagen.
Dann wird es still. Sogar der Regen geht leiser
über der Steine ruhig dunkelnden Glanz.
Alle Geräusche ducken sich ganz
in die gläsernen Knospen der Reiser."

(Rainer Maria Rilke)

Was unseren Schultern zu schwer war, die Tage, die leer blieben und von langem Regen verdüstert waren, müssen nun dem Frühling, der Macht der Sonne weichen. Noch viel mehr aber kommen die goldübersonnten neueren Stunden aus der Lebens- und Auferstehungsmacht Jesu Christi. Wenn uns die Sonne der Liebe Jesu aufgeht und mehr Kraft in unserem Alltag gewinnt, dann wird es still, die Angst wird leiser, die Sorgen ducken sich vor dem neu aufbrechenden Hoffnungsleben.

"Euch aber, die ihr meinen Namen fürchtet, soll aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit und Heil unter ihren Flügeln!"
(Maleachi 3,20)

Jesus ist unter uns

Der alte Abt eines berühmten Klosters war traurig darüber, dass kaum noch junge Mönche in das Kloster kamen und ihr Dienst mit ihnen alt und schwach geworden war. Da suchte er bei einem Rabbi einen Rat, und der gab ihm eine Weisung mit, die der Abt aber nur einmal seinen Klosterbrüdern sagen sollte: "Der Messias ist unter euch!"
Als der Abt diesen Satz einmal seinen Brüdern gesagt hatte, gingen sie ganz anders miteinander um, feierten ganz anders ihre Gottesdienste und Gebetszeiten. Sie lebten zusammen, als wenn sie das endlich bekommen hätten, worauf sie schon lange gewartet hatten.
Die Besucher des Klosters waren angerührt und begeistert von dem Zusammenleben der Mönche. Und bald kamen wieder viele junge Leute, um in das Kloster einzutreten.

Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.
Matthäus 18,20

Die religiöse Pflicht

Ein Rabbi ging mit seinen Schülern aus dem Lehrhaus und sagte ihnen, er wolle noch eine religiöse Pflicht erfüllen. Die Schüler fragten ihn: "Wo gehst du hin?" Er antwortete: "Ich gehe ins Badehaus, um zu baden."
Die Schüler fragten verwundert, ob das denn nun eine religiöse Pflicht sei. Der Rabbi antwortete: "Wenn schon die Statuen der Könige in den Parks täglich geputzt und gewaschen werden, wieviel mehr ist das für einen Lebenden, der nach dem Ebenbilde des lebendigen Gottes erschaffen ist, wichtig!" (Nach einer rabbinischen Legende)

Wer denn sonst sollte mein Leben lieben, wenn nicht Gott, der es gab, und ich, der es empfing. So haben Gott und Mensch einen Lebensbund und ein Geheimnis der Liebe.

"Der barmherzigste Mensch tut sich selber Gutes!"
(Sprüche 11,17)