Sagen und Entsagen

Reden und Raten, aber auch Schweigen und Ruhen sind wichtig. Haben und Handeln, aber auch Verzichten und Lassen sind nötig. Nur in der Spannung von Sagen und Entsagen kann sich das Leben ereignen.
Es gibt so viel zu tun und zu sagen. Berge von Schuld müssen abgetragen und tiefe Täler aus Angst müssen mit Zuversicht aufgefüllt werden. Wunden wollen verbunden und Kränkungen geheilt sein. Es gibt so viel zu reden im Großen und zu raten im Kleinen. Aber das Schweigen und Entsagen ist genauso wichtig. Einmal weil es für vieles keine Worte gibt. Die letzten Geheimnisse Gottes, die tiefsten Fragen der Menschen, die äußersten Grenzen des Lebens lassen oft nur das Entsagen zu. Müssen wir wirklich alles benennen und erklären, besprechen und beweisen? Ist nicht ehrliches Schweigen manchmal besser als leichtfertiges Reden?
Zum anderen ist Entsagen auch die Erfahrung, dass es für manche Wahrheiten und Erkenntnisse, Erfahrungen und Einsichten nicht immer die Ohren von Verstehenden gibt. Auch da bleibt nur das Ent-sagen. Und schließlich meint Entsagen auch, dass man vieles Schöne, Normale eben nicht tut, lebt oder erfährt, um sich auf das Wesentliche und Wichtigste zu konzentrieren.
Gott kann beides segnen, das Sagen und Entsagen, das Tun und Lassen.

Ich will schweigen und meinen Mund nicht auftun, denn du hast es getan!
Psalm 39,10

Innen und Außen

Im Wohnzimmer tickt unsere alte Wanduhr gemütlich vor sich hin. Sie ist ruhig und in Bewegung zugleich. Ihr Pendel bewegt sich gleichmäßig und stetig. Die Zeiger rücken in Ruhe immer weiter. Die Uhr wirkt wie eine tiefe Ruhe und eine ständige Bewegung zugleich.
Aber zu ihrer äußeren Bewegung gehört eine innere Spannung. Wenn die Uhr nicht aufgezogen und die Feder nicht gespannt ist, kann das Pendel nicht lange in Bewegung bleiben. Wenn man dann das Pendel von außen anstößt, schlägt es einige Male aus, und man meint, die Uhr geht. Aber nach wenigen Bewegungen steht das Pendel wieder still.
So ist es auch im menschlichen Leben. Die äußeren Impulse und Appelle, Ermahnungen und Aufforderungen zu einer Bewegung und Veränderung bringen nur kurzlebige Auswirkungen. Was haben Menschen alles gewollt und sich vorgenommen, was haben sie einander alles angemahnt und sich aufgelegt, zugemutet und abverlangt. Was haben sie alles angefangen und in Gang gebracht, und wie schnell war es dann wieder vorbei.
Wenn der Mensch nicht im Innern von Gott selbst angerührt und erfüllt, in Spannung gebracht und motiviert wird, nützen alle äußeren Impulse nur wenig. Wenn aber Gott selbst durch seinen Geist der Liebe in uns seine bewegende und motivierende Kraft einsetzt, dann sind auch die Anstöße und Ermutigungen von außen wichtig. So brauchen wir innen die Spannkraft des Geistes Gottes und von außen die Anstöße und Impulse der anderen.

Ich bitte darum, dass Christus wohne durch den Glauben in euren Herzen und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet werdet!
Epheser 3,17

Einsamkeit als Chance

Gott und Mensch sind voneinander und zueinander hin gemacht. Mann und Frau sind voneinander genommen und aufeinander bezogen. Mutter und Kind sind auseinander und füreinander geworden. Diese Trennungen und zugleich Beziehungen machen die Einsamkeit und die Sehnsucht nach Einswerden. In der Einsamkeit liegt die Chance zum wieder Eins- und Ganzwerden verborgen.
Die Geburt ist die erste Erfahrung der Einsamkeit. Aber nur durch diese Erfahrung kann ein Mensch zum Leben, zu sich selber und zu seiner Bestimmung kommen. Als ein Same wird er ausgestreut, und zur Einmaligkeit jedes Geborenen gehört auch seine Einsamkeit. Jeder kann sie schöpferisch nutzen als Antrieb zur Liebe, Begegnung und Beziehung.
Einsamkeit bedeutet darum ursprünglich etwas ganz Kostbares: zum Einen neigen – Einen lieben – Einem gehören.
So kann die Einsamkeit die Chance sein, zur Eindeutigkeit des Glaubens zu führen. Nur einen Herrn zu haben, nur einer Stimme zu folgen, nur eine Liebe zu pflegen, nur ein Ziel zu haben, sind die Chancen der Einsamkeit.

Wer mich liebt, der hält meine Worte, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen!
Johannes 14,23

Leben ist Einsamsein

Ein einzigartiges Leben ist immer auch ein einsames Leben. Zu der Einmaligkeit des Menschen gehört auch seine Einsamkeit. Weil wir einzig sind, sind wir auch einzeln.
Ein Same wird ausgebracht, und durch die Schmerzen der "Einsamkeit" wird vielfältige Frucht eingebracht. Das ist die Fülle und die Freude des Lebens. Die fruchtbare Einsamkeit ist also die, ein ganzer Mensch zu sein, der ausgesät wird und Frucht des Lebens bringt.
Die furchtbare Einsamkeit ist die, als Same erhalten zu bleiben und am Ende ganz allein zu sein.
Einsamkeit hat immer zwei Gesichter, ein freundliches und ein schreckliches. Das freundliche Gesicht der Einsamkeit blickt uns liebevoll an und ermutigt uns, in der Einsamkeit zu uns selber, zum Wesentlichen, zum Schöpferischen zu finden. Das düstere Gesicht der Einsamkeit erschreckt uns mit der Aussicht, ohne einen Lebenszusammenhang allein und verlassen zu bleiben.

Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, so bleibt es allein {furchtbare Einsamkeit!}. Wenn es aber erstirbt, so bringt es viel Frucht {fruchtbare Einsamkeit!}.
Johannes 12,24

Ein Stab, ein Mantel und eine Muschel

Alle Menschen sind Wanderer, und jedes Leben ist eine Reise. "Fare well", sagen sich Menschen und meinen damit beides: Lebewohl und reise gut. So ist unser ganzes Leben eine Wallfahrt, ein feierliches Gehen (Wallen) zu einem erhabenen Ziel. Wir sind hier auf Erden nur Gäste und Pilger. Der Patron aller Pilger auf Erden ist Jakobus. Er soll einer Legende nach bis Spanien gereist sein und dort als Pilger umhergezogen sein. Über seinem Grab baute man später das berühmte Wallfahrtskloster Santiago de Compostela. Jakobus soll nur drei Dinge bei sich gehabt haben. Einen festen Stab, einen weiten Mantel und eine Muschel, eine Jakobsmuschel. Der Stab ist auf dem Weg eine gute Stütze. Er bedeutet den Trost im eigentlichen Sinn, den "Trust", den Vertrag, den Gott mit uns Menschen gemacht hat. Gott verträgt und trägt uns, er hält uns die Treue. An diesem Stab kann man sich unterwegs festhalten.
Der Mantel ist auf dem Weg ein wichtiger Schutz. Er bedeutet die Liebe, die einhüllt und birgt, schützt und wärmt.
Die Muschel war das Kennzeichen der Pilger. Am Mantel mit einer Schnur befestigt, war sie das Erkennungszeichen, das für Klöster und Herbergen die Gewährung von Unterkunft und Verpflegung bedeutete. Die Jakobsmuschel gleicht einer offenen Hand, einmal einer bittenden Hand, dann auch einer gebenden Hand. So gebrauchten die Pilger ihre Muschel unterwegs zum Wasserschöpfen und Trinken. Die Muschel, die sich zum Wasser herunterneigt, ist die bittende Hand. Und die Muschel, die das Wasser in den durstigen Leib gießt, ist die gebende Hand. So sind wir Menschen unterwegs. Wir halten uns an den Stab der Treue Gottes. Wir bergen uns in die Liebe Gottes wie in einen warmen, weiten Mantel. Und wir tragen die Jakobsmuschel als Zeichen, dass wir die Herberge erbitten, aber einander auch gewähren.

Der Herr behüte dich vor allem Übel, er behüte deine Seele. Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit!
Psalm 121,7f

Loslassen und Gewinnen

Eine Krähe erbeutete einst ein großes Stück Fleisch und erhob sich damit in den Himmel. Zwanzig andere Krähen flogen ihr nach, um sie zu verfolgen. Gierig und erbittert griffen sie die Krähe an, um ihr den leckeren Bissen zu entreißen. Schließlich ließ die Krähe das Fleischstück fallen. Darauf ließen die anderen Krähen von ihrer Verfolgung ab und flogen schreiend dem Fleischstück nach.
Da krächzte die Krähe zu sich selbst: "Nun ist es friedlich und ruhig hier oben. Der ganze wunderbare Himmel gehört mir!"
"Lass fallen, was dich so beschwert, sei einer, der auf Jesus hört, mit ihm gewinnst du das Leben!" (Heinz Fuhrmann)

Jesus sprach zu ihnen: Sehet zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat!
Lukas 12,15

Am Ende

Gott ist vor uns und hinter uns. Er ist unter uns und über uns. Gott ist neben uns und in uns. Und Gott ist für uns. Von allen Seiten umgibt er uns. Alle Tage begleitet er uns. Immer hält er seine Hände über uns. Darin sind wir wirklich gut untergebracht. Hier ist der beste Ruheort zum Wohnen und Bleiben, zum Leben und Überleben. Hier ist der Raum, in dem die Sehnsucht, die uns in Bewegung bringt, auch gestillt wird. Hier ist das Gelass Gottes, in dem wir die Gelassenheit finden können. Hier ist das Gemach, wo wir zur Ruhe kommen. Es gibt nur einen Ort auf dieser Welt, an dem die Erfüllung des Lebens nicht geringer ist als die Sehnsucht. Und das ist die Fürsorge und Güte Gottes für unser Unterwegs-Leben. Alles ist in Bewegung. Und alles ruht bei ihm aus. Denn wir sind gut untergebracht in seiner Treue und Barmherzigkeit.
"Ich bin am Ende!" sagen Menschen aus eigener Kraft.
"Am Ende bin ich noch immer bei dir!" sagen Menschen aus der Kraft des Glaubens und Vertrauens.

Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war. und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten … Am Ende bin ich immer bei dir!
Psalm 139,16.18b

Völlig eingehüllt

Gott ist unter uns in seiner tragenden Liebe. Seine glühende Liebe sucht immer die tiefste Stelle unseres Lebens. Wo wir ganz tief besorgt und geängstigt sind, da ist Gott noch unter uns. Wo wir tief in Trauer und Leid hineingeraten, da reicht seine Barmherzigkeit noch tiefer. Wo Menschen ganz tief in Verzweiflung und Resignation hineinfallen, da fängt uns Gottes Treue auf. Selbst die tiefste Verstrickung in Sünde und Schuld nimmt Gott noch auf sich, indem das Lamm Gottes unsere Sünde hinwegträgt.
Gott ist über uns in seiner bergenden Macht. Was auch immer für Mächte nach unserem Leben greifen, die Macht des Bösen, der Lüge, des Schicksals und des Todes, Gott hält seine mächtige Hand über uns. Er deckt uns zu und bewahrt uns vor einem letzten Zerbrochen- und Angetastetwerden.
Gott ist neben uns als Ratgeber und Begleiter. Als Freund teilt er unsere Freude. Als Tröster leidet er mit uns. Aus dem traurigen Begleiter der Angst wird nun der göttliche Begleiter der Hoffnung. Gott ist viel mehr um uns besorgt, als wir es selbst je sein können. Wie seinen Augapfel birgt und umhüllt Gott die Seinen.
Gott wohnt mit seinem Geist in uns. Unser zerbrechliches Leben, unser sterblicher Leib soll eine Wohnung seines Heiligen Geistes sein. Seine ganze Herrlichkeit soll in uns zur Auswirkung und zum Ausdruck kommen. Gott nimmt Wohnung bei uns, damit wir einmal ganz bei ihm wohnen und zu Hause sein können.
Und Gott ist schließlich für uns. Sein Treueversprechen ist unverbrüchlich. Es gilt unter allen Umständen und ohne jede Einschränkung. Die letzte Garantie für unser Leben liegt nicht in unserem Glauben, unserer Erfahrung, sondern in seiner absoluten Treue. Gott ist für uns. Wer mag dann noch gegen uns sein? Gott spricht für uns. Wer will dann noch gegen uns sprechen? Und selbst wenn uns unser Herz verdammt, ist Gott noch größer und in seiner Liebe für uns da.

Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!
Matthäus 28,20

Von guten Mächten wunderbar geborgen

Wer sein Leben zu Jesus hingebracht, ihm ganz übergeben hat, der ist in seiner Fürsorge gut untergebracht. Das Leben ruht in seiner Hand aus. Menschen wissen nun, woher sie kommen, aus der Güte und Weisheit Gottes, und wohin sie gehen, Gott und seinem Reich entgegen. Nun können sie das Leben wirklich erfahren, erleben, erglauben, erbeten, erhoffen und erlangen. Alles ist in Bewegung, aber in einem Lebenszusammenhang, auf einem gebahnten Weg, durch eine aufgestoßene Tür, zu einem vorbereiteten Ziel. Von allen Seiten umgibt uns Gottes Gegenwart.
Gott geht uns voran. Er schließt uns Zukunftsträume auf, ebnet die Wege, öffnet die Türen und bereitet alles vor. Wo immer wir im Glauben hingelangen, Gott ist schon vor uns da und hat alles für uns vorbereitet. So wird das Leben zu einem Nachfolgen, Nachdenken, Nachleben, Nachsinnen und Nachahmen. Wir sind befreit von der Riesenlast, alles selber eröffnen und erkämpfen zu müssen. Wir leben hinter einem Herrn her, dem alle Welt und alle Zeit gehören.
Gott ist hinter uns. Wo unter unseren Händen Leben zerbricht oder misslingt, heilt und versöhnt, verbindet und erstattet Gott es in seiner Güte. Die Spur, die wir zurücklassen, muss nun nicht mehr nur aus Sünde und Schuld, aus Blut und Tränen bestehen. In seiner versöhnenden Kraft verwandelt Gott unsere Lebensspur in eine Heils- und Segensspur.

Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege!
Psalm 139,3

Zuflucht nehmen

Wohin auch immer wir gehen, reisen, fliehen, Gott ist schon vor uns da. Alle Träume und Türme bis an den Himmel enden bei Gott. So hoch hinaus Menschen auch gelangen mögen, Gott ist noch über ihnen und vor ihnen. Auch der Tod ist kein Ausweg, und im Sterben ist kein Friede. Der Tod führt uns nur noch direkter in die Hände Gottes und vor sein Angesicht. Nehmen wir Flügel der Morgenröte und reisen an die letzten Enden der Erde über die weitesten Meere, auch dort wird Gottes Hand auf uns warten, und seine Augen werden uns sehen. Hüllen wir uns in das dunkelste Dunkel, und verbergen wir uns in der finstersten Nacht, für Gott stehen wir immer im Licht, und alle Wege sind vor ihm offen und klar.
Es gibt in der ganzen weiten Welt keinen Raum ohne Gott, keine Zeit ohne Gott, keine Wirklichkeit, die Gott nicht umfangen und umfassen könnte. Eine sinnlose Flucht vor Gott und eine heillose Flucht vor der Wahrheit muss eine gezielte Zuflucht zu Gott werden.
"Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht?" Wir gehen mit unserem Leben zu Gott und fliehen unter sein Angesicht. Gott möchte unseren aufgeregten und verwirrten Geist mit seinem Geist der Liebe beruhigen. Gott möchte, dass wir unter seinen Augen geborgen und sicher sind. Wohin soll denn das Leben gehen? Zu ihm. Zu Gott. In seine Nähe, unter seine Hand und Augen.
Ich habe mein Leben nicht nur hingebracht, sondern ihm hingebracht. Ich habe meine Jahre nicht nur zugebracht, sondern zu ihm gebracht. Alles habe ich ihm übergeben. Nun bin ich restlos untergebracht bei ihm. So aufgescheucht und zerbrechlich mein Leben auch ist, in der Liebe Gottes bin ich völlig untergebracht.

Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir!
Psalm 139,5