Im Gewissen gebunden

"Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Amen", waren Martin Luthers mutige Worte gegen die Übermacht von Kaiser und Papst. Luther war im Gewissen an Gott gebunden und blieb tapfer bei seiner Überzeugung. Er stellte Gottes Wort höher als die Meinung der Menschen und Mächtigen. Treu an Gott gebunden, wurde Luther so der Wegbereiter für eine neue Zeit, eine neue Sicht, für eine neue Entdeckung des Evangeliums. Im Gewissen an Gott gebunden, war er frei von den Diktaten der Herrschenden und machte damit den Weg frei für neue Einsichten.
Andere haben später den Satz Luthers ähnlich wiederholt. Aber unter der Hand wurde aus der Treue zu Gott die Trägheit in sich selber. Und dann hieß es: "Hier stehe ich, ich mag nicht anders!" Die Standpunkte sind klar, die Wahrheiten bekannt, die Wege vertraut, das Gelernte bewährt. Was soll das Neue und andere, Fremde und Ungewohnte? Man verwechselte Treue mit Trägheit, Beharrlichkeit mit Erstarrung und Verbindlichkeit mit Bequemlichkeit. Im Unterschied zu Luther hat diese Haltung das Neue verhindert und Veränderungen blockiert.
Noch ganz anders formuliert mancher im Trotz den Satz Luthers: "Hier stehe ich, ich kann auch noch ganz anders!" Im Gefühl einer vermeintlichen Überlegenheit drohen sich Menschen, um sich zu behaupten und Respekt zu verschaffen. Es sieht wie imponierende Stärke aus und ist doch nur ängstlicher Trotz und Zeichen der Schwäche. Was bestimmt uns? Die Treue zu Gott, die den Weg frei macht? Die Trägheit in uns, die Neues verhindert? Oder der Trotz anderen gegenüber, der zum fruchtlosen Streit führt?

Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen!
Apostelgeschichte 5,29

Im Glauben frei

"Liebe Katharina, nach einem langen Tag sitze ich bei einem Maß Bier und denke mir, der liebe Gott wird es schon machen!", schrieb einst Dr. Martin Luther an seine Frau.
Ein langer Tag, harte Arbeit, viel Mühe, schwierige Aufgaben, aber dann ist Feierabend. Ruhe kehrt ein, Freude kommt auf. Entspannen und Genießen wollen ebenso gelernt sein wie Schaffen und Wirken. Den Feierabend und seine Ruhe, den Feiertag und seine Freiheit können nur die genießen, die ihre Arbeit wirklich getan und Gott kindlich vertraut haben. Gott ist immer der Wirkende, Schaffende, Handelnde und Vollendende, ob wir rackern oder ruhen.
Zwischen Faulheit – "Der liebe Gott wird es schon machen!" – und Überheblichkeit – "Wir werden es schon packen!" – gibt es den Weg der Freiheit des Glaubens.
Wir sind zur Arbeit nicht verdammt, sondern befreit. Wir dürfen das tun, was in unseren Kräften steht, gern, gleich und ganz! Und wir können vertrauen, dass Gott tut, was in seiner Macht steht. Wenn wir ausruhen und genießen, entspannen und neue Kräfte schöpfen, sind wir Gott genauso nah wie im Tun und Schaffen. Das bewahrt uns vor hektischer Aufgeregtheit ebenso wie vor träger Bequemlichkeit.
Der Glaube an Jesus macht frei. Er macht nicht lässig, aber gelassen, nicht übermütig, aber mutig, nicht träge, aber tragfähig, nicht ängstlich, aber engagiert.

Wenn der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen. Wenn der Herr nicht die Stadt behütet, so wacht der Wächter umsonst. Es ist umsonst, dass ihr früh aufsteht und hernach lange sitzt und esset euer Brot mit Sorgen; denn seinen Freunden gibt er es im Schlaf!
Psalm 127,1f; vgl. auch Markus 4,26ff

Überrascht

Einst lebte ein Zimmermann, den eines Abends auf dem Heimweg ein Freund anhielt und fragte: "mein Bruder, warum bist du so traurig?" – "Wärst du in meiner Lage, du empfändest wie ich", sagte der Zimmermann. "Erkläre dich", sprach der Freund. "Bis morgen früh", sagte der Zimmermann, "muss ich 11.111 Pfund Sägemehl aus Hartholz für den König bereit haben, oder ich werde enthauptet." Der Freund lächelte und legte ihm den Arm um die Schulter. "Mein Freund", sagte er, "sei leichten Herzens. Lass uns essen und trinken und den morgigen Tag vergessen. Der Allmächtige Gott wird, während wir ihm Anbetung zollen, unseretwegen des Kommenden eingedenk sein."
Sie gingen also zu Haus des Zimmermanns, wo sie Frau und Kind in Tränen fanden. Den Tränen ward Einhalt getan durch Essen, Trinken, Reden, Singen, Tanzen und alle sonstige Art und Weise von Gottvertrauen und Güte. Inmitten des Gelächters, fing des Zimmermanns Frau zu weinen an und sagte: "So sollst du denn, mein lieber Mann, in der Morgenfrühe enthauptet werden, und wir alle vergnügen uns indessen und freuen uns an der Güte des Lebens. So steht es also." – "Denke an Gott", sprach der Zimmermann, und der Gottesdienst ging weiter. Die ganze Nacht hindurch feierten sie.
Als Licht das Dunkel durchdrang, und der Tag anbrach, wurde ein jeglicher schweigsam und von Angst und Kummer befallen. Die Diener des Königs kamen und klopften sacht an des Zimmermanns Haustür. Und der Zimmermann sprach: "Jetzt werde ich sterben", und öffnete.
"Zimmermann", sagten sie, "der König ist tot. Mache ihm einen Sarg!" (William Saroyan)

"Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen. Darum sorget nicht für den anderen Morgen, denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe!"
(Matthäus 6f)

Eingetragen

Die Redensart "Jemand abschreiben" oder "In den Sand schreiben" geht zurück auf die altertümliche Sitte, vor Gericht Schuldige zum Zeichen ihrer Verurteilung in den Staub der Erde zu schreiben. So ist auch das alte Prophetenwort aus Jeremia 17,13 zu verstehen: "Die Abtrünnigen müssen auf die Erde geschrieben werden!"
Der Schuld nach, in der wir Menschen den Bund mit Gott gebrochen haben, sind wir alle in den Sand geschrieben, für die Erde gut. So ist wohl auch die Geste Jesu zu verstehen, wenn er (Johannes 8,6-8) mit seinem Finger auf die Erde schreibt, als die Ehebrecherin auf der einen und ihre unbarmherzigen Verkläger auf der anderen Seite vor ihm stehen. "Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!", war die Antwort Jesu, und er schrieb wieder auf die Erde. Vielleicht hat er in den Sand geschrieben, dass alle Menschen den Liebesbund mit Gott gebrochen haben und schuldig sind.
Der Schuld nach sind wir alle abgeschrieben. Aber der Liebe nach sind wir in die Hände Jesu eingeschrieben. Die Hände Jesu sind buchstäblich und tatsächlich gezeichnet. Die durchbohrten Hände Jesu sind das Zeichen seiner großen Liebe, in der er unsere Schuld getragen und gesühnt hat. Den verzweifelten Jüngern, die Jesus so schmählich verlassen und schändlich verraten hatten, zeigte Jesus seine durchbohrten Hände und seine verwundete Seite. "Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen!" (Johannes 20,20)
Die Wundmale in den Händen Jesu gelten auch uns. Wir sind mit unserem Namen in die Hände Jesu gezeichnet. Wer das im Glauben fasst, ist nicht mehr in den Sand geschrieben, sondern in das Buch des Lebens eingeschrieben.

Er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt!
Jesaja 53,5

Festgehalten

Bei Gott sind wir nicht abgeschrieben, sondern eingeschrieben. Als das Volk Israel in der Verbannung verzweifelt dachte, Gott habe es vergessen und abgeschrieben, ließ Gott durch den Propheten Jesaja seinem Volk sagen: "Ich habe dich nicht vergessen, siehe, in meine Hände habe ich dich gezeichnet!" (Jesaja 49,15f)
Dieses Wort geht auf einen Brauch der Antike zurück. Verliebte schrieben sich, wenn sie getrennt waren, den Namen des Partners in die Hände. Die Namen in der Hand drückten die Sehnsucht aus, stellten die Liebe dar und hielten den anderen buchstäblich fest. Der Name war eingeschrieben und damit festgehalten. Beide hielten am anderen fest.
So möchte Gott uns einladen, den Liebesbund mit ihm festzumachen. Wir sind nicht abgeschrieben, sondern in seine Hände eingeschrieben. Bei Gott sind wir mit unserem Namen festgehalten. Wie sehr unser irdisches Leben bisweilen einem notvollen Exil jenseits des Glücks gleicht, Gott hat uns nicht vergessen, sondern uns mit unserem Namen bei sich festgehalten. In seinen Händen steht unser Name. Gott hat Sehnsucht nach uns und hält uns in Liebe fest.
Und was steht in unseren Händen? Was haben wir als Erstes, Bestes, Liebstes und Wichtigstes festgehalten mit unseren Händen? Halten wir, was nicht hält, zählen wir, was nicht zählt, und lieben wir, was nicht bleibt? Oder schreiben wir seinen Namen in unsere Hand als Antwort auf seine Liebe zu uns?

Dieser wird sagen: Ich bin des Herrn, und wieder ein anderer wird in seine Hand schreiben: Dem Herrn eigen.
Jesaja 44,5

Eine Erscheinung

Es ist Sonntag zur besten Zeit. Die Gemeinde feiert Gottesdienst. Die Kirche ist mäßig besetzt. Der Pfarrer hält seine Predigt. Plötzlich bricht er ab, starrt oben in die Ecke des Kirchraumes. Alle sind hellwach. Was ist nun? Nach einer ganzen Weile fährt der Pfarrer fort. Hinterher bestürmen ihn die Mitarbeiter: "Herr Pfarrer, was war denn, dass Sie mitten in der Predigt unterbrachen?" – "Ach, nichts weiter, ich hatte eine Erscheinung." – "Was für eine Erscheinung?" – "Das möchte ich nicht sagen", wehrt der Pfarrer ab. Aber die Verantwortlichen wollen es nun wissen. Der Pfarrer vertröstet sie auf den nächsten Sonntag. In der Woche läuft es durch die Gemeinde: "Der Pfarrer hatte eine Erscheinung!"
Am folgenden Sonntag ist die Kirche übervoll. Alle sind gespannt. Schließlich rückt der Pfarrer mit der Sprache heraus: "Ich hatte eine Alterserscheinung, ich wusste nicht mehr weiter!"
Die Erscheinungen, dass wir stecken bleiben und nicht weiter wissen, kennen wir alle. Das ist menschlich und liebenswert. Aber es gibt auch Erscheinungen göttlicher Art, die uns weiterbringen, Neues zeigen und Wichtiges mitteilen. Die beste Erscheinung ist, dass Gott unter uns erschienen ist und sich uns bekannt gemacht hat. Da bleiben wir nicht stecken, sondern kommen in Bewegung.

Gott hat uns seine Liebe gezeigt durch die Erscheinung unseres Heilandes Jesus Christus, welcher dem Tod die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat.
2.Timotheus 1,10

Flucht oder Zuflucht

An einem Lieferwagen eines Handwerkers steht hinten auf einem Aufkleber deutlich für alle Eiligen und Ungeduldigen zu lesen: "Immer mit der Ruhe. Wir sind auf der Arbeit, nicht auf der Flucht!"
Warum sind wir eigentlich so hektisch und aufgeregt, so hastig und aufgescheucht? Sind wir am Ende auf der Flucht? Wer jagt uns und hält uns auf Trab? Die Angst, etwas zu versäumen? Die Gier, alles zu bekommen? Die Sucht nach Haben und Gelten? Die Züge der Zeit rasen dahin, und wir dürfen sie nicht verpassen.
"Unstet und flüchtig wirst du sein auf Erden!" hatte Gott dem Menschen gesagt. Und wir erleben es auch so. Unser Leben ist eine vielfältige Flucht, eine Flucht vor der Arbeit und in die Arbeit, eine Flucht vor der Bindung und in die Bindung, eine Flucht vor uns selbst und zu uns selbst. Ohne Flucht werden wir niemals sein. Es bleibt uns nur die Flucht in die richtige Richtung: umkehren und zurückflüchten zum lebendigen Gott, der auf uns wartet. Aus der Flucht vor der Wahrheit könnte die Zuflucht in die Wahrheit werden. Es gibt nur eine Flucht ins Leben, die Zuflucht zu dem Lebendigen.

Herr, du bist unsere Zuflucht für und für!
Psalm 90,1

Ein neuer Anfang

Jeder Anfang übt einen Zauber aus. Ein neues Jahr beginnen, ein neues Buch aufschlagen, eine neue Aufgabe anpacken, ein neues Land betreten, alles Neue weckt große Hoffnungen. Wie viele Sehnsüchte und Träume, Wünsche und Erwartungen leben auf am Beginn eines neuen Jahres und einer neuen Zeit! "Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt, und der uns hilft zu leben!" (Hermann Hesse)
Aber in die Neugier und Faszination mischen sich auch Angst und Schrecken. Neben das Geheimnisvolle tritt das Unheimliche. "Aller Anfang ist schwer!" Was wird das neue Jahr bringen? Werden wir alle Aufgaben bewältigen, und wird das Leben halten, was wir uns von ihm versprochen haben?
Der Zauber des Anfangs lässt uns träumen von einer großen Liebe, einer schönen Reise, einer wunderbaren Erfüllung und einem bleibenden Erfolg. Die Angst vor dem Neuen lässt uns in der harten Lebenswirklichkeit aufwachen. Die Übermacht der Verhältnisse und die Ohnmacht des einzelnen lassen uns bang und verzagt werden.
Zwischen Zauber und Angst, Faszination und Furcht hindurch brauchen wir eine ganz neue Sicht: Der Anfang ist schon vor uns da. Gott ist vor uns da, seine Lebensmacht, seine alles überwindende Liebe, seine Vorsorge für unser Leben sind schon da. Gott hat schon lange vor uns angefangen. Wir treten nur ein in seinen Anfang. Nicht wir machen einen neuen Anfang und sind zwischen Zauber und Angst hin- und hergerissen. Nein, wir treten in Gottes Anfang ein, halten uns an seine Geschichte. So wird das neue Jahr das beste, was es überhaupt werden kann, ein Jahr des Herrn mit uns.
Wir stellen uns in Gottes Anfang hinein und sind bei ihm aufgehoben und gehen mit ihm auf eine Vollendung des Lebens zu.

Ich bin der festen Zuversicht, dass der, welcher das gute Werk in euch angefangen hat, dieses auch vollenden wird bis zum Tag Christi.
Philipper 1,6

Neujahrsgedanken

Was würden Sie tun, wenn Sie das neue Jahr regieren könnten?
Ich würde vor Aufregung wahrscheinlich die ersten Nächte schlaflos verbringen und darauf tagelang ängstlich und kleinlich ganz dumme Pläne schmieden.
Dann – hoffentlich – aber laut lachen und endlich den lieben Gott abends bitten, doch wieder nach seiner Weise, das neue Jahr göttlich selber zu machen. (Joachim Ringelnatz)

"Herr, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist,
und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen.
Deine Gerechtigkeit steht wie die Berge Gottes
und dein Recht wie die große Tiefe.
Herr, du hilfst Menschen und Tieren.
Wie köstlich ist deine Güte, Gott,
dass Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben!
Sie werden satt von den reichen Gütern deines Hauses,
und du tränkst sie mit Wonne wie mit einem Strom.
Denn bei dir ist die Quelle des Lebens,
und in deinem Licht sehen wir das Licht!"
(Psalm 36ff)

Neujahrsrezept

Man nehme zwölf gut ausgereifte Monate und achte darauf, dass sie vollkommen sauber sind und frei von bitterer Erinnerung, von Groll und Rachsucht, von Neid und Eifersucht. Man entferne jede Spur von Kleinlichkeit und Niedrigkeit und alle unbewältigte Vergangenheit. Die zwölf Monate müssen also frisch und sauber sein, wie sie aus der Werkstatt Gottes hervorgehen. Man zerlege jeden Monat in dreißig oder einunddreißig Tage. Man richte jeweils nur einen einzigen Tag an. Und damit diese einzelnen Tage die besten unseres Lebens werden, beachte man sorgfältig die folgenden Anweisungen: Für jeden Tag nehme man einige Teile Gebet und Arbeit, Entschlossenheit und Gelassenheit, Überlegung und Vertrauen, Mut und Bescheidenheit. Nun füge man dem Ganzen einen Löffel fröhliche Schwungkraft, eine Messerspitze Nachsicht und eine gute Dosis aufrichtige Herzlichkeit zu. Sodann übergieße man das Ganze mit Liebe und rühre es kräftig um. Man garniere zuletzt alles mit einem bunten Sträußchen kleiner Aufmerksamkeiten und trage es mit Heiterkeit auf den Tisch. Guten Appetit!

Dies ist der Tag, den der Herr macht; lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein. 0 Herr. Hilf, o Herr, lass wohl gelingen!
Psalm 118,24f