Das Leben ist gerichtet

Das bedeutet dreierlei:
1. Das Leben hat nur eine Richtung. Es ist schöpfungsmäßig begrenzt und geht auf ein Ziel hin. Unser Leben ist auf eine Vollendung hin gerichtet. Wir kommen nie zurück. Jeden Tag haben wir nur einmal. Der Strom der Zeit fließt unaufhörlich weiter. Und niemand schwimmt gegen diesen Strom. Das macht die Einmaligkeit, aber auch die Ernsthaftigkeit unseres Lebens aus. Unser Leben ist gerichtet!
2. Das Leben steht nicht nur unter dem Segen Gottes, sondern auch unter dem Fluch der Sünde. Es ist gerichtet und gebrochen, versehrt und beschädigt. In allen Bereichen des Lebens spüren wir neben dem Gabecharakter des Lebens auch die Wirklichkeit des Gerichtes. Wir leben jenseits von Eden und haben die Eindeutigkeit und Geborgenheit verloren. Verstand und fünf Sinne, Leib und Gesundheit, Beziehung und Arbeit, Miteinander und Kultur, Wissenschaft und Forschung, alles ist eine riesige Möglichkeit und eine ebenso große Gefährdung. Unser Leben steht wirklich unter dem Gericht, und wir können es allenthalben mit Händen greifen.
3. Das Leben wird von Gott wieder aufgerichtet, hergerichtet. Jesus trug den Fluch der Sünde, hielt das Gericht für uns aus und nahm die Strafe auf sich. So ist ein Leben, das sich an Jesus bindet, gerichtet im Sinne des Aufrichtens, Herrichtens und Geraderichtens. Gott wird es richten, was in unserem Leben schief gelaufen, verkehrt gemacht und danebengegangen ist. Unser Leben ist in seiner Liebe wieder gerichtet. Menschen ohne Jesus gehen auf ein schreckliches Gericht zu. Menschen, die durch Jesu Liebe und Opfer neu geboren sind, erwarten ein Richtfest, an dem Gott alles wunderbar richten wird.

Und wie es den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht: so ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler hinwegzunehmen; zum zweiten Mal wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil.
Hebräer 9,27f

Versandete Tage

Herr, mein Gott, es gibt Tage,
an denen alles versandet ist:
die Freude, die Hoffnung,
der Glaube, der Mut.

Es gibt Tage, an denen
ich meine Lasten
nicht mehr zu tragen vermag:
meine Krankheit, meine Einsamkeit,
meine ungelösten Fragen, mein Versagen.

Herr, mein Gott,
lass mich an solchen Tagen erfahren,
dass ich nicht allein bin,
dass ich nicht durchhalten muss
aus eigener Kraft,
dass du mitten in der Wüste
einen Brunnen schenkst
und meinen übergroßen Durst stillst.

Lass mich erfahren,
dass du alles hast und bist,
dass ich in dir wieder finde,
was ich verloren habe.
Lass mich glauben,
dass du meine Wüste
in fruchtbares Land
verwandeln kannst.
(Nach Sabine Naegeli)

Die Wüste und Einöde wird frohlocken, und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie die Lilien. Sie wird blühen und jubeln in aller Lust und Freude. Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Saget den verzagten Herzen: Seid getrost und fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott!
Jesaja 35,1-4

Flucht oder Zuflucht

Unser ganzes Leben ist eine Flucht, eine Flucht vor Gott, vor einander, vor uns selbst, vor der Wahrheit, vor dem Leid, vor dem Tod, vor der Verantwortung.
Adam verbarg sich mit Eva nach ihrer Sünde vor Gott. Und Gott suchte ihn und fragte: Adam, wo bist du? Kain erschlug seinen Bruder und musste unstet und flüchtig sein. Er lebte hinfort jenseits von Eden im Lande Nod, das heißt übersetzt: Flucht, Ruhelosigkeit, Heimatlosigkeit, Unstetigkeit. Jakob hatte seinen Vater belogen und seinen Bruder betrogen. Er ging auf die Flucht. Mose hatte einen Volksgenossen ermordet und ging auf die Flucht. Elia wurde von der Königin Isebel bedroht und machte sich auf die Flucht. David wurde von Saul fast umgebracht und ging auf die Flucht. Jesus, kaum geboren, befand sich mit seinen Eltern auf der Flucht vor Herodes. Ja, so ist unser Leben: unstet und flüchtig auf Erden, ruhelos, heimatlos.
Aber unser Leben kann auch eine Zuflucht und Heimkehr, ein Nach-Hause- und Zur-Ruhe-Kommen sein. Gott kleidete Adam und Eva liebevoll ein und schützte sie damit. Er machte an Kain ein Zeichen, damit niemand ihn antasten durfte. Er schenkte Jakob seinen Segen und die Versöhnung mit seinem Bruder. Er berief den flüchtenden Mose zum Retter seines Volkes und den flüchtenden David zum König Israels. Und Jesus wurde nach Flucht und Heimatlosigkeit auf Erden durch Auferstehung und Himmelfahrt nach Hause und in die ewige Ruhe gebracht.
Das Kreuz Jesu ist das stärkste Symbol für beides: es ist der Ort der bittersten Verlassenheit, von Gott und Mensch und allen guten Geistern verlassen, und zugleich der Ort der wunderbarsten Zuflucht für uns unstete und umherirrende Menschen. Wer sich unter das Kreuz Jesu flüchtet, findet wirklich Zuflucht, hier im Glauben und in Ewigkeit im Bleiben.

Herr, du bist unsere Zuflucht für und für.
Psalm 90,1

Still, aber mutig

Gerhard Tersteegen lebte von 1697 bis 1769 und gehörte als Mystiker zu den Stillen im Lande. Seine vielen Lieder singen von der innigen Jesusliebe und rühren immer wieder die Menschen in der Tiefe der Seele an. "Gott ist gegenwärtig, lasset uns anbeten und in Ehrfurcht vor ihn treten …" "Ich bete an die Macht der Liebe, die sich in Jesus offenbart …" "Dass du mich stets umgibest, dass du mich herzlich liebest und rufst zu dir hinein, dass du vergnügst alleine, so wesentlich und reine, lass früh und spät mir wichtig sein!"
Aber Gerhard Tersteegen hat sich auch mutig gegen den König von Preußen, Friedrich den Großen, gewandt. In einer öffentlichen Schrift mahnt er nicht ohne Respekt und doch mit aller Deutlichkeit die falsche Einschätzung der Vernunft an: "Welch ein Werkzeug könnte dieser große Mann in der Hand des großen Gottes sein, wenn sein vorzüglicher Verstand, von höherem Licht bestrahlt, die höchst schädlichen Vorurteile wider die Religion ablegen und sein edles Herz dem König aller Könige, dem Herrn aller Herren seine gebührende Ehre geben möchte! Also geschehe es!" Der König soll sehr beeindruckt gesagt haben: "Können das die Stillen im Lande?"

Predige das Wort, steh dazu, es sei zur Zeit oder Unzeit; weise zurecht, drohe, ermahne mit aller Geduld und Lehre!
2.Timotheus 4,2

Sich selbst erkennen

Eine Geschäftsfrau verstaute nach ihrem Einkauf im Wohnzimmerschrank eine Dose mit kostbaren Pralinen. Als sie am Abend die Dose zur Hand nahm, um einige der erlesenen Köstlichkeiten zu genießen, war die Dose leer. Am nächsten Tag fand sie die Pralinen sorgfältig verpackt unter den Sachen ihrer Haushälterin. Die gutherzige Frau wollte deswegen keine Szene oder einen Streit. So füllte sie kurzerhand die Pralinen wieder in die Dose und stellte sie in den Wohnzimmerschrank zurück. Ganz überrascht war die Familie dann, als die Haushälterin nach dem Abendessen sagte, dass sie die Stelle noch heute aufgeben möchte. Als der Hausherr sie nach den Gründen fragte, sagte die Frau entrüstet: "Ich möchte nicht bei Leuten arbeiten, die zurückstehlen!"
In den Fehlern und Schwächen anderer Menschen können wir immer auch uns selbst erkennen. Wenn wir nur nicht so blind für unsere eigenen Fehler und so ungerecht im Blick auf die Schwächen anderer wären.

Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge? Oder wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen? und siehe, ein Balken ist in deinem Auge. Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach sieh zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst!
Matthäus 7,3-5

Worte richtig verstehen

Ein Dorfschmied bekam einen Lehrling, der das schwere Handwerk erlernen wollte. Der Meister nahm den Jungen mit in seine Schmiede und erklärte ihm die Geräte und Arbeitsweise. Und dann ging es auch gleich an die erste Arbeit. Der Schmied erklärte seinem Lehrling: "Wenn ich das Eisen aus dem Feuer nehme, lege ich es auf den Amboss. Und sobald ich mit dem Kopf nicke, schlägst du mit deinem Hammer drauf!" Der Lehrling tat ganz genau, was er meinte, dass der Meister es gesagt hatte. Und der Dorfschmied nickte nie wieder.
Nimm Worte ganz wörtlich, hat mir einmal ein älterer Freund geraten. Ich habe das immer versucht, habe den Worten nachgedacht, ihrer Geschichte, Bedeutung und Wirkung nachgespürt. Gerade auch Gottes Wort, das Wort der Bibel sollte man wirklich wörtlich nehmen und in seinem ganzen Zuspruch und Anspruch wirken lassen. Aber man muss die Worte auch richtig im Zusammenhang verstehen. Sonst wird es tragische Missverständnisse geben. Die Geschichte der Bibelauslegung ist voll solcher Beispiele. Vom bloßen Wort her ist vieles als biblisch bezeichnet worden, weil es in der Bibel dem Wort nach vorkommt: der Krieg, die Sklaverei, die Unterdrückung der Frau, die Missachtung des Leibes, die Verachtung der Welt und die Verteufelung des Fortschritts.
Nimm Gottes Wort ganz wörtlich, aber versuche es im Zusammenhang der Bibel richtig zu verstehen.

Da öffnete er ihnen das Verständnis, sodass sie die Schrift verstanden.
Lukas 24,45

Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja las, und fragte: Verstehst du auch, was du liest?
Apostelgeschichte 8,30

Trauer und kein Trost

In seinem berühmten Roman "Die Brüder Karamasow" erzählt Dostojewski von einer Mutter, die über den Verlust ihres kleinen Jungen so untröstlich und verzweifelt ist, dass sie den bekannten Starzen Sosima um Rat und Trost bittet. "Es ist", sagte der Starze, "es ist wie in uralten Zeiten: ‚Rahel beweinte ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, denn es war aus mit ihnen.’ So ist nun mal das Los, das euch Müttern auf Erden beschieden ist. Tröste dich also nicht, du brauchst dich nicht zu trösten, tröste dich nicht und weine, nur rufe dir jedes Mal, wenn du weinst, fest ins Gedächtnis, dass dein Söhnchen einer von den Engeln Gottes ist, von dort auf dich hernieder schaut und dich sieht, sich über deine Tränen freut und Gott den Herrn auf sie hinweist. Und lange noch wird dir dieses heilige mütterliche Weinen auferlegt sein, doch schließlich wird es sich wandeln in eine stille Freude, und deine bitteren Tränen werden dann Tränen einer stillen Rührung sein und einer Läuterung des Herzens, die von Sünden bewahrt. Deines Kindleins aber will ich in meinem Gebet denken, auf dass Gott seiner Seele Ruhe schenke."

So spricht der Herr: Man hört Klagegeschrei und bitteres Weinen in Rama: Rahel weint über ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen über ihre Kinder, denn es ist aus mit ihnen. Aber so spricht der Herr: Lass dein Schreien und die Tränen deiner Augen, denn deine Mühe wird noch belohnt werden, spricht der Herr. Sie sollen wiederkommen aus dem Lande des Feindes!
Jeremia 31,15f

Mit aller Macht

In sicher mehr als tausendundeinem Märchen geht es darum, dass der Held durch tausendundeine Schwierigkeit schließlich sein Ziel erreicht.
Der edle Prinz sucht seine schöne Prinzessin, der König mit aller Macht sein Reich, der Kranke unter allen Umständen die Heilung und der Weise mit aller Sehnsucht die Erleuchtung.
Alle müssen, um ihr Ziel zu erreichen, in der Regel schwierige Aufgaben lösen, große Opfer bringen, mächtige Gegner überwinden, gegen böse Mächte gewinnen, reißende Ströme durchqueren, Hunger und Entbehrungen, extreme Hitze oder Kälte aushalten, riesige Berge besiegen und über tiefe Abgründe gelangen und unendliche Geduld aufbringen.
Aber schließlich erreichen sie das Ziel, von dem sie so begeistert und überzeugt, so hingerissen und erfüllt waren. Niemand findet eine Prinzessin, ein Reich, eine Heilung oder Erleuchtung ohne Einsatz und Opfer, Hingabe und Leidenschaft.
Als Christen können wir auch nicht in bequemen Hausschuhen im gemütlichen Sessel hocken, aber wir brauchen nicht im eigenen Namen und mit unserer Macht das Ziel zu erreichen. Jesus Christus hat das Ziel schon erreicht, die Herrschaft schon gewonnen und möchte uns an seinem Reich beteiligen.

Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Jesus Christus!
Philipper 4,13

Was das Leben alles so bringt …

Für die Inseln des Trostes mitten in einem Meer von Leid
danke ich dir, Herr, du mein Gott.
Du führst mich durch unwegsame Schluchten,
großen Schrecken bin ich ausgeliefert
und bin dennoch behütet.
Meine Kraft ist längst erschöpft, aber du trägst mich hindurch.
Nicht dass die Stimmen des Misstrauens und des Sichauflehnens
verstummt wären in meinem Herzen,
aber ich weiß, dass sie Unrecht haben. Sie verlieren ihre Macht,
wenn ich deine Stimme erhorche.
Du sagst zu mir: "Fürchte dich nicht,
ich, dein Gott, verlasse dich nicht."
Lobpreisen will ich dich für alle Treue.
Ich erfahre, was Verzweiflung heißt,
aber gleichermaßen umgibt mich
das Geheimnis des Getröstetseins.
Auch wenn die Finsternis noch wächst,
sie ist nicht die einzige Wirklichkeit meines Lebens.
Wenn meine Augen vertraut geworden sind
mit der Dunkelheit, kann ich wahrnehmen,
dass immer noch Licht einfällt:
Du schenkst mir Menschen, die sich meiner Klage
nicht verschließen, die für mich einstehen vor dir.
Du hältst mir Brot und Wein bereit und
umarmst mich im heiligen Mahl.
Mein Herz darf ich ausschütten vor dir. Du
hilfst mir, dass ich nicht versinke im Selbstmitleid,
sondern teilnehmen kann an fremder Trauer.
Beides lässt du wachsen in mir:
die Fähigkeit zu leiden
und die Fähigkeit zu lieben.
Du befreist mich von dem Drang, den Sinn allen Leidens
hier und jetzt erkennen zu wollen.
Herr, mein Gott, ich lobpreise dich, denn ich weiß,
am Ende wird alle Klage von mir abfallen.
Am Ende wirst du alles Erlittene verwandeln in Freude.
(Sabine Naegeli)

Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit!
Jesaja 41,10

Die Legende von den Worten

Es hat Gott in jedes Herz ein gewisses Wort gelegt, das für diesen bestimmten Menschen gut und heilsam und erlösend wäre, wenn er es in der rechten Stunde brauchte.

Einmal in seiner Jugend liebt er ein Mädchen, es mag Hanna heißen. Er spricht mit ihr beim Kirchgang und führt sie zum Tanz, weil ihre Augen so brennen und weil sie so schwer auf seiner Schulter liegt. Der Mann hat tausend schöne Worte für das Mädchen, "immer" sagt er und "ewig" und "lass den Riegel offen" – unzählbar viele schöne Worte, aber das eine ist nicht darunter.

Dann hat er also endlich seinen Willen, und auch das Unglück kommt früh genug. Aber der Mann ist schon wieder weit fort um diese Zeit. Nun müsste er eigentlich umkehren, das Mädchen wartet ja auf ihn in ihrer Schande. Und er tut es auch wirklich, kommt zurück und bleibt eine Weile und würgt an dem Wort. Vielleicht liebt er die Frau schon gar nicht mehr so sehr. Oder doch, er liebt sie. Steht an der Tür, wendet sein Herz um und um, kann nicht, nein, kann das Wort nicht finden, er geht wieder.

Der Mann läuft nun weiter in der Welt umher, so ein kluger Kopf, er hat die Worte schockweise auf der Zunge. Wir sind alle kluge Köpfe, sogar das Pulver haben wir erfunden, aber das schreckt den Teufel nicht. Der Mann hat Freunde und verliert sie nach und nach. Er hat andere Frauen, auch sie verlassen ihn, und zuletzt ist der Mann ganz einsam, sein Bart wird lang und grau, so einsam ist er.

Eines Tages aber trifft ihn ein Brief unterwegs, trifft ihn wie ein Pfeil in die Kehle. Es stehen nur ein paar dürftige Worte auf dem verwischten Blatt -"Hättest du", steht da, "nur ein einziges Mal."

Und jetzt weiß also der Mann plötzlich sein Wort, es brennt ihm auf der Lippe, er rennt um sein Leben, um das Leben seiner Seele. Kniet hin und gräbt den frischen Hügel auf, schreit es hundertmal, sein "Verzeih mir!".

Nichts, es ist zu spät. (Karl Heinrich Waggerl)

"Bekennet also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist!"

(Jakobus 5,16)