Heute richtig leben

"Ein jeder prüfe seine Gedanken: Er wird sie alle mit der Vergangenheit oder mit der Zukunft beschäftigt finden. Wir denken fast gar nicht an die Gegenwart; und wenn wir denken, dann nur, damit wir aus ihr eine Einsicht erlangen, um über die Zukunft zu verfügen. Die Gegenwart ist nie unser Ziel: Die Vergangenheit und die Gegenwart sind unsere Mittel; die Zukunft allein ist unser Ziel. So leben wir nie, sondern wir hoffen zu leben, und während wir uns immer in Bereitschaft halten, glücklich zu sein, ist es unvermeidlich, dass wir es nie sind." (Blaise Pascal)
Heute richtig leben heißt: an diesem Tag alle Möglichkeiten nutzen, die Aufgaben, die nötig, die Wege, die möglich, die Begegnungen, die wichtig sind, wahrnehmen. Jede Stunde bewusst und richtig annehmen, ausleben und nichts auslassen. Richtig leben heißt aber auch: heute das Richtige tun, die Zeit mit guten und wertvollen Dingen füllen, Fehler vermeiden, Schaden abwenden, Liebe üben, die Wahrheit sagen und in den Grenzen bleiben, die dem Leben dienen. Heute richtig leben!

So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise!
Epheser 5,15

Gott sieht auch im Dunkeln

"Eine schwarze Ameise auf einem schwarzen Stein in tiefschwarzer Nacht – doch Gott sieht sie!" (Arabisches Sprichwort)
Bisweilen verdunkelt sich das Leben: um uns nur tiefschwarze Not, düstere Aussichten, in uns dunkle Verzweiflung, unser Lebensraum gleicht einem schwarzen Stein und wir einer kleinen Ameise. Doch Gott sieht uns. Er schaut ins Dunkel und durch die Nacht aller Leiden hindurch. Gott sieht meinen Kummer, zählt meine Tränen, weiß um meine Ängste und versteht meine Sorgen. Auch wenn wir vor lauter Nacht Gott nicht mehr sehen, er sieht uns mit seinen alles durchdringenden Augen der Liebe.
Ein Junge stand im Fenster eines brennenden Hauses. Er schrie vor Angst. Der Rauch hüllte ihn ein und nahm ihm den Atem. Der Vater kam herzu und rief zu dem Jungen herauf, er solle springen, er würde ihn sicher auffangen. Der Junge weinte: "Ich sehe dich nicht, Vater!" Aber der Vater rief: "Ich sehe dich, und nun spring, ich fange dich!" Und obwohl der Junge nichts sah, vertraute er seinem Vater und sprang durch das Dunkel in seine Arme.

Bewahre meine Seele und errette mich; lass mich nicht zuschanden werden, denn ich traue auf dich!
Psalm 25,20

Ein kostbares Gut

Die Tiere hatten eine große Versammlung einberufen, weil sie beraten wollten, wie sie sich gegen den Raubbau der Menschen schützen konnten.
"Mir nehmen sie fast alles", sagte die Kuh, "die Milch, das Fleisch und selbst die Haut."
"Mir geht es auch nicht viel besser", sagte die Henne. "Mir nehmen sie die Eier weg, und schließlich muss ich in den Topf."
"Von mir nehmen sie das Fleisch und meine schöne Haut", sagte das Schwein.
"Und mir rauben sie die Freiheit, weil ich ihnen etwas vorsingen soll", sagten die Kanarienvögel.
Und so hatten alle etwas zu beklagen: die Hirsche, die Hasen, die Vögel und die Fische, die Wale und die Seehunde, die Leoparden und die Elefanten.
Als alle Gruppen ihre Klagen vorgetragen hatten, ließ sich die leise Stimme der Schnecke vernehmen:
"Was ich habe, würden mir die Menschen sofort wegnehmen, wenn sie könnten. Denn was ich habe, fehlt ihnen zu ihrem Wohlergehen am meisten: Ich habe Zeit!"

Der Mensch, von einer Frau geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht.
Hiob 14,1f

Schicksalstage

Wenn die trüben Tage grauen,
kalt und feindlich blickt die Welt,
findet scheu sich dein Vertrauen
ganz auf dich allein gestellt.

Aber in dich selbst verwiesen
aus der alten Freuden Land,
siehst du neuen Paradiesen
deinen Glauben zugewandt.

Als dein Eigenstes erkennst du,
was dir fremd und feind erschien,
und mit neuem Namen nennst du
dein Geschick und nimmst es hin.

Was dich zu erdrücken drohte,
zeigt sich freundlich, atmet Geist,
ist ein Führer, ist ein Bote,
der dich hoch und höher weist.
(Hermann Hesse)

An trüben Tagen, schweren Tagen, in Widrigkeiten und bedrückenden Situationen, wenn alles kalt, feindlich, fremd und einsam ist, brauchen wir neue Paradiese, neue Namen, bessere Aussichten und Boten, die uns hoch und höher weisen.

Und auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.
Johannes 16,22

Das wirklich schmerzliche Warum

Ruf aus Stalingrad
Einer aber der Namenlosen
im Höllensturme von Stalingrad
schrieb seiner Mutter aus Tod
und Tosen
in Brand und Brüllen
auf blutigem Blatt:
"Mutter, warum
hast du mir nie
von Christus gesagt?"
Schwieg und fiel dann,
steinschwer, stumm.
Aber die Klage pocht.
Und die Frage fragt
durch Jahre fort
im Gang der Geschlechter,
knistert wie Irrlicht
im klüngelnden Buch,
schwelt im zornfeurigen Fluch,
hallt durch Dome,
zischelt am Tisch der Verächter …
Vergilbter Brief?
Für nichts verpfändet
des Jünglings Stirn,
die zerrissen klafft?
Beweint nicht Blut,
das in Strömen verschwendet!
In einem hört alle,
die frühe vollendet!
Gebt Antwort,
die da Glauben schafft!
Antwort ist mehr
als des Marmors Ruhm.
Weh uns, wir bleiben stumm,
dass nochmals ein Enkel
wider die Ahnen klagt:
"Warum, warum
habt ihr uns nie von
Christus gesagt?"
(Wilhelm Horkel)

Weil wir denselben Geist des Glaubens haben, wie geschrieben steht: Ich glaube, darum rede ich!, so glauben wir auch, darum reden wir auch!
2.Korinther 4,13

Ein einfacher grauer Stein

Mathilde Wrede, der "Engel der Gefangenen", besuchte einst im Norden Finnlands das Kloster von Valamo, das auf einer Insel im Ladogasee liegt. Die Mönche zeigten ihr die Klosteranlage und auch den kleinen Friedhof, wo die verstorbenen Mönche begraben lagen. Tief beeindruckt war Mathilde Wrede von den einfachen grauen Steinen aus dem Ladogasee, die die Gräber zierten. Sie enthielten alle gleich die Inschrift "Gottes Leibeigener" und darunter den Namen des Mönches. Sie sagte, solch ein einfacher Grabstein würde ihr sehr gefallen. Kurze Zeit nach ihrer Rückkehr wurde ihr in Helsinki eine Kiste gebracht, in der solch ein einfacher grauer Stein lag. In den Stein eingraviert war die Inschrift: "Gottes Leibeigene" und darunter ihr Name. Diesen Stein ließ Mathilde Wrede in den großen Lehnsessel neben ihrem Krankenbett legen. Immer wieder musste sie am Ende ihres Lebens für die Befreiung danken, die darin liegt, Gott ganz zu gehören. Und immer wieder musste sie für die vielen Menschen beten, die noch in der Sklaverei und Unterdrückung der Sünde als Leibeigene des Todes lebten.
Bis sie dann in der Christnacht über die Grenze des Todes in das ewige Leben ging und ihr Leib unter dem einfachen grauen Stein aus dem Ladogasee begraben wurde.

Meine Seele erhebt den Herrn und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes, denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.
Lukas 1,46ff

Die Botschaft der Steine

Wenn ich über den nahe gelegenen Friedhof gehe, um das Grab meiner Frau zu besuchen, komme ich an hunderten von Grabsteinen vorbei. Sie alle tragen Namen und Lebensdaten von Verstorbenen. Auf kaum einem Grabstein findet sich noch eine Botschaft. Jedoch zwei Grabsteine nebeneinander haben mich bei jedem Vorübergehen nachdenklich gemacht. Auf einem Stein lautet die Inschrift unter dem Namen einer Frau: "Schatz, du bist immer bei mir!" Daneben heißt es über dem Namen einer Frau: "Im Hause des Herrn immerdar!"
Wo sind unsere Verstorbenen? Sind sie immer noch bei uns? Sind sie bei Gott zu Haus? Unerbittlich zerschneidet der Tod die irdischen Beziehungen. Und es ist wichtig, Verstorbene ganz loszulassen und sie Gott anzubefehlen. Wenn ich dann am Grab meiner Frau angekommen bin, danke ich Gott für die 35 Jahre der Gemeinsamkeit. Aber ich danke auch dafür, dass meine Frau von ihrem Leiden erlöst und bei Gott zu Hause ist. Ich bin sicher, dass sie in Gottes Händen besser aufgehoben ist als in den Händen der Ärzte, die ihr nicht mehr helfen konnten, und in unseren Händen, die sie nicht mehr halten konnten. Über ihrem Namen und den Lebensdaten steht das Zeugnis ihres Lebens, Leidens und Sterbens: "Jesus lebt, mit ihm auch ich!"

Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn!
Römer 14,8

Licht in dein Haus

Der später so bekannte Dichter Fritz Reuter (1810-1874) war nach siebenjähriger Festungshaft ein gebrochener Mann. Zeitlebens hatte er unter wiederkehrenden körperlichen und auch seelischen Zusammenbrüchen zu leiden. Quälende Schmerzen des Körpers und tiefe Dunkelheiten des Gemütes machten ihm immer wieder zu schaffen. Und doch schrieb Fritz Reuter die besten Werke, die ja zum Teil von so viel Humor und Freude durchzogen sind, in und nach schwersten Leidenstagen und schlaflosen Schmerzensnächten. In einer solchen Nacht diktierte er seiner Frau, die ihn über Jahrzehnte mit großer Liebe und Geduld begleitet hatte, die Inschrift für seinen eigenen Grabstein:
"Der Anfang, das Ende, o Herr, sie sind dein,
die Spanne dazwischen, das Leben, war mein,
und irrt ich im Dunkeln und fand mich nicht aus:
Bei dir, Herr, ist Klarheit und licht ist dein Haus!"

Der Herr behüte dich vor allem Übel, er behüte deine Seele. Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit!
Psalm 121,7

Lachen und Weinen

Von Johann Wolfgang Goethe gibt es eine schöne Geschichte über den Chodscha:
Timur war ein hässlicher Mann; er hatte ein blindes Auge und einen lahmen Fuß. Indem nun eines Tages Chodscha um ihn war, kratzte sich Timur den Kopf, denn die Zeit des Barbierens war gekommen, und befahl, der Barbier solle gerufen werden. Nachdem der Kopf geschoren war, gab der Barbier, wie gewöhnlich, Timur den Spiegel in die Hand. Timur sah sich im Spiegel und fand sein Ansehen gar zu hässlich. Darüber fing er an zu weinen, auch der Chodscha hub an zu weinen, und so weinten sie ein paar Stunden. Hierauf trösteten einige Gesellschafter den Timur und unterhielten ihn mit sonderbaren Erzählungen, um ihn alles vergessen zu machen. Timur hörte auf zu weinen, der Chodscha aber hörte nicht auf, sondern fing erst recht an, stärker zu weinen. Endlich sprach Timur zum Chodscha: "Höre! Ich habe in den Spiegel geschaut und habe mich sehr hässlich gesehen, darüber betrübte ich mich, weil ich nicht allein Kaiser bin, sondern auch viel Vermögen und Sklavinnen habe, daneben aber so hässlich bin, darum habe ich geweint. Und warum weinst du noch ohne Aufhören?" Der Chodscha antwortete: "Wenn du nur einmal in den Spiegel gesehen und bei Beschauung deines Gesichts es gar nicht hast aushalten können, dich anzusehen, sondern darüber geweint hast, was sollen wir denn tun, die wir Nacht und Tag dein Gesicht anzusehen haben? Wenn wir nicht weinen, wer soll denn weinen! Deshalb habe ich geweint." Timur kam vor Lachen außer sich.

Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden!
Römer 12,15

Richtig leben

Leben ist Empfangen. Können wir uns und unser Leben als Geschenk verstehen oder müssen wir es als Leistung missverstehen?
Lebensraum und Lebenszeit werden uns anvertraut. Lebensmöglichkeiten, Lebensmittel und Lebensgefährten werden uns geschenkt. Lebensfreude und Lebenskraft wachsen uns zu. Essen und Trinken, Arbeit und Schlaf, Jahreszeiten und Lebenszeiten, Sonne und Wind, Erde und Wasser, Gaben und Aufgaben, Kultur und Bildung, Wachsen und Reifen, Herkunft und Zukunft, Ehe und Familie, Gemeinde und Gesellschaft sind einige von ungezählten Gaben des Lebens. Warum würdigen wir die großen Geschenke herab und tun uns mit armseligen und eingebildeten Leistungen groß? Warum verfallen wir einem verbissenen und angestrengten Machen, wo wir das Leben befreit und erlöst empfangen könnten?
Von den Kindern sollten wir das unverschämte Nehmen und Gebrauchen lernen. Aber wir schämen uns der großen Geschenke und sind stolz auf die eher kleinen Leistungen unseres Lebens!

Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.
Markus 10,15