Erst hören, dann reden

Ein Pastor berichtete nach einer Vortragsreise ins Ausland: Ich bewunderte die Dolmetscherin: Sie verarbeitete mehrere Gedanken zugleich. "Wie machen Sie das nur: Einen Satz übersetzen Sie noch, während Sie den nächsten schon wieder hören und einen dritten aussprechen?" So fragte ich sie. Das sei ganz einfach, erklärte sie. "Der Eingang muss eben stärker sein als der Ausgang. Ich darf mich nicht reden hören."
Das gab mir zu denken: Haben unsere Sätze oft so wenig Wert, weil wir zu wenig hören und zu viel reden? Finden wir deswegen so wenig Gehör, weil wir selber kaum hörende Menschen sind? Häufig unterbrechen wir den Gesprächspartner sogar. Und vielleicht überhören wir deshalb so vieles, weil wir nur das aufnehmen, was uns bestätigt und was wir bejahen.
Meistens haben wir auch schon eine Antwort "auf der Zunge", ehe der andere seinen Satz zu Ende spricht. Deshalb reden wir oft aneinander vorbei und verstehen uns nicht. "Ich darf mich selber nicht reden hören", meinte die Dolmetscherin. Das scheint das Geheimnis eines echten Dialogs zu sein. Martin Luther soll dazu einmal gesagt haben: "Der Mensch hat zwei Ohren und nur einen Mund, folglich soll er doppelt so viel hören als reden."

Ein jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn!
Jakobus 1,19

Ein unsäglich großer Schatz

Eindrücklich erzählt Dostojewski in seinem Roman "Die Brüder Karamasow", wie eine junge Bäuerin in ihrer Verzweiflung den berühmten Starzen Sosima aufsucht. Sie hat ihren Mann, der ihr viel Böses angetan hatte, in einer schweren Krankheit sterben lassen. Nun ist sie voller Angst und Schuld und wendet sich Rat suchend an den Starzen. Und der hat tröstliche Worte für sie: "Fürchte nichts, und fürchte dich niemals, und gräme dich nicht. Wenn nur die Reue in dir nicht erlahmt – dann wird Gott dir alles geben. Solch eine Sünde gibt es nicht in der ganzen Welt und kann es gar nicht geben, die Gott der Herr einem wahrhaft Reuigen nicht verziehe. Ein Mensch kann gar nicht eine so große Sünde begehen, dass sie die unendliche Liebe Gottes erschöpfe. Oder kann es eine so große Sünde geben, dass sie Gottes Liebe überwöge? Um Reue sei nur besorgt, um unablässige Reue, die Furcht jedoch scheuche gänzlich von dir.
Glaube daran, dass Gott dich so sehr liebt, wie du es dir nicht einmal vorstellen kannst, dich sogar mit deiner Sünde und in deiner Sünde liebt. Über einen Sünder, der Buße tut, wird im Himmel mehr Freude sein als über zehn Gerechte, so steht es seit langem schrieben. Geh also und fürchte dich nicht. Lass dich nicht erbittern gegen die Menschen, ärgere dich nicht, wenn dir Unrecht geschieht. Dem Verstorbenen vergib in deinem Herzen alles, womit er dich gekränkt hat, versöhne dich mit ihm in Wahrheit. Wenn du bereust, so liebst du auch. Liebst du aber, so bist du auch schon Gottes. … Durch Liebe wird alles erkauft, alles gerettet. Wenn schon ich, ein ebenso sündiger Mensch wie du, deinetwegen Rührung und Mitleid empfand, um wie viel mehr wird es dann Gott tun? Die Liebe ist ein so unsäglich großer Schatz, dass man damit die ganze Welt kaufen könnte, nicht nur die eigenen Sünden kannst du damit loskaufen, sondern auch fremde. Geh denn und fürchte dich nicht." Er segnete sie dreimal mit dem Zeichen des Kreuzes, nahm ein kleines Heiligenbild von seinem Hals und hängte es ihr um. Sie verneigte sich schweigend vor ihm bis zur Erde.

Wenn eure Sünde auch blutrot ist, soll sie doch schneeweiß werden, und wenn sie rot ist wie Scharlach, soll sie doch wie Wolle werden!
Jesaja 1,18

Die große Unbekannte

Jeder spricht über sie. Aber niemand weiß, wie sie wirklich aussieht. Einige sagen, sie sei wie ein Stern, funkelnd, strahlend und herrlich anzusehen.
Andere sagen, sie sei Furcht erregend, schrecklich und gefährlich, und sie hätten Angst vor ihr.
Einige meinen, sie sei wie ein Sturm, der wild und ungestüm alles mitreißt und aufdeckt.
Andere meinen, sie sei still und gütig, lind und sanft, und sie hätten Vertrauen zu ihr.
Einige behaupten, sie sei wie ein warmes Feuer, das wohl tut und schützt, aber auch frisst und verletzt, wenn man ihr zu nahe kommt.
Andere behaupten, sie sei kalt wie ein Stein, hart und schwer wie ein Fels, mit dem schon so mancher erschlagen worden sei.
Einige sagen, sie wäre fröhlich und heiter, weil jedermann sie liebt.
Andere sagen, sie sei einsam und traurig, weil sie so missbraucht und vergewaltigt sei.
Wo mag sie sich aufhalten, hoch über uns, unerreichbar für unsere begrenzten Sinne, oder tief unter uns in den Abgründen des Lebens?
Pilatus fragte einst Jesus: "Was ist Wahrheit?" (Johannes 18,38)
Jesus ist die Wahrheit mit Hand und Fuß, die Wahrheit mit Herz und Leben, die Wahrheit, die in Liebe eingekleidet ist. Jesus ist die Wahrheit, die aus Liebe zu uns gekreuzigt und mit Macht von Gott auferweckt wurde.

Jesus sagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben!
Johannes 14,6

Vom Strom im Wüstensand

Ein Strom floss von seinem Ursprung in fernen Gebirgen durch sehr verschiedene Landschaften und erreichte schließlich die Sandwüste. Genauso wie er alle anderen Hindernisse überwunden hatte, versuchte der Strom nun auch, die Wüste zu durchqueren. Aber er merkte schnell, dass – so schnell er auch in den Sand fließen mochte – seine Wasser verschwanden.
Er war jedoch überzeugt davon, dass es seine Bestimmung sei, die Wüste zu durchqueren, auch wenn es keinen Weg gab. Da hörte er, wie eine verborgene Stimme, die aus der Wüste kam, ihm zuflüsterte: "Der Wind durchquert die Wüste, und der Strom kann es auch." Der Strom wandte ein, dass er sich doch gegen den Sand werfe, aber dabei nur aufgesogen würde; der Wind aber könne fliegen, und deshalb vermöge er die Wüste zu überqueren.
"Wenn du dich auf die gewohnte Weise vorantreibst, wird es dir unmöglich sein, sie zu durchqueren. Du wirst entweder verschwinden, oder du wirst ein Sumpf. Du musst dem Wind erlauben, dich zu deinem Bestimmungsort hinüberzutragen."
Aber wie sollte das zugehen? "Indem du dich von ihm aufnehmen lässt."
Diese Vorstellung war für den Fluss unannehmbar. Schließlich war er noch nie zuvor aufgesogen worden. Er wollte keinesfalls seine Eigenart verlieren. Denn wenn man sich einmal verliert, wie kann man da wissen, ob man sich je wiedergewinnt!
"Der Wind erfüllt seine Aufgabe", sagte der Sand. Er nimmt das Wasser auf, trägt es über die Wüste und lässt es dann wieder fallen. Als Regen fällt es hernieder, und das Wasser wird wieder ein Fluss."
"Woher kann ich wissen, ob das wirklich wahr ist?"
"Es ist so, und wenn du es nicht glaubst, kannst du eben nur ein Sumpf werden. Und auch das würde viele, viele Jahre dauern; und es ist bestimmt nicht dasselbe wie ein Fluss."
Und der Strom ließ seinen Dunst aufsteigen in die Arme des Windes, der ihn willkommen hieß, sachte und leicht aufwärts trug und ihn, sobald sie nach vielen, vielen Meilen den Gipfel des Gebirges erreicht hatten, wieder sanft herabfallen ließ. Und weil er voller Bedenken gewesen war, konnte der Strom nun in seinem Gemüte die Erfahrungen in allen Einzelheiten viel deutlicher festhalten und erinnern und davon berichten. Er erkannte: "Ja, jetzt bin ich wirklich ich selbst." (Aus Tunesien)

Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.
Johannes 5,24