Die Stellvertreterin

Einst lebte eine junge, schöne Nonne, die diente als Küsterin in ihrem Kloster. Sie tat all ihre Arbeit mit Eifer und Freude, besondere Sorgfalt und Mühe aber verwandte sie auf den Altar der Muttergottes, denn sie liebte sie von ganzem Herzen.
Eines Tages kam ein junger Ritter in das Kloster, der auf dem Rückweg von seiner Wallfahrt nach Santiago de Compostela war. Er verliebte sich in die junge Nonne, und sie verliebte sich in ihn. Jeden Tag kam der Ritter in die Kirche und bat seine Liebste, mit ihm zu fliehen, und er beteuerte ihr, dass er keinen sehnlicheren Wunsch habe, als sie in seiner Heimat zu seiner rechtmäßigen Gemahlin zu machen und frei und glücklich mit ihr zu leben.
Lange Zeit widerstand die junge Nonne seinem Begehren, schließlich aber gab sie ihm nach. Eines Nachts trat sie ein letztes Mal vor den Altar der Muttergottes, brachte ihr noch einmal einen Strauß weißer Rosen und bat: "Heilige Mutter, versieh du meinen Dienst, wenn ich fort bin!"
Da lächelte die Statue und sprach: "Ich will es tun, doch kehre wieder!"
Die junge Nonne folgte ihrem Liebsten in seine Heimat und wurde seine Frau. Zwölf Jahre lang lebte sie mit ihm in Glück und Freude und schenkte ihm sieben schöne Söhne. Als aber das zwölfte Jahr vergangen war, hatte sie des Nachts einen Traum. Die Muttergottes erschien ihr und sprach: "Nun habe ich deinen Dienst lange genug versehen. Es wird Zeit, dass du zurückkehrst!"
Nachdem sie den gleichen Traum noch zweimal geträumt hatte, ging sie eines Nachts und holte ihr Nonnengewand aus der Truhe; sie küsste ihren schlafenden Mann und ihre schlummernden Söhne und wanderte den weiten Weg zu ihrem Kloster zurück.
Als sie aber in die Kirche trat, stand auf einmal die Muttergottes vor ihr und sah aus wie sie und sprach: "Zwölf Jahre habe ich treu deinen Dienst versehen, und niemand hat gemerkt, dass du draußen in der Welt warst. Nun aber ist mir die Zeit zu lang geworden!" Und auf einmal war die Nonne allein in der Kirche, und die Statue der Muttergottes stand schön und golden auf dem Altar und lächelte still. Und als die Nonne später zum Nachtmahl ging, merkte sie, dass niemandem ihre Abwesenheit aufgefallen war.
Bald darauf war der achte September, das Fest Mariä Geburt, und alle Nonnen hatten ein schönes Geschenk für die Muttergottes vorbereitet. Die einen hatten prächtige Stickereien angefertigt, andere ein schweres Chorstück eingeübt, nur sie allein hatte nichts und stand mit leeren Händen da, und ihre Mitschwestern sahen sie strafend an. Da ertönte plötzlich ein Hornsignal, das Kirchenportal flog auf, und herein kam ihr Mann, und ihre sieben Söhne folgten ihm. Sie eilte zu ihnen, zog die Knaben vor den Altar und rief: "Heilige Mutter, dies ist mein Geschenk für dich!" Und zum Erstaunen aller, die sich in der Kirche zu Ehren der Muttergottes versammelt hatten, neigte die Statue lächelnd das Haupt, und auf einmal lagen sieben Rosenkränze auf den Häuptern der Knaben. Und das war das Zeichen, dass die Muttergottes das Geschenk der Nonne angenommen hatte. (Märchen aus dem Elsass)

Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus, denn die Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe.
1.Johannes 4,18

Vieles ist möglich

Man kann Holz hacken mit Wut im Bauch,
man kann Eisen schmieden mit Kraft in den Armen,
man kann Pferde zähmen mit Geduld in der Seele,
man kann eine Reise machen mit Sehnsucht im Sinn,
man kann ein Haus bauen mit Geld auf der Bank,
man kann ein Flugzeug lenken mit Schulung durch einen Lehrer,
man kann auf einem Seil tanzen mit Übung und nochmals Übung,
man kann Geld verdienen mit Anstrengung im Beruf,
man kann Schmerz betäuben mit einer Spritze vom Arzt,
man kann gutes Essen kochen mit Zutaten vom Kaufmann,
man kann Bücher lesen mit guten Augen im Kopf,
man kann Auto fahren mit Kraftstoff im Tank,
man kann Kunstwerke formen mit Geschick in den Händen,
aber Menschen leiten kann man nur mit Liebe aus ganzem Herzen!

Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts!
1.Korinther 13,2

Gott bewundern

Ich sehe den sanften Wind in den Lärchen gehn
und höre das Gras wachsen,
und die andern sagen: Keine Zeit!

Ich sehe den wilden Wassern zu
und den Wolken über den Bergen,
und die andern sagen: Wozu?

Ich sehe den Schmetterlingen nach
und den spielenden Kindern,
und die andern sagen: Na und?

Ich kann mich nicht satt sehen
an allem, was ist,
und die andern sagen: Was soll’s?

Ich bewundere dich, o mein Gott,
in allem, was lebt,
und die andern sagen: Wieso?

(Lothar Zenetti)

(Aus: Lothar Zenetti, In seiner Nähe, Topus plus Verlagsgemeinschaft, Matthias-Grünewald-Verlag Mainz 2002)

Gott, lass dein Heil uns schauen,
auf nichts Vergängliches trauen,
nicht Eitelkeit uns freun;
lass uns einfältig werden
und vor dir hier auf Erden
wie Kinder fromm und fröhlich sein.

(Matthias Claudius)

"Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter!"

(Psalm 104,24)

Wohin mit dem Müll?

Wo es geht, vermeiden wir den Müll. Der unvermeidbare Müll wird sorgsam getrennt. Glas kommt in die verschiedenen Container, Altpapier ebenso. Alte Medikamente bringen wir zur Apotheke, wo sie entsorgt werden, und Altöl nimmt der Händler zurück. Plastik kommt in den gelben Sack, Küchenabfälle in die Biotonne und der Restmüll landet in der Hausmülltonne. Farben, Lacke und Metalle werden zu den Sondermüllorten gebracht. So versuchen wir, verantwortlich mit all dem Wohlstandsmüll unserer modernen Konsumgesellschaft umzugehen. Der Grüne Punkt und die Blauen Engel begleiten uns.
Aber wo bleiben wir mit dem Lebensmüll, der sich im Laufe der Jahre so ansammelt: mit den schmutzigen Gedanken und verfaulten Fantasien, den verbeulten Seelen und angefressenen Herzen, dem Beziehungsschrott und dem ganzen Mist vergeblicher Mühen, mit dem Angstabfall und den Sorgenbergen, den Schuldgefühlen und Versagenslisten, den abgestandenen Vorwürfen und den lange schon eiternden Verletzungen, den verlogenen Phrasen und billigen Tröstungen, die noch unentsorgt in unseren Seelen ein ungeordnetes Gerümpel bilden? Wenn man das einfach irgendwohin bringen, abgeben, verbrennen oder sogar für immer entsorgen könnte!
Es gibt diese Möglichkeit. Unter dem Kreuz Jesu dürfen wir alles, was Herz und Seele schmerzt, Schuld und Versagen, beschädigtes und verletztes, verfaultes und dreckiges Lebensgut abgeben und loswerden. Vergebung und Heilung, Versöhnung und Reinigung, Entlastung und Erneuerung sind die Angebote unseres Heilands am Kreuz. Er gibt uns mehr als Grüne Punkte und Blaue Engel. Er schenkt uns ein geheiligtes und verwandeltes Leben ohne Verfallsdatum und mit ganz viel Hoffnung auf letzte Vollendung.

Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden!
2.Korinther 5,17

Der wahre Grund

Eine amerikanische Seifenfirma hat eine neue Seife auf den Markt gebracht und startet für ihre "Himmelsduft-Seife" einen riesigen Werbefeldzug. Unter anderem wird ein Werbequiz veranstaltet, bei dem es einen Cadillac zu gewinnen gibt. Bürgerinnen und Bürger werden interviewt und müssen die Vorzüge der Seife beschreiben und ihre Einzigartigkeit rühmen. Unter all den Teilnehmenden wird dann das Luxusauto verlost. In großen Scharen strömen die Menschen, um mitzumachen. Sie werden von den Leuten der Firma gefragt: "Warum mögen Sie unsere ‚Himmelsduft-Seife‘?" Eine Frau antwortet ganz naiv, aber ehrlich: "Weil ich einen Cadillac gewinnen möchte!"
Warum glauben wir an Gott und halten uns an sein Wort? Was gibt es hier zu gewinnen? Wollen wir die Gaben aus Gottes Hand oder geht es uns auch um ihn selbst? Natürlich empfangen wir aus Gottes Güte viele Gaben und empfangen reichlich Gewinn. Aber der wahre Grund sollte nicht das Haben und Bekommen, sondern die Liebe und Gott selber sein.

Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz. … Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen!
Matthäus 6,21.33

Die Seele bewahren

Deine Seele ist ein Vogel,
stutze ihm die Flügel nicht,
denn er will sich doch erheben
aus der Nacht ins Morgenlicht.

Deine Seele ist ein Vogel,
stopf nicht alles in ihn rein.
Er wird zahm und satt und träge,
stirbt den Tod am Brot allein.

Deine Seele ist ein Vogel,
schütze ihn nicht vor dem Wind.
Erst im Sturm kann er dir zeigen,
wie stark seine Flügel sind.

Deine Seele ist ein Vogel,
und er trägt in sich ein Ziel.
Doch wird er zu oft geblendet,
weiß er nicht mehr, was er will.

Deine Seele ist ein Vogel.
Hörst du ihn vor Sehnsucht schrein,
darfst den Schrei du nicht ersticken,
bleibt er stumm, wirst du zum Stein.

Deine Seele ist ein Vogel,
stutze ihm die Flügel nicht,
denn er will sich doch erheben
aus der Nacht ins Morgenlicht.

(Gerhard Schöne)

"Hüte dich nur und bewahre deine Seele gut!"

(5. Mose 4,9)

,Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott!"

(Psalm 42,3)

Wir haben ein Ziel

Zwei Nebenflüsse treffen in einem mächtigen Strom zusammen. Von ihrer Quelle bis zur Einmündung haben sie einen langen Weg hinter sich. "Wie geht es dir, mein Freund", fragt der eine Fluss den anderen interessiert, "und wie war dein Weg?"
"Mein Weg war schwer und mühsam", sagt der andere. "Ich floss an brennenden Orten vorbei. Die Felder, die ich sonst bewässerte, waren verwüstet und Kriegslärm erschreckte mich allenthalben. Der Müller hatte seine Wassermühle abgestellt. Die Kinder, die früher an meinem Ufer spielten, waren geflohen. Und die Menschen, die aus mir Wasser schöpften, waren tot. Mein Weg durch Trümmer und Tod war sehr traurig. Doch wie war dein Weg, mein Bruder?"
"Mein Weg war ganz anders. Ich floss voller Freude die Hügel hinab, saftige Wiesen und blühende Bäume und zwitschernde Vögel haben mich begleitet. Fröhliche Menschen tranken aus mir und kleine Kinder planschten in mir. Überall an meinem Ufer waren bunte Feste, und Gelächter und Gesang entzückten mich allenthalben. Mein Lauf war wunderbar. Wie traurig, dass dein Weg so notvoll war!"
Da sagte der mächtige Strom mit liebevoller Stimme: "Fließt herein, wie euer Weg auch war, kommt herein mit Freude und Leid. Bei mir werdet ihr euren Weg zurücklassen, wir strömen nun dem großen Meer zu. Wir haben ein Ziel. Und wenn wir gemeinsam im Meer einmünden, im Meer der Zeit, im Meer der Liebe, werden wir zu Hause sein, egal wie unsere Wege auch waren. Wir haben ein Ziel!"

Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem, was da vorne ist, und jage nach dem vorgesteckten Ziel, dem Siegespreis der himmlischen Berufung Gottes in Jesus Christus.
Philipper 3,13f

Über die Zeit

Ein Esel, eine Eintagsfliege und eine Schildkröte unterhielten sich leidenschaftlich über das Leben.

"Ja, wenn ich mehr Zeit hätte", sagte die Eintagsfliege, "dann wäre alles einfacher! Könnt ihr euch vorstellen, was es bedeutet, alles in 24 Stunden unterzukriegen? Geboren werden, aufwachsen, erleben, erleiden, glücklich sein, alt werden und sterben? Alles in 24 Stunden?!"

"Ich gäbe was drum", sagte der Esel, "wenn ich nur 24 Stunden zu leben hätte. In kurzer Zeit alles auskosten, was es gibt. Ich stelle mir das herrlich vor: kurz, aber richtig."

"Ich verstehe euch nicht", warf die Schildkröte ein. "Ich bin jetzt 300 Jahre alt. Die Zeit würde nicht reichen, wollte ich euch erzählen, was ich erlebt habe. Es ist einfach zu viel. Schon vor 200 Jahren habe ich mir gewünscht, ans Ende meiner Zeit gekommen zu sein."

"Ich beneide dich", sagte sie zu dem Esel, und zur Eintagsfliege: "Mit dir habe ich Mitleid."

"Wenn ich das so höre", sagte der Esel, "ich gäbe was drum, wenn ich 300 Jahre alt werden könnte. Viel Zeit haben, um das Leben richtig auskosten zu können. Ich stelle mir das herrlich vor: lange, aber intensiv."

Da schwiegen die drei sehr traurig, weil jeder das Leben nach der Uhr gemessen hatte und sich nun danach sehnte, das eigene Leben zu verlängern, zu verkürzen oder beides zu versuchen.

Da gingen sie zu dritt zur Spinne, die wegen ihrer Weisheit berühmt war, um sie um Rat zu fragen.

"Schildkröte", sagte die Spinne, "hör auf zu klagen; denn wer hat schon so viel Erfahrung wie du?" Zur Eintagsfliege sagte sie: "Fliege, hör auf zu klagen; wer hat schon so viel Freude wie du?"

Da meldete sich der Esel und fragte, was sie ihm denn riete. "Dir rate ich nichts", erwiderte die Spinne, "denn du wolltest beides! Du bist und bleibst ein Esel

Als die andern Tiere das hörten, warfen sie ihre Uhren weg und maßen das Leben fortan nach seiner Tiefe und seinem Sinn.

(Peter Spangenberg)

"So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise, und kauft die Zeit aus!"

(Epheser 5,15f)

Was bedeutet es letztlich?

Schiffbruch erleiden ist immer schmerzlich. Aber was bedeutet es letztlich, wenn Gott der Ozean ist?
Zugrunde gehen ist immer notvoll. Aber was bedeutet es letztlich, wenn Jesus der Grund unter allem ist?
Aus unseren Höhenflügen abstürzen ist immer enttäuschend. Aber was bedeutet es letztlich, wenn das Netz der göttlichen Liebe uns auffängt?
Aus wunderbaren Träumen erwachen ist immer ernüchternd. Aber was bedeutet es letztlich, wenn Gott die Realität ist?
Sterben ist immer die schmerzlichste Trennung vom Leben. Aber was bedeutet es letztlich, wenn wir in Gottes Ewigkeit hineinsterben?

Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.
Römer 8,38f

Am Ende bin ich noch immer bei dir!
Psalm 139,18

Können Feinde zusammenarbeiten?

Ein Schüler fragt seinen Meister: "Wie können zwei unversöhnliche Feinde zusammenarbeiten? Wie kann man sie zum Zusammenwirken bewegen?"
Der Meister antwortet: "Lernen wir es vom Kochtopf. Sein Boden vermag die feindlichen Elemente Wasser und Feuer nicht zu versöhnen, aber er bringt sie zur wirksamen Zusammenarbeit. Er macht die beiden nicht gleich. Er lässt das Wasser ganz das Wasser sein und das Feuer ganz das Feuer. Indem er sich mit beiden einlässt, beide respektiert, vermag er sie zur friedlichen Zusammenarbeit zu bewegen!"
Solche Kochtöpfe brauchten wir in vielen Teilen der Erde, in Irland und Südafrika, in Israel und Palästina, aber auch in unseren Häusern und Nachbarschaften.

Und der Friede Christi, zu dem ihr auch berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen; und seid dankbar!
Kolosser 3,15