Das Höchste

Das höchste und tiefste Empfinden, dessen wir Menschen fähig sind, ist die Erfahrung des Göttlichen. Aus ihm quillt alles Werden und Wissen, Wachsen und Wollen, Reifen und Vollendetwerden. Wem dieses Erleben fremd ist, wer nicht mehr staunen und anbeten, sich nicht mehr wundern und an Gott verlieren kann, ist nicht nur hoffnungslos unter sich, sondern bereits wie erstorben und tot. Das Lebendige am Leben ist nicht unsere krampfhafte Suche nach Leben, sondern der Lebendige und seine liebevolle Suche nach uns.

Gott, du bist mein Gott, den ich suche. Es dürstet meine Seele nach dir, mein ganzer Mensch verlangt nach dir aus trockenem, dürren Land, wo kein Wasser ist. Deine Güte ist besser als Leben; meine Lippen preisen dich. So will ich dich loben mein Leben lang und meine Hände in deinem Namen aufheben. Das ist meines Herzens Freude und Wonne, wenn ich dich mit fröhlichem Munde loben kann.
Psalm 63,2.4-6

Meiner ist noch da!

In einer Tischlerwerkstatt herrscht geschäftiges Treiben. Die Maschinen laufen, der Meister, einige Gesellen und Auszubildende sind eifrig bei der Arbeit. Jeder hat seine Aufgabe, und der Meister kontrolliert streng seine Mitarbeiter. Dann muss er zu einem Kunden, um einen Auftrag zu besprechen. Er wird für einige Stunden unterwegs sein und gibt seinen Leuten genaue Anweisungen. Kaum ist er aus der Tür, beginnt eine gemütliche Plauderei. Bald werden die eine und andere Maschine abgestellt. Die Handwerker treiben allerhand Blödsinn und bald geht es über Tisch und Bänke. Ein Geselle bleibt ruhig an seiner Arbeit und beteiligt sich nicht an dem Unfug. Da geht ein Kollege auf ihn zu und muntert ihn auf: "Komm, mach mit, der Meister ist weg!" Worauf der Geselle nur sagt: "Meiner ist noch da!" und in Ruhe weiterarbeitet.
Haben wir den Mut, auch gegen den Spott und Trend unserem Gewissen und unserem Meister zu folgen? Sind wir treu mit den uns anvertrauten Gaben und Aufgaben?

Wer im Geringsten treu ist, der ist auch im Großen treu; und wer im Geringsten ungerecht ist, der ist auch im Großen ungerecht.
Lukas 16,10

Wesentliche Fragen

Ein älteres Ehepaar unter unseren Bekannten trägt eine schwere Last. Die Frau hat die Alzheimer-Krankheit im fortgeschrittenen Stadium, und ihr Mann versorgt und pflegt sie zu Hause. Neben der körperlichen Belastung und der rund um die Uhr nötigen Präsenz sind die seelischen Belastungen am notvollsten. Immer wieder fragt die Frau: "Wer bin ich?" Sie weiß nicht mehr, wie sie heißt. "Wer bist du?" Sie erkennt ihren Ehemann nicht mehr. "Wo sind wir?" Ihr fehlt jeder Orientierungssinn. Bei den täglichen kleinen Spaziergängen: "Wo gehen wir hin?"
Die Fragen kehren immer wieder, und die geduldigen Antworten sind schnell vergessen. Es ist interessant, dass die Fragen in einer solchen Grenzsituation des Leides auch die wesentlichen Fragen des Lebens überhaupt sind. "Wer bin ich?" Wissen wir es wirklich? "Wer ist der andere?" Kann man überhaupt einen anderen Menschen richtig erkennen?
"Wo sind wir?" Kennen wir unseren Ort im Zusammenhang von Kosmos und Geschichte? "Wohin gehen wir?" Haben wir letzte Auskunft über allerletzte Zukunft?
Es ist deutlich, dass der Mensch gar nicht in der Lage ist, auf die wesentlichen Fragen seines Lebens aus sich heraus eine Antwort zu finden. Auch wir brauchen jemanden, der uns die Antworten und Deutungen des Lebens zuspricht. Unsere und der anderen Identität empfangen wir aus dem Zuspruch Gottes: "Du bist mein geliebtes Menschenkind!" Wir leben auf Gottes Erde und in Gottes Geschichte an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit. Und wir gehen in eine letzte Zukunft, die Gott uns als seine ewige Welt eröffnet hat. Auf die wesentlichen Fragen unseres Lebens brauchen auch wir immer wieder die geduldigen Antworten der göttlichen Liebe.

Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.
Jeremia 31,3

Der Fluss

Ein Fluss war nach langem Weg
von seiner Quelle
über Tausende von Kilometern
an seiner Mündung angekommen.
Endlich im offenen Meer,
endlich in der Weite,
endlich am Ziel.
Doch dann dachte er:
Was hatte er alles
auf dem Weg verloren!
Was hatte er eingebüßt,
an Frische und Schnelligkeit,
an Sauerstoff und wilder Lust.
Wie langsam und wie träge
war er geworden!
Er schlug kaum noch Wellen.
Und wie viel Geröll
hatte er aufnehmen müssen,
solches, das er selbst
aus den Ufern schlug,
und solches, das man ihm beigab,
Abfälle, Dreck
und viel andere Belastung.
Darf ich dir so überhaupt kommen?
fragte der Fluss das Meer.
Bedenke, erwiderte das Meer,
was du auf deinem Wege gegeben
und verschenkt hast
an Mensch und Tier und Pflanze.
In dem Maße, wie du verloren hast,
hast du gewonnen.
Komm, sagte das Meer,
ich habe auf dich gewartet.

(Peter Spangenberg)

Quelle: Peter Spangenberg, Na gut…. sagte der Bär. Fabelhafte Weisheiten. (0 Agentur des Rauhen Hauses Hamburg 1998)

"Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten; hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, die mir der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tage geben wird!"

(2. Timotheus 4,7f)

Freude von Gott

"Bei Gott wohnt die Freude, und von ihm kommt sie herab und ergreift Geist, Seele und Leib des Glaubenden. Wo diese Freude einen Menschen gefasst hat, dort greift sie um sich, dort reißt sie mit, dort sprengt sie verschlossene Türen.
Es gibt eine Freude, die von Not, Schmerz und Angst des Herzens nichts weiß. Sie hat keinen Bestand, sie kann nur für Augenblicke betäuben. Die Freude Gottes ist durch die Armut der Krippe und die Not des Kreuzes hindurch gegangen. Darum ist sie unüberwindlich und unwiderleglich. Sie leugnet nicht die Not, wo sie da ist, aber sie findet in ihr, gerade in ihr Gott. Sie bestreitet nicht die ernste Sünde, aber sie findet gerade so die Vergebung. Sie sieht dem Tod ins Auge, aber sie findet gerade in ihm das Leben.
Um diese Freude, die Jesus schenkt, geht es. Sie allein ist glaubwürdig, sie allein hilft und heilt." (Dietrich Bonhoeffer)

Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr!
Lukas 2,10f

Lebenskünstler

Jemand sagte mir: "Vor einem ausgedehnten Frühstück habe ich keine Kraft zum Arbeiten und nach einem gemütlichen Frühstück keine Lust zum Arbeiten, denn – so fügte er augenzwinkernd hinzu – ein Lebenskünstler wird auch ohne Arbeit müde!"
Interessant, dass sich Faulenzer und Genießer, Tagediebe und Nachtraben Lebenskünstler nennen. Wer die Tage vertrödelt, die Nächte durch feiert, andere beim Arbeiten belächelt und sich über Ehrgeiz, Fleiß und Mühe lustig macht, ist sicher kein Lebenskünstler, eher ein Schmarotzer. Andererseits sind Menschen, die ihre Arbeit mit Leben verwechseln und ihre Leistung für ihre Rechtfertigung halten, nicht gerade Künstler, eher Knechte.
Vielleicht sind Lebenskünstler Menschen, die zwischen süchtig und arbeitsscheu, zwischen Vergötzen der Leistung und Verteufeln der Anstrengung hindurch einen Lebensstil finden, in dem Anspannung und Entspannung, Tun und Ruhen, Leisten und Sich-was-leisten, Arbeit und Vergnügen, Mühen und Genießen ausgewogen und miteinander versöhnt sind. Gott gab uns Menschen unter vielen anderen zwei wunderbare Gaben und Aufgaben: die Arbeit und die Freude an ihrem Ertrag. Lebenskünstler üben sich in der Kunst, diese Gaben so miteinander zu versöhnen, dass beide dem Menschen und seiner Lebensgestaltung dienen und Gott damit die Ehre geben.

Gehe hin zur Ameise, du Fauler, sieh ihr Tun und lerne von ihr!
Sprüche 6,6

Und Jesus sprach zu ihnen: Geht ihr allein an eine einsame Stätte und ruht ein wenig!
Markus 6,31

Lachen und Weinen

Eines Abends begegneten sich am Ufer des Nils eine Hyäne und ein Krokodil. Sie begrüßten sich freundlich. "Wie geht es Euch, mein Herr?", fragte die Hyäne. Das Krokodil antwortete traurig: "Mir geht es nicht gut. Wenn ich Schmerzen und Beschwerden habe und deswegen weine, dann sagen all die Tiere: ‚Nichts als Krokodilstränen!’, und das kränkt mich doch sehr, denn niemand nimmt mich ernst." "Ich verstehe Euch in Eurem Schmerz und Leid", sagte die Hyäne. "Aber denkt auch mal an mich. Ich freue mich an der Schönheit der Welt, ich sehe ihre Wunder und ihren Glanz. Und in meiner großen Freude lache ich dann laut und lange, so wie doch auch die Sonne lacht und der Tag. Aber die Tiere der Steppe sagen nur: ‚Das ist bloß das Gelächter der Hyäne!’, und das verletzt mich doch sehr, denn niemand nimmt mich ernst."
Wenn wir uns in unserem Lachen und Weinen nicht mehr ernst nehmen, wenn wir die Freude und das Leid nicht mehr mit anderen wirklich teilen können, hören wir auf, Menschen zu sein.

Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden!
Römer 12,15

Ein inniglich vergnügtes Herz …

Gib, Herr, was du verordnet hast,
was deine Diener haben sollen,
wenn sie dir nützlich werden wollen!
Ein Joch, das unserm Halse passt,
Geduld und Unerschrockenheit,
das Ruhn und Tun in gleichem Grade
und Beugung bei der höchsten Gnade
und dein Verdienst zum Ehrenkleid.
Ein inniglich vergnügtes Herz,
ein Herz, besprengt mit deinem Blute,
das Nötigste vom Heldenmute,
beim Lieben einen mäßgen Schmerz.
Ein Auge, rein und sonnenklar,
ein treues Ohr für alle Schäden,
gerührte Lippen, recht zu reden,
Gemeinschaft mit der obern Schar!
(Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf)

Ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen und werdet meine Zeugen sein.
Apostelgeschichte 1,8

Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Zucht.
2.Timotheus 1,7

Die Zeit heilt keine Wunden

Ein Mann hatte die schweren Kriegsjahre und die noch härteren Jahre der russischen Gefangenschaft glücklich überstanden. Voller Freude baute er sein Leben auf. Die Freiheit, die Anfänge des bescheidenen Wohlstands halfen ihm, die schrecklichen Erfahrungen der fast sieben Jahre Krieg und Gefangenschaft zu verarbeiten. Ein schönes Haus, eine gute Arbeit, dann eine intakte Familie halfen ihm, sein Leben wieder ohne die dunklen Erinnerungen und nächtlichen Träume zu genießen. Doch nach über vierzig Jahren wurde eine Last immer größer und eine Wunde immer schmerzlicher. Er hatte im Gefangenenlager, um überleben zu können, den Schwächeren die mageren Essensrationen weggenommen. Sie waren zu schwach, um sich dagegen wehren zu können, und er wollte, wenn die anderen ohnehin sterben würden, mit ihren Rationen überleben. Immer wieder hatte er gemeint, die Zeit würde diese Wunde heilen. Aber als er älter wurde, stand seine Schuld immer deutlicher vor seiner Seele und seine Last wurde immer unerträglicher. So kam er zur Beichte und brachte aus der Verborgenheit seines Herzens die Sünde in das Licht des Kreuzes Jesu. Dort hat er sie abgelegt und um Vergebung gebeten. Jesus hat ihm vergeben und die Schuld mit seinem Blut gesühnt. So wurde er frei und erleichtert. Wieder einmal musste er erkennen: wenn man die Sünde seines Lebens verbirgt und der Zeit überlässt, macht sie uns krank und kaputt. Wenn wir sie aber offenbaren und Gott die Wunden heilen lassen, werden wir wirklich heil.

Heile du mich, Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen!
Jeremia 17,14

Verloren oder gefunden

Ein gut gekleideter Geschäftsmann steigt in einen Bus und findet einen Platz neben einem jungen Mann, der eher wie ein Hippie aussieht. Der Mann mit seinem feinen Anzug, der Seidenkrawatte und den Lackschuhen schaut mitleidig auf den mit buntem T-Shirt und verwaschener Hose gekleideten Mann. Da sieht er, dass er nur einen alten Schuh anhat und voller Bedauern sagt er: "Sie Armer, Sie haben wohl einen Schuh verloren!" "Nein", antwortet der junge Mann lachend, "ich habe einen Schuh gefunden!"

Warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?"
Matthäus 6,28-30