Was wir alles halten

Ein Vogel lag auf seinem Rücken und hielt seine Beine starr gegen den Himmel ausgestreckt. Ein anderer Vogel flog vorüber und fragte ihn verwundert: "Warum liegst du so da? Und warum hältst du deine Beine so steif nach oben?" Da antwortete der Vogel: "Ich trage den Himmel mit meinen Beinen. Und wenn ich losließe und meine Beine anzöge, so würde der Himmel über uns einstürzen!"
Und als er das gesagt hatte, löste sich vom nahen Baum ein winziges Blatt und fiel raschelnd zur Erde nieder. Der Vogel erschrak darüber so sehr, dass er sich geschwind aufrichtete und eilig davonflog. Der Himmel aber blieb an seinem Ort und stürzte nicht ein. (Alte Fabel)
Nicht wir halten den Himmel und die Erde, das Leben und uns selbst. Von guten, starken Händen werden wir mitsamt der Welt gehalten.

Wenn ich sprach: Mein Fuß ist gestrauchelt, so hielt mich, Herr, deine Gnade!
Psalm 94,18

Was wir zum Leben brauchen

Wir brauchen zum Leben einen Leib, der uns trägt, einen Schoß, der uns gebiert, Brüste, die uns stillen, Hände, die uns halten, Worte, die uns gut zureden, Augen, die uns mit Liebe ansehen, Eltern, die uns versorgen, Lehrer, die uns schulen, Erzieher, die uns bilden, Freunde, die uns begleiten, Partner, die uns lieben, Politiker, die uns regieren, Ärzte, die uns behandeln, Weise, die uns raten, Nachbarn, die uns helfen, und Glaubende, die uns den Weg zu Gott zeigen.
Denn Gott brauchen wir mit allen anderen, in allen anderen, vor allen anderen, nach allen anderen, über allen anderen.
"Gott und Vater, allmächtiger Schöpfer des Himmels und der Erde! Ich setze mein Vertrauen auf keinen Menschen der Erde, auch nicht auf mich selbst, meine Macht, meine Kunst, mein Gut, meine Frömmigkeit oder was ich haben mag; auch auf keine andere Kreatur. Ich wage und setze mein Vertrauen allein auf dich, den unsichtbaren, unbegreiflichen und einzigen Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat!" (Martin Luther)

Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an. Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachten, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil!
Psalm 73,23-26

Die einfache Weisheit

Ein Pfarrer hält seine erste Predigt in einer kleinen, abgelegenen Landgemeinde. Er ist ganz irritiert, als nur ein Mann zum Gottesdienst kommt, ein einfacher Kuhhirte. Der Pfarrer ist unsicher, ob er den Gottesdienst durchführen soll, und fragt den Mann nach seiner Meinung. Der Kuhhirte sagt: "Ich kann Ihnen nicht sagen, was richtig ist, denn ich bin nur ein einfacher Hirte. Aber wenn ich käme, um meine Kühe zu füttern, und nur eine einzige würde sich zeigen, so wäre ich doch dumm, wenn ich diese Kuh nicht füttern würde. Und dann würde ich sehen, wo die anderen denn geblieben sind."
Der Pfarrer bedankt sich und hält den ganzen Gottesdienst und die lange vorbereitete Predigt. Dann fragte er seinen Zuhörer, ob er zufrieden sei. "Ich verstehe nicht viel vom Predigen, ich bin ja nur ein einfacher Hirte. Aber wenn ich käme, um meine Kühe zu füttern, und nur eine einzige würde sich zeigen, so wäre ich doch dumm, wenn ich der einen das gesamte Futter für die Herde vorlegen würde! Ich würde dann nach den anderen Kühen suchen und herausfinden, warum sie nicht gekommen sind!"

"Und eine gottesfürchtige Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu; der tat der Herr das Herz auf, sodass sie darauf Acht hatte, was von Paulus geredet wurde.
Apostelgeschichte 16,14

Wie ist unser Gebet

Fritzchen ist in seinen ersten Schulferien bei der Großmutter zu Besuch. Es gibt viel zu entdecken und zu erfahren. Aber auch die Großmutter möchte von ihrem Enkelkind so einiges hören.
"Betest du auch am Abend vor dem Zubettgehen?" – "Ja, jeden Abend", antwortet der Junge. "Und wie ist es am Morgen?", fragt die Großmutter weiter. "Nein, morgens nicht. Am Tage habe ich keine Angst!"
Wie ist unser Gebet? Beten wir nur, wenn wir etwas brauchen? Oder beten wir, wenn wir es brauchen? Beten wir, wenn wir Angst haben oder in Notlagen sind?
Es ist beglückend, dass wir Gott immer und um alles bitten dürfen. Jeden Stoßseufzer oder Hilferuf, jede noch so kleine und noch so gewaltige Sache können wir von Gott erbitten.
Aber es gibt noch mehr. Wir beten auch um Gottes willen, aus Liebe und Dankbarkeit, als Ausdruck unseres Vertrauens und der Hingabe.

Ihr aber, meine Lieben, erbaut euch auf euren allerheiligsten Glauben, und betet im heiligen Geist, und haltet euch in der Liebe Gottes, und wartet auf die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus zum ewigen Leben.
Judas 20f

Zu sehr

Manche Menschen haben Angst vorm Fliegen und nehmen lieber lange Zug- und Autofahrten in Kauf, als in ein Flugzeug zu steigen.
"Ich fliege nicht, man fühlt sich zu sehr in Gottes Hand", soll ein Mann gesagt haben, als man ihn fragte, warum er nie das Flugzeug benutze. "Zu sehr in Gottes Hand", solch ein Satz offenbart sehr deutlich den Zwiespalt zwischen Glaube und Zweifel, Vertrauen und Angst.
Ja, wir möchten in Gottes Hand sein, aber nicht zu sehr.
Ja, wir möchten von Gott bewahrt sein, es aber nicht unnötig herausfordern.
Ja, wir möchten bei Gott geborgen sein, aber nicht alles aus der Hand geben.
Ja, wir möchten in einer guten, starken Hand sein, unser Leben aber auch selber etwas in der Hand behalten.
So wie ein Fisch keine Angst vor zu viel Wasser hat und ein Vogel sich keine Sorge über zu viel Luft macht, sollten wir uns ganz in die Hände Gottes fallen lassen. Denn Gott trägt und hält uns ohnehin, unser Leben und Ergehen ist in seinen Händen, vor der Geburt und nach der Geburt, vor dem Tod und nach dem Tod!

Denn der Herr ist deine Zuversicht, der Höchste deine Zuflucht. Es wird dir kein Übel begegnen und keine Plage wird sich deinem Haus nahen. Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.
Psalm 91,9-12

Tiefes Leid und höchste Seligkeit

Ehe die Bastille in Paris 1789 dem Erdboden gleich gemacht wurde, war sie Staatsgefängnis. Schuldige und Unschuldige starben hinter ihren Mauern, unter ihnen der evangelische Pfarrer Julian. In einen Stein seiner Zelle hatte eine feste Hand eingeritzt: "Hic iacet anima mea." ("Hier ruht meine Seele.") Es zeigte sich, dass dieser Stein locker war. Julian zog ihn heraus. In der Mauervertiefung lag die Bibel eines Hugenottenpfarrers, versehen mit vielen handschriftlichen Eintragungen: dem Tag seiner Hochzeit, seiner Ordination, der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685; dann die lange Leidensgeschichte im Kerker, die Versuchungen zum Schwachwerden und Verleugnen, aber auch die Tröstungen aus Gottes Wort: Nach achtunddreißigjähriger Haft steht unter dem Datum Mai 1725: "Ich kann fast nicht mehr sehen. Aber ich wünsche doch nicht, dass ich nicht hier gewesen wäre, wo Gott mir Gelegenheit gab, mich stündlich auf seine Ankunft vorzubereiten. Wer meine Bibel findet, sei gegrüßt und gesegnet von unserem Heiland Jesus Christus. Ich kann nicht mehr im Worte Gottes lesen. Ich höre es bald aus Gottes eigenem Munde …"

Denn unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit.
2.Korinther 4,17

Erste Hilfe

Es gehört zum Leben, dass man Kränkungen erfährt. Wer sie, einem schweren Rucksack gleich, anderen nachträgt, wird irgendwann davon erdrückt. Darum zehn gute Ratschläge, wie man mit Verletzungen umgeht:
1. Ruhe bewahren. Jede Aufregung verschlimmert nur die Wunde!
2. Mit Verständnis die Wunde behandeln. Wie kam es zu dem Vorfall? Wir vertauschen die Rollen und versetzen uns in den anderen hinein!
3. Die Wunde gründlich mit Freundlichkeit auswaschen. Darauf achten, dass aller Ärger und alle Unversöhnlichkeit entfernt werden.
4. Anschließend reichlich Nächstenliebe-Salbe auftragen. Dadurch schützt man sich vor Groll- und Bitterkeitsinfektionen.
5. Jetzt das Ganze mit einem Verband der Vergebung umwickeln. Dadurch kann die Wunde ausheilen, ohne dass wir sie jeden Tag ansehen müssen.
6. Nicht am Wundschorf kratzen! Den Vorfall nicht immer wieder zur Sprache bringen, da sonst die Wunde neu aufbricht.
7. Selbstmitleid vermeiden. Das sind "Entzugsschmerzen", mit denen man sich vom anderen zurückzieht. Stattdessen Entschuldigungen wirklich annehmen!
8. Mehrmals täglich ein gutes Wort Gottes einnehmen. Vor und nach der Einnahme ein volles Glas Gebet. Das hat eine schmerzstillende Wirkung.
9. Stets im Kontakt mit dem großen Arzt bleiben. Er wird raten und Hoffnung auf Ausheilung geben.
10. Die Heilung ist abgeschlossen, wenn der Verletzte seinen inneren Frieden mit Gott und seinen äußeren Frieden mit dem anderen gemacht hat.

Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung seien fern von euch samt aller Bosheit. Seid aber miteinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem anderen, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus!
Epheser 4,31f

Wer ein Kind anschaut

Wer ein Kind anschaut, sieht Gott ins Angesicht, sagt Martin Luther. Nie dienen wir Gott als dem Leben elementarer als dann, wenn wir uns neuem Leben widmen. Aber die junge Frau, die sich ein Kind wünscht, weil sie so gerne Kleider näht, sollte Puppenmutter bleiben. Der Mann, der sich einen Sohn wünscht, um sein Lebenswerk zu verIängern, sollte lieber eine Stiftung gründen. Kinder haben ein Recht auf erwachsen gewordene Eltern, die selber schon abgenabelt sind von ihren eigenen Vätern und Müttern, die sich auch verabschiedet haben von der Illusion, ein Kind könnte ihre Ehe retten oder ihrem Leben einen Sinn geben. Kinder brauchen vor allem gefestigte Menschen, die dem neuen Leben Geborgenheit geben und bereit sind, ihm bei seiner Entwicklung zu Freiheit und Bindung beizustehen, und dabei ihre eigenen Interessen zurückstellen.
Wer ein Kind anschaut und sich in den Augen des Kindes spiegelt,
wer ein Kind anschaut und sich in ihm verwirklicht sieht,
wer ein Kind anschaut und in ihm weiterleben möchte,
wer ein Kind anschaut und in ihm die Erfüllung seines Lebens sucht,
wer ein Kind anschaut und seinen Stolz damit aufbaut,
wer ein Kind anschaut und es nach seinen Vorstellungen prägt,
sieht nicht Gott ins Angesicht, sondern seinen eigenen Fehlern!

Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den anderen höher als sich selbst!
Philipper 2,3

Eltern und Kinder

Eine orientalische Geschichte erzählt von einem Mann in Bagdad, der jeden Morgen fünf Fladenbrote auf dem Markt besorgte. Der Händler fragte ihn nach einiger Zeit, warum er jeden Tag fünf ganze Brote kaufe. Der Mann antwortete geheimnisvoll: "Ein Brot esse ich, zwei Brote gebe ich zurück und zwei Brote leihe ich aus!" "Wem gibst du zurück, und wem leihst du aus?", wollte der Händler nun neugierig wissen. "Meinen Eltern gebe ich zurück, was sie mir als Kind gegeben haben. Und meinen Kindern leihe ich aus, damit sie mir im Alter vielleicht etwas zurückgeben!"
Eltern dürfen alles geben, den Kindern, was sie brauchen, den Eltern, was sie können. Aber dürfen sie auch was erwarten?

Denn es sollen nicht die Kinder den Eltern Schätze sammeln, sondern die Eltern den Kindern!
2.Korinther 12,14

Mutter ist die beste

Auf einem Auto lese ich in riesengroßen Buchstaben "Frauen fahren besser" und ganz klein darunter "mit Bus und Bahn!" Das ist gemein. Aber noch gemeiner ist der Satz zum Muttertag: "Mutter ist die beste… Ausrede!"
Für wie viele Fehler, Schwächen, Störungen und Misserfolge im Leben der Erwachsenen muss die Mutter als Ausrede herhalten?
"Mutter hat mich nicht gewollt, Mutter hat mich nicht gestillt, Mutter hat mich nicht geliebt, Mutter hat mich nicht gelobt, Mutter hat mich nicht respektiert, Mutter hat mich nicht losgelassen, Mutter hat mir nicht vertraut …"
"Mutter hat mich eingeengt, Mutter hat mich unterdrückt, Mutter hat mich allein gelassen, Mutter hat mich überversorgt, Mutter hat mich unselbständig gemacht, Mutter hat mich gegen Männer aufgehetzt, Mutter hat meinen Bruder vorgezogen, Mutter hat mich viel zu streng erzogen, Mutter hat mir viel zu viele Freiheiten gelassen …"
Diese Litanei zeigt, wie wichtig die Mutterrolle in unserer Gesellschaft und wie groß die Verantwortung der Eltern für die Entwicklung der Kinder ist. Aber erwachsene Menschen tun gut daran, sich mit ihrer Geschichte zu versöhnen, den Eltern zu danken und zu verzeihen und selbst die Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen. Wir wollen doch auch sonst nicht ein Leben lang Kinder bleiben, sondern nach Erziehung auch Selbsterziehung lernen.
Der Muttertag wäre eine wunderbare Gelegenheit, Dank und Wertschätzung für unsere Mutter in Worte zu kleiden und auch Verletzungen und Fehler ausdrücklich zu vergeben.

Lass deinen Vater und deine Mutter sich freuen und fröhlich sein, die dich geboren hat.
Sprüche 23,25