Alleinsein

Mit Recht fürchten wir das Alleinsein. Schon Gott hat ganz am Anfang über uns gemeint: "Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei!" Und so haben es Menschen auch immer als bedrückend empfunden, wenn sie ganz allein waren.
Aber als Ergänzung zum Miteinander und von der Urbedeutung des Wortes her verliert das Alleinsein das Bedrückende. Im Ursinn bedeutet Alleinsein: All-eins-Sein! Einmal wäre das, dass in mir alles eins ist: Leib und Seele, Gabe und Grenze, Arbeit und Ruhe, Sein und Schein, Fernweh und Heimweh, Wahrheit und Liebe, Herkunft und Zukunft. Bin ich mit allem in mir eins und versöhnt? Wer so mit sich eins und identisch ist, kann gut allein und ebenso mit anderen zusammen sein.
Zweitens hieße es, mit allen eins zu sein. Ohne Groll und Hass auf andere, ohne jemanden zu beneiden oder zu verachten, die tiefe Solidarität mit allen Menschen zu empfinden. So anders andere Menschen sind, ich kann mit mir und zugleich auch mit allen versöhnt und eins sein.
Und drittens wäre es auch, mit dem All, also mit Gott und seinem Weltall, eins zu sein. Mit Gott und seiner Schöpfung, mit Jesus und seinem Heil, mit der Geschichte und ihrer Verheißung und mit der Kreatur und ihrer Sehnsucht nach letzter Erlösung eins zu sein.
Ein solches All-eins-Sein mit allem in mir, mit allen anderen und mit Gott, in dem Alles zusammengefasst ist, wäre eine Gestalt des Alleinseins ohne Schrecken, aber mit viel Zauber und die beste Voraussetzung für ein gelingendes Miteinander.

Denn in ihm ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Mächte oder Gewalten, es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen. Und er ist vor allem, und es besteht alles in ihm.
Kolosser 1,16f

Blinde Wächter

Eine Geschichte aus der alten UdSSR erzählt, dass in einer Tischlerei von den Arbeitern immer mehr Werkzeuge und Material gestohlen wurden. Deshalb wurde am Tor ein Wachposten aufgestellt. In der ersten Nacht kommt Petrowitsch mit einem verdächtig großen Sack auf einer Schubkarre aus der Werkstatt. "Was haben Sie da?", ruft der Wächter. "Es sind nur Hobelspäne!", erwidert Petrowitsch. Der Wächter lässt den Sack ausleeren. Und tatsächlich waren nur Hobelspäne in dem Sack. Das wiederholte sich nun jede Nacht. Ein großer Sack auf einer Schubkarre, aber immer nur Hobelspäne. Schließlich wurde der Wächter wütend und voller Zorn packte er den Arbeiter: "Ich weiß, dass Sie etwas im Schilde führen, und es macht mich ganz verrückt, dass ich nicht weiß, was es ist. Ich werde Sie gehen lassen, wenn Sie mir sagen, was Sie hier jede Nacht stehlen!" Petrowitsch lächelte und antwortete: "Schubkarren!"

So spricht der Herr über die Hirten seines Volkes: Alle ihre Wächter sind blind, sie wissen alle nichts!
Jesaja 56,10

Verrückte Gesellschaft

Wir sind eine verrückte Gesellschaft. Wir setzen uns und einander unter enormen Leistungsdruck. Von der Einschulung bis zur Berentung müssen wir immer mehr, besser und schneller schaffen und Hochleistung bringen. So geraten wir unter erheblichen Erfolgsdruck und bald auch unter Zeitdruck. Wir müssen funktionieren und zwar rasch und effektiv. Und weil wir den Leistungsdruck fast nicht mehr ertragen, setzen wir uns dann unter den Erlebnisdruck der Zerstreuung. Wir müssen immer mehr, besser und schneller erleben. Spaß, Abenteuer und Vergnügen reihen sich immer schneller aneinander. Die Angst, etwas zu verpassen, setzt uns mächtig unter Druck. Erlebnis und Zerstreuung heißen die Zauberworte, leisten und sich was leisten die Maximen, leistungsfähig und genussfähig die Werte. Leistung und Erlebnis stehen zudem beide unter dem Druck der vergehenden Zeit. In die paar Jahre müssen immer mehr Ergebnisse und Erlebnisse hinein.
Wer sich über seine Leistung und seine Erlebnisse definiert, findet eben nicht die Stillung seiner Sehnsucht, sondern gerät in die Unzufriedenheit und Abhängigkeit.

Siehe, meine Tage sind eine Handbreit bei dir, und mein Leben ist wie nichts vor dir. Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben, sie gehen daher wie ein Schatten und machen sich viel vergebliche Unruhe; sie sammeln und wissen nicht, wer es einbringen wird.
Psalm 39,6

Gegen das Böse

Ein englisches Märchen erzählt, dass der Mond erfahren hatte, dass, wenn er nachts nicht leuchtete, die bösen Mächte über die guten Kräfte siegen würden. Im Moor würden dann die Geister und Dämonen die Menschen vom Weg ab und ins Verderben bringen. Der Mond konnte das kaum glauben und machte sich verhüllt auf den Weg zur Erde, um das zu überprüfen.
Im Moor angekommen, musste der verhüllte Mond spüren, wie die bösen Mächte ihn in das Wasser und die Tiefen ziehen wollten. Er führte einen heftigen Kampf mit den dunklen Mächten. Da kam ein Mensch näher, der in der Dunkelheit auch in Gefahr geriet. Als der Mond ihm helfen und ihn vor dem Verderben retten wollte, verrutschte seine Kapuze und es wurde mondhell, so dass der Mensch seinen Weg finden und sein Leben retten konnte.
Der Mond aber hatte, so entblößt und erkannt, alle seine Kraft verloren und wurde von den Geistern und Dämonen in die Tiefe gezogen. So blieben nun die Nächte dunkel und immer mehr gewann das Böse die Oberhand. Da erinnerte sich der Mann an die nächtliche Begegnung mit dem Mond. Mit noch anderen Helfern machten sie sich auf, um den Mond im Moor zu suchen und ihn zu befreien. Aus einem Wasserloch leuchtete ihnen ein kleiner Teil des Mondes entgegen. Mit aller Kraft holten sie den Mond unter einem schweren Stein aus der Tiefe hervor, befreiten so den freundlichen Helfer der Nacht, und es wurde wieder hell und auch für Menschen sicher und gut.

Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen, nämlich den Herren der Welt, die in dieser Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel. Deshalb ergreift die Waffenrüstung Gottes, damit ihr an dem bösen Tag Widerstand leisten und alles überwinden und das Feld behalten könnt!
Epheser 6,12f

Der höchste Berg

Was ist der Gipfel der Freude, wo liegt die höchste Zuspitzung des Glücks, was ist die erhabenste Erfüllung des Lebens, und wo wohnt der Himmel auf Erden? Es gibt einen besonderen Ort, den höchsten und besten Berg, die absolute Spitze und den Gipfel aller Sehnsucht: die Liebe! Dieser heilige und gesegnete Berg hat etwas Besonderes. Wer ihn erreicht hat und die höchste Freude und letzte Erfüllung gefunden hat, hat nur einen Wunsch: hinab zu steigen in die Niederungen des Lebens und mit denen die Tage zu teilen, die in der Tiefe der Not und Last, der Sorge und Schmerzen, der Tränen und Leiden, der Enttäuschungen und Einsamkeiten wohnen. Bin ich auch schon auf dem besonderen Berg, und zu wem kann ich heute mit Liebe kommen?
Das Wasser und die Liebe haben eines gemeinsam, sie suchen immer die tiefste Stelle.

Seid so unter euch gesinnt, wie es auch Christus war: Er, der in göttlicher Gestalt war …, entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz.
Philipper 2,5-8

Die Hölle

Es war einmal ein Mann. Der starb und fand sich in einem herrlichen Palast wieder. Ihn umgaben Köstlichkeiten aller Art. Jede Art von Entspannung und Vergnügen war möglich. Diener in zauberhaftem Livree ermutigten ihn: Sie können hier alles kostenlos und sofort genießen, alle Speisen, alle Vergnügen, jede Form der Unterhaltung.
Der Mann genoss voller Freude all die Delikatessen und Vergnügungen, von denen er zu Lebzeiten nur träumen konnte.
Nach einigen Wochen wurde dem Mann so übel und er fand alles so langweilig, dass er einen Diener bat: Bringen Sie mir bitte irgendeine Art sinnvoller Beschäftigung, etwas Schönes zu tun, eine Herausforderung! Der Diener antwortete traurig: Das tut mir Leid, hier gibt es leider keinerlei Aufgaben oder Arbeit zu vergeben. Darauf sagte der Mann ganz empört: Das ist ja eine schöne Bescherung. Da könnte ich ja ebenso gut in der Hölle sitzen und schmachten! Und der Diener antwortete vorsichtig: Was meinen Sie, wo Sie hier sind?

Und der Herr, unser Gott, sei uns freundlich und fördere das Werk unserer Hände bei uns. Ja, das Werk unserer Hände wollest du fördern!
Psalm 90,17

Gute und böse Einsamkeit

Wenn man nicht alleine sein kann, nicht zu sich selber findet und immer auf andere angewiesen ist, wenn man bei anderen Beifall und Bestätigung sucht, wenn man sich anderen anpasst und nach ihrem Urteil richtet, wenn man immer nur ankommen und akzeptiert sein will, wird es Zeit, die gute Einsamkeit zu lernen.
Gute Einsamkeit ist, wenn man mit sich versöhnt und eins ist, für sich selber wählen und entscheiden und sich aus sich selbst verstehen und annehmen kann. Gute Einsamkeit ist das Bewusstsein, ein Same zu sein, den Gott in dieses Leben ausgesät hat, ein Same, der unvergleichlich ist und auf dem Boden der Liebe Gottes seine Frucht bringen wird. Gute Einsamkeit ist, wenn man mit sich selbst und Gott Frieden hat und die Gemeinschaft nicht zur eigenen Befriedigung und Bestätigung missbraucht. Gute Einsamkeit ist für jede Form der Gemeinsamkeit ein Segen und niemals eine Belastung.
Wenn man gut alleine sein kann, selbstbewusst und mit sich eins ist, wenn man mit seiner Einsamkeit und Einmaligkeit versöhnt ist und andere nicht braucht zur Rechtfertigung und Erfüllung des eigenen Lebens, dann muss man sich hüten vor der bösen Einsamkeit.
Die böse Einsamkeit entzieht und verweigert sich anderen. Böse Einsamkeit sucht die innere und äußere Unabhängigkeit. Sie will nicht teilen, nicht teilhaben und teilgeben. Böse Einsamkeit ist oft zur Selbstverliebtheit verkommenes Selbstbewusstsein. Und aus der Einmaligkeit wird dann die kauzig besondere und fremde Persönlichkeit. Böse Einsamkeit will die gute Vernetzung des Lebens nicht gelten lassen und spinnt sich im Netz der eigenen Vorstellungen abartig ein.
Die gute Einsamkeit wollen wir lernen. So werden wir erst richtig gemeinschaftsfähig. Und die böse Einsamkeit wollen wir meiden, denn nur dann bleiben wir richtige Menschen und Mitmenschen!

In einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller.
1.Korinther 12,7

Gott zu Besuch

Ein frommer Rabbi pflegte jeden Tag in den Tempel zu gehen. Da überkam ihn eines Tages der Wunsch, Gott zu begegnen. Und er trug auch gleich seine Bitte im Tempel vor: "Seit Jahren, Herr, komme ich täglich hierher. Jetzt wäre es mir recht, wenn du auch mal in mein Haus kommen würdest und mich besuchtest!"
Da antwortete Gott: "Geht in Ordnung. Morgen komme ich! Mach alles bereit!"
Der fromme Rabbi lief eiligst nach Hause und traf alle Vorbereitungen für den Besuch. Er scheute keinen Aufwand und keine Mühe.
In aller Frühe des nächsten Tages, als das ganze Haus schon nach Sauberkeit, Kuchen und Süßspeisen duftete, kam ein kleiner Junge vorbei und bat um ein Stückchen Kuchen. Der Rabbi versuchte zu beschwichtigen: "Morgen, mein Junge, morgen sollst du deinen Kuchen bekommen. Heute, nein, das geht nicht; heute kommt Gott zu Besuch!" Und er schickte den kleinen Störenfried weg. Aber Gott schien es an diesem Tag gar nicht so eilig zu haben; er ließ lange auf sich warten. Mitten hinein in diese erwartungsvolle Atmosphäre platzte ein müder Wanderer. Es war schon Mittag geworden, und er hatte Hunger. "Nein, heute nicht!", beschied ihm der fromme Rabbi, "weißt du, heute kommt Gott; da störst du bloß!" Der Tag neigte sich dem Ende zu, und Gott ließ immer noch auf sich warten. Als die Spannung schier unerträglich wurde, klopfte ein verschmutzter, kranker Bettler an die Tür. Auch er bekam vom frommen Rabbi eine Abweisung: "Bitte, heute nicht. Morgen, wenn du willst, aber bitte nicht heute! Heute kommt Gott. Er muss jede Minute hier eintreffen. Geh, du störst bloß!"
Aber Gott kam nicht – nicht an diesem Tag. Und voller Zorn und Enttäuschung legte sich der fromme Rabbi schlafen. Am nächsten Morgen war seine Wut noch nicht verraucht, und er überhäufte Gott im Tempel mit derben Anklagen und zornigen Vorwürfen: "Seit Jahr und Tag komme ich hierher. Ist es da zu viel verlangt, wenn du ein einziges Mal zu mir kommen sollst?!"
Doch Gott antwortete: "Was willst du denn? Dreimal war ich bei dir. Dreimal hast du mich wieder weggeschickt!" (Eine jüdische Parabel)

Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan!
Matthäus 25,45

Jetzt geht es aber rund!

"Jetzt geht es aber rund!", sagte der Spatz und flog in den Ventilator.
"Jetzt geht es aber rund!", sagen wir Menschen und sind am Ende ganz zerfetzt.
Wir ängsten und ärgern, albern und altern,
brennen und beißen, bitten und bangen,
chauffieren und charmieren,
dünkeln und dackeln, denken und ducken, drehen und deichseln,
eilen und eifern, ekeln und erregen,
fliegen und fahren, flüchten und fluchen,
geizen und gieren, gammeln und gaffen,
hetzen und hasten, hamstern und horten,
intrigieren und inhalieren,
jagen und jammern, jetten und juchzen,
kaufen und keifen, kuren und küren,
lärmen und laufen, leiden und lachen, lauern und locken,
mimen und meckern, machen und meinen,
neiden und nörgeln, necken und naschen,
ochsen und ordnen, offerieren und opponieren,
plappern und plauschen, pokern und powern,
quengeln und quasseln,
reisen und rasen, rennen und raffen,
sausen und süffeln, sagen und sabbeln,
schmausen und schmusen, schachern und scherbeln,
timen und trimmen, trinken und tanzen,
unken und üben,
verzehren und verkommen, vermarkten und verprassen,
wagen und wissen, weichen und wanken,
zittern und zagen, zaudern und zögern, zweifeln und zwingen!

Jesus sagt: "Wenn ihr müde vom Umherlaufen und kaputt vom Rennen seid, kommt her zu mir, ich gebe euch Ruhe und Leben. Denn ich bin gekommen, dass ihr Leben und volle Genüge habt!
Johannes 10,10